Essen. Der neue Eon-Chef Leonhard Birnbaum fordert staatliche Entlastungen für Grünstrom. So sollen weitere Preissteigerungen vermieden werden.
Mit mehr als 50 Millionen Kunden in 15 Ländern und rund 78.000 Beschäftigten ist Eon der mit Abstand größte deutsche Energieversorger. Seit April führt Leonhard Birnbaum den Essener Konzern. Der 54-Jährige, den enge Mitarbeiter Leo nennen, stand einige Jahre in Diensten des Konzernnachbarn RWE, bevor er 2013 zu Eon wechselte. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt Birnbaum, warum höhere Strompreise drohen und wie er auf die Herausforderung Klimawandel blickt. Hier lesen Sie das Interview im Wortlaut.
Herr Birnbaum, Sie haben zu Ihrem Amtsantritt gesagt: „Wir können noch besser werden.“ Wo ist Eon nicht gut genug?
Birnbaum: Ich bin schon stolz darauf, was unser Team in den vergangenen Jahren geleistet hat. Trotzdem müssen wir besser werden, zum Beispiel in der Digitalisierung unserer Netze. Das gilt aber nicht nur für uns bei Eon. Wenn wir uns ausruhen, werden wir die Energiewende nicht schaffen.
Was wollen Sie anders machen als Ihr Vorgänger Johannes Teyssen?
Birnbaum: Ich habe mit Johannes Teyssen viele Jahre sehr vertrauensvoll und erfolgreich zusammengearbeitet, deshalb gibt es für mich keinen Grund, etwas anders zu machen, nur um mich von meinem Vorgänger abzugrenzen. Unterschiede werden sich ganz automatisch ergeben. Denn für meine Eon muss ich andere Herausforderungen lösen als Johannes und ich werde es auf meine Weise tun.
Wird es für Sie einfacher, weil die großen Schlachten etwa um den Atom- und den Kohleausstieg geschlagen sind?
Birnbaum: Wir werden immer eine politische Branche bleiben. Energie ist die Basis für die Existenz und den Wohlstand moderner Gesellschaften, deshalb muss sich die Politik kümmern. Aber es stimmt: Wir haben in
Deutschland viele hochkontroverse Themen abgeräumt, insofern wird es einfacher. Jetzt geht es darum, gemeinsam praktische Probleme zu lösen. Da werden wir noch jede Menge schwierige Diskussionen führen müssen, etwa darum, wie Deutschland eigentlich die Wärmewende schaffen will.
Warum ist das ein so großes Problem?
Birnbaum: Weil wir eine Lösung, nämlich Wind und Sonne, für die Stromwende haben, in gewisser Weise auch für die Verkehrswende, nämlich E-Mobilität. Aber wir haben noch keine klare Lösung für die Wärmewende. Die Hälfte der Energie wird in Deutschland als Wärme in der Industrie und in den Privathaushalten benötigt – und da haben wir wenig Fortschritte gemacht in den letzten 20 Jahren. Wie wir hier Gas, Öl und Kohle klimaneutral ersetzen wollen, ist völlig unklar. Alles, was wir bisher geleistet haben, war einfach im Vergleich zu dem, was jetzt kommt. Bei der Gebäudesanierung etwa ist Deutschland bisher gemessen an seinen Zielen gescheitert.
Zum Strom: Wird der Umstieg auf Erneuerbare die Preise weiter in die Höhe treiben?
Birnbaum: Immer mehr unserer Kunden, sowohl Privathaushalte als auch Gewerbe und Kommunen, fragen uns nach Konzepten, wie sie selbst klimaneutral werden können – und sie sind auch bereit, dafür mehr zu zahlen. Die Frage nach dem Preis kommt, aber immer häufiger erst an zweiter Stelle. 80 Prozent unserer Neukunden wählen Ökostromtarife. Langfristig sind Erneuerbare extrem wirtschaftlich, der Umbau des Systems kostet aber natürlich Geld.
Weshalb es teurer wird …
Birnbaum: …wenn der Staat die neuen Energieträger und insbesondere Strom nicht entlastet. Wenn wir auf grünen Strom und grünes Gas umsteigen wollen, müssen wir diese Energieträger von Steuern und Abgaben entlasten, damit die Mehrkosten für den Verbraucher im Rahmen bleiben.
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Wie denn? Irgendwoher muss das Geld für den Umstieg ja kommen.
Birnbaum: Ich sehe in der Politik durchaus die Bereitschaft, das EEG durch neue Finanzierungswege zu ersetzen. Wenn etwa die Ökostromumlage durch eine Bepreisung des CO2-Ausstoßes ersetzt würde, könnten die meisten Stromverbraucher entlastet werden – umso mehr, je grüner der Strom wird.
Für Ihre Kunden ist es aber umgekehrt, Grünstromtarife sind doch teurer.
Birnbaum: Dass Grünstromtarife grundsätzlich teurer sind, kann man so pauschal für unsere Eon-Tarife nicht sagen. Und wenn durch die Entlastung des Strompreises von Umlagen, Abgaben und Steuern Strom insgesamt billiger wird, ist das ein Gewinn für alle Kunden – denn das betrifft ja alle Tarife in Deutschland.
Wo soll der ganze Ökostrom, den Ihre Kunden haben wollen, eigentlich herkommen? Wir hinken doch beim Ökostrom-Ausbau weit hinterher.
Birnbaum: Das ist so. Deshalb müssen wir dringend etwas an den zu langsamen Genehmigungsverfahren machen. Wenn wir das Ausbautempo vervielfachen wollen, aber sieben Jahre auf die Genehmigung für eine neue Leitung oder eine neue Windkraftanlage warten müssen, wird das nicht funktionieren.
Genau das sagt auch RWE. Aber wo kaufen Sie dann ihren Ökostrom ein, wenn RWE und die anderen Erzeuger beim Zubau nicht vorankommen?
Birnbaum: Die Antwort ist: gar nicht. Wir brauchen mehr Netze und wir brauchen mehr Erneuerbare. Mit dem aktuellen Tempo werden wir unsere Ziele niemals erreichen. Hinzu kommt, dass die Nachfrage nach grünem Strom auch durch die Dekarbonisierung der Wirtschaft stark steigen wird. Wenn die Industrie den ganzen verfügbaren Grünstrom aus dem Netz zieht, bleibt nichts mehr übrig für die Privatkunden.
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Sie selbst haben die Erzeugung abgegeben. Kürzlich haben Sie betont, man könne nicht gleichzeitig Kohlekraftwerke betreiben und sagen, man sei Treiber der grünen Energiewende. Das sei eine Frage der Glaubwürdigkeit. Ist es denn glaubwürdiger, weiter Kohlestrom zu verkaufen?
Birnbaum: Deshalb stellen wir ja zunehmend um. Die meisten Neukunden in Deutschland wählen schon Grünstrom. Unsere Marke Eprimo ist komplett grün. Auch in England verkaufen wir nur noch Grünstrom.
Aus der Steckdose kommt aber im Zweifel noch Kohle- oder Atomstrom.
Birnbaum: Physikalisch bekommen Sie immer den Strom vom nächsten Einspeiser. Wenn Sie in Landshut wohnen, kriegen Sie immer Strom aus dem Kernkraftwerk Isar 2, egal bei welchem Anbieter sie den Strom kaufen. Aber mit Grünstromverträgen kann man den Ausbau der Erneuerbaren trotzdem fördern.
Im Geschäft mit Strom- und Gasverbrauchern prägen Vergleichsportale wie Verivox und Check24 den Markt. Entscheidet sich der Wettbewerb hier vor allem über den Preis?
Birnbaum: Der Preis ist eine wichtige Komponente, aber auch andere Faktoren wie die Reputation sind relevant. Es gab zum Beispiel immer wieder Versorger, die mit Vorauszahlungen in die Insolvenz gegangen sind. Das wünscht man sich als Kunde nicht. Bei uns gehen die Verbraucher zu Recht davon aus, dass wir zuverlässig sind.
Verbraucher, die nicht regelmäßig den Strom- oder Gasversorger wechseln, bekommen Preissteigerungen besonders stark zu spüren. Wer sich nicht bewegt, zahlt drauf.
Birnbaum: Die Kunden haben heute eine Wahl. Der Wettbewerb war und ist gut für die Kunden. Die Stromkosten in den vergangenen zwanzig Jahren sind praktisch ausschließlich bei den Abgaben und Steuern gestiegen.
Sie haben auch Kunden übernommen, die bei RWE und dann bei Innogy waren. Plötzlich sind diese Menschen bei Eon. Hat Ihnen das viel Ärger eingebracht?
Birnbaum: Natürlich geht bei so einer großen Integration auch mal etwas schief. Die Integration des Innogy-Vertriebs hat aber insgesamt sehr gut funktioniert. Das war keine leichte Aufgabe. Zumal viele unserer Leute in dieser wichtigen Phase komplett aus dem Homeoffice arbeiten mussten. Natürlich geht da auch mal etwas schief. Dafür bitte ich die Betroffenen um Entschuldigung. Das habe ich auch auf der Hauptversammlung gemacht.
Im Zuge der Zerschlagung von Innogy sollen bis zu 5000 Stellen wegfallen. Weitere rund 5000 Arbeitsplätze bauen Sie bei einem britischen Tochterunternehmen ab, das von Innogy kommt. Mittelfristig soll Eon dann weniger als 70.000 Beschäftigte haben. Wie schnell wollen Sie diese Zahl erreichen?
Birnbaum: Wir wollen das im nächsten Jahr umgesetzt haben und sind dabei auf einem guten Weg. Das Geschäft in Großbritannien zeigt, was generell wichtig ist für uns. Wir müssen profitabel sein. Gewinn ist eine Notwendigkeit, um zu investieren. Investieren ist eine Notwendigkeit, um zu wachsen. Und mit Wachstum können wir sichere Arbeitsplätze bieten. In Großbritannien hatte die Innogy-Tochter NPower das leider lange Zeit nicht geschafft. Wir haben nach der Übernahme den Service jetzt schlanker und digital neu aufgestellt und in diesem Zuge auch Arbeitsplätze abgebaut.
Die Gewerkschaft Verdi ist in Ihrem Konzern stark vertreten. Trotz der Zerschlagung von Innogy blieb es relativ ruhig. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Birnbaum: Wo es die Notwendigkeit zu harten Maßnahmen gab, sind wir fair vorgegangen. Das betrifft insbesondere die Angebote für Beschäftigte, für die wir nach der Innogy-Übernahme keinen Platz gefunden haben. Insgesamt gibt es aber eine gute Perspektive für den Konzern. Daher gab es ein konstruktives Miteinander mit der Mitbestimmung und der Gewerkschaft. Das deutsche Modell der Mitbestimmung, das bei uns gut gelebt wird, ist eine echte Stärke unseres Standorts. Wir übernehmen gemeinsam Verantwortung für die Zukunft.
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Im Ruhrgebiet ist Eon ein großer Arbeitgeber. In Essen gab es von Innogy eine zweite Konzernzentrale, die praktisch überflüssig für Sie geworden ist. Wie hart waren die Einschnitte?
Birnbaum: Mit etwa 6200 Mitarbeitern in der Region sind wir ein wichtiger Arbeitgeber. Dieser Verantwortung sind wir uns bewusst. Dass wir nicht zwei Verwaltungen benötigen, ist klar. Damit sind Stellen weggefallen. Umgekehrt ist aber auch absehbar: Wenn wir wachsen und in die Zukunft investieren, bauen wir um die Zentrale herum besonders stark Arbeitsplätze auf.
Wagen Sie eine Prognose, wann Sie wieder so viele Arbeitsplätze aufgebaut haben werden, die durch die Übernahme weggefallen sind?
Birnbaum: In diesem Jahrzehnt bestimmt.
Sie waren – salopp gesagt – der letzte Innogy-Chef mit Zweitbüro im einstigen RWE-Turm, den Sie mit Eon erobert haben. Das hat schon eine gewisse Symbolik – oder?
Birnbaum: Der Turm war nicht das erste, an das ich bei der Transaktion gedacht habe. Das kann ich Ihnen versichern.
Die Fondsgesellschaft Union Investment urteilt, aus Sicht des Kapitalmarkts sei Eon „der klare Verlierer des Deals mit RWE und Innogy, weil ein Erfolg aus der strategischen Fokussierung auf das Netzgeschäft bisher nicht erkennbar“ sei. War das Tauschgeschäft mit RWE etwa ein Fehler?
Birnbaum: Nein, im Gegenteil. Wir denken langfristig. Beide Partner haben gewonnen, denn für beide sind Perspektiven entstanden, die es vorher so nicht gab. Als größter Verteilnetzbetreiber Europas sind wir heute
ein entscheidender Akteur für das Gelingen der Energiewende. Ohne Eon wird es keine Energiewende in Europa geben. Denken Sie an die Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität. Für jedes Windrad, jede Photovoltaikanlage wird unser Netz gebraucht. Wenn in ein paar Jahren zurückgeschaut wird, werden viele Menschen sicher sagen: Die Infrastruktur ist der entscheidende Faktor.
Zur Logik des Deals gehört auch: Ihr größter Konkurrent ist weggefallen.
Birnbaum: Für die Energienation Deutschland ist das Ergebnis hervorragend. RWE ist als Produzent von erneuerbaren Energien kann mit den europäischen Wettbewerbern mithalten. Und Eon ist ein europäischer Champion in der Energie-Infrastruktur. Das wäre in der alten Konstellation unmöglich gewesen. Das bringt die Energiewende voran.
Sie beklagen, der Datenschutz hemme die Digitalisierung in der Energiebranche, etwa die Verbreitung von intelligenten Messgeräten, sogenannte Smart Meter. Warum sind diese Geräte aus Ihrer Sicht so wichtig?
Birnbaum: Mit immer mehr neuen Wind- und Solaranlagen sowie Elektroautos, die zunehmend Strom ziehen, brauchen wir eine intelligente Steuerung, um Schwankungen im Netz auszugleichen. Künftig müssen wir genau wissen, wann in welcher Straße eine Überlastung droht. Für die Kunden entsteht der Vorteil, dass wir günstigere Tarife beispielsweise in der Nacht anbieten könnten.
Wer hindert denn die Industrie daran, an dieser Stelle mehr zu tun?
Birnbaum: Wir brauchen Planungssicherheit. Wenn wir Geräte in großem Stil in Haushalten einbauen, muss klar sein, dass sie nicht später etwa aus Datenschutzbedenken wieder herausgerissen werden sollen. Andere Länder sind viel weiter als wir, Schweden oder Italien beispielsweise. Eigentlich ist es jämmerlich, wie sehr wir in Deutschland hier noch am Anfang stehen.
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Für Eon soll auch Wasserstoff ein großes Geschäft werden – unter anderem mit mittelständischen Unternehmen im Ruhrgebiet. Was haben Sie vor?
Birnbaum: Wenn es um die Dekarbonisierung geht, wird häufig an die großen Abnehmer gedacht. In Vergessenheit gerät dabei, dass es zum Beispiel hier im Ruhrgebiet unglaublich viele mittelständische Unternehmen gibt, die grünes Gas brauchen. Für solche Betriebe wollen wir künftig verstärkt maßgeschneiderte Lösungen anbieten.
Eon will bis zum Jahr 2040 klimaneutral sein. Warum dauert es so lange?
Birnbaum: Wir haben acht Millionen Tonnen CO2-Emissionen im Jahr. Das ist für einen Energieversorger sehr wenig. Die Hälfte dieser Emissionen werden uns angerechnet für Stromverluste im Netz. Weitere rund vier Millionen Tonnen gehen vor allem auf das Konto von Blockheizkraftwerken. Es wäre unsinnig, diese Anlagen morgen abzustellen.
Hand aufs Herz, glauben Sie wirklich, dass Deutschland 2045 klimaneutral ist?
Birnbaum: Das ist nur dann zu schaffen, wenn wir nicht ständig vor allem über die Ziele für 2045 reden, sondern heute und morgen anpacken und konkret etwas verändern. Wir brauchen schnellere Genehmigungen für neue Netze und Anlagen. Das Tempo beim Umbau muss sich massiv erhöhen.
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Energie ist ein politisches Geschäft. Mit Blick auf das Kanzleramt – wer versteht am besten, worauf es in der Branche ankommt: Frau Baerbock oder die Herren Laschet und Scholz?
Birnbaum: Wir müssen und werden mit jeder Regierung auskommen. Ich glaube, dass jede Regierung ein großes Interesse am Gelingen der Energiewende haben muss – unabhängig von der politischen Färbung. Vielleicht tut sich eine Regierung mit grüner Beteiligung leichter mit Beschleunigungen in den Genehmigungsverfahren.
Sie hoffen darauf, dass Infrastruktur-Projekte seltener aus dem grünen Lager blockiert werden?
Birnbaum: Salopp könnte man sagen: Hartz IV konnte wahrscheinlich nur eine SPD-geführte Regierung durchsetzen. Vielleicht ist eine Regierung mit grüner Beteiligung eher in der Lage, Deutschland einen Schub bei der Entbürokratisierung von Genehmigungsverfahren zu geben.
Ihr Vorgänger Teyssen war elf Jahre Vorstandsvorsitzender. Möchten Sie den Job ähnlich lange machen?
Birnbaum (lacht): Eigentlich soll man seinem Vorgänger nicht nacheifern, aber in dieser Beziehung kann ich es ja ausnahmsweise tun.