Essen. Steag-Kraftwerk Walsum 9 und Uniper-Block Heyden 4 sollten im Sommer stillgelegt werden. Nun erklären die Netzbetreiber sie für systemrelevant.

Der Kohleausstieg gerät offenbar gleich zu Beginn ins Stocken: Mehrere Steinkohlekraftwerke, die zum Jahreswechsel abgeschaltet wurden und im Sommer endgültig stillgelegt werden sollten, gelten den Netzbetreibern als systemrelevant. Darunter das Steag-Kraftwerk Walsum 9 in Duisburg und das Uniper-Kraftwerk Heyden 4 in Ostwestfalen. Die Beschäftigten dürfen wieder hoffen, ihre Arbeitsplätze noch ein paar Jahre länger zu behalten. Das letzte Wort hat die Bundesnetzagentur. Noch gebraucht wird offenbar auch das RWE-Kraftwerk Westfalen in Hamm.

Kraftwerk Heyden 4 wurde 2021 schon dreimal gebraucht

Die Stromerzeuger hatten ihre Kraftwerke in die erste staatliche Auktion zum Kohleausstieg eingebracht und schließlich von der Bundesnetzagentur den Zuschlag für die Abschaltung Ende 2020 erhalten. Seitdem werden sie in Bereitschaft gehalten, am 7. Juli sollen sie für immer stillgelegt werden. Doch bereits in den ersten Wochen des Jahres mit teils heftigen Kältephasen musste etwa Uniper sein 875-Megawatt-Kraftwerk Heyden 4 gleich dreimal wieder hochfahren, um das Netz zu stabilisieren.

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Der Netzbetreiber Tennet hat der Bundesnetzagentur jetzt empfohlen, das Kraftwerk noch nicht stillzulegen, sondern für Notfälle in die staatliche Netzreserve zu stellen. Das würde bedeuten, dass Heyden 4 zwar in der Regel keinen Strom mehr produziert, samt Kernbelegschaft aber in Bereitschaft bleibt. „Das wäre eine gute Nachricht“, sagte ein Uniper-Sprecher unserer Redaktion. Denn dann gewännen Unternehmen wie Beschäftigte mehr Zeit für den sozialverträglichen Stellenabbau. Die Kosten der Bereitschaft würde größtenteils der Staat übernehmen.

Walsum 9 soll bis März 2024 in die Netzreserve

Das empfiehlt auch der Netzbetreiber Amprion für den 370-MW-Block 9 des Steag-Kraftwerks in Duisburg-Walsum. Amprion nennt hierfür auch einen Zeitraum – und der ist ungewöhnlich lang: Bis Ende März 2024 brauche man den Kohleblock „für die Sicherheit und Stabilität“ des Stromnetzes, heißt es in der Mitteilung der Steag an die Transparenzstelle der Strombörse EEX. Üblich sind Zeiträume von zwei Jahren, wenn ein zur Abschaltung angemeldetes Kraftwerk für systemrelevant erklärt wird.

Auch das RWE-Kraftwerk Westfalen in Hamm will Amprion Branchenkreisen zufolge nicht im Sommer eingemottet sehen. Der Netzbetreiber empfiehlt stattdessen, dort einen Phasenschieber zu installieren, der mit so genannter Blindleistung das Netz stabilisieren kann. Echten Strom produzieren soll das Kraftwerk also nicht mehr.

Netzagentur: Entscheidung bis Juni

Die Bundesnetzagentur erklärte auf Anfrage, sie prüfe nun die Empfehlungen der Netzbetreiber, die Entscheidung falle bis Juni und sei „völlig offen“, so ein Behördensprecher. Der Einschätzung aus Branchenkreisen, in der Regel folge die Behörde den Netzbetreibern, wollte er ausdrücklich nicht bestätigen. Die Beschäftigten in den Kraftwerken haben also weitere drei Monate der Ungewissheit vor sich.

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Deutschland will bis 2038 alle Kohlekraftwerke abschalten, wobei die besonders klimaschädlichen Braunkohleblöcke am längsten laufen dürfen. Die allermeisten Steinkohlekraftwerke sollen bereits in den kommenden Jahren vom Netz gehen, die letzten Anfang der 30er Jahre abgeschaltet werden, etwa das umstrittene Uniper-Großkraftwerk Walsum 4. Während die Braunkohlekonzerne RWE und Leag mit 4,35 Milliarden Euro entschädigt werden, was nun die EU hinterfragt, erhalten die Steinkohle-Kraftwerksbetreiber deutlich weniger.

Auch moderne Kohleblöcke gehen vom Netz

In den insgesamt acht Stilllegungs-Auktionen bis 2027 erhält den Zuschlag, wer am wenigsten fordert – oder am meisten CO2 einspart. Die verlangte Entschädigung wird durch den tatsächlichen CO2-Ausstoß geteilt. Das hat in der ersten Runde 2020 dazu geführt, dass neben älteren Kohleblöcken mit dem RWE-Kraftwerk Westfalen und dem politisch umstrittenen Vattenfall-Kraftwerk in Hamburg-Moorburg auch zwei der jüngsten und modernsten Anlagen vom Netz gehen. RWE erhält immerhin 216 Millionen Euro für die Stilllegung des zuvor gut ausgelasteten Kraftwerks Westfalen in Hamm und eines weiteren Kraftwerks in Ibbenbüren.

Inzwischen läuft bereits die zweite Auktionsrunde, in wenigen Wochen gibt die Bundesnetzagentur bekannt, welche Kohleblöcke als nächstes vom Netz gehen sollen. Dass zuerst die Zuschläge erteilt werden und dann geprüft wird, ob diese Kraftwerke nicht doch systemrelevant sind, ist Teil des von der Bundesregierung gesetzten Verfahrens. In der ersten Runde führt das offenbar dazu, dass doch nicht die gewünschte Menge an Kohlestrom-Kapazitäten endgültig vom Netz geht. Zugleich sind einige ältere Kraftwerke in der Auktion durchgefallen, die womöglich nicht systemrelevant sind, nun aber weiterlaufen.