Essen. Die sechs IHKs im Revier sind enttäuscht vom Fortgang der Ruhrkonferenz. Sie pochen auf einen Altschuldenfonds für die Kommunen.

Als die Industrie- und Handelskammern am 18. Februar die Ergebnisse ihrer Frühjahrsumfrage präsentierten, war die Stimmung in der Ruhrwirtschaft noch rundweg gut. Niemand ahnte, dass die Republik wegen der Corona-Pandemie vier Wochen später still stehen wird. „Der Absturz war enorm“, sagt die Essener IHK-Präsidentin Jutta Kruft-Lohrengel. Mit Kurzarbeit und staatlicher Unterstützung hielten sich die Betriebe über Wasser. Das Konjunkturklima im Ruhrgebiet erlebte dennoch eine historische Talfahrt.

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Bei allen Zeichen der Hoffnung nach dem Ende des Lockdowns bleibt die Lage aus Sicht der Kammern ernst. Besonders tief sind die Sorgenfalten auf der Stirn des Duisburger IHK-Präsidenten Burkhard Landers. „Duisburg ist der größte Stahlstandort Europas, um den wir uns große Sorgen machen müssen“, sagt der Unternehmer. Die Stahlproduktion bei Thyssenkrupp leidet nicht nur unter der Corona-Krise, die die Produktionsbänder der Autobauer stoppte. „Stahl ist auch ein existenzieller Teil der Klimalösung. Wir brauchen eine europäische Wasserstoff-Strategie. Dafür müssen wir rasch das Beihilfe-Recht ändern“, fordert Landers.

Thyssenkrupp will die Stahlproduktion in Duisburg auf Wasserstoff umstellen.
Thyssenkrupp will die Stahlproduktion in Duisburg auf Wasserstoff umstellen. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Der IHK-Präsident begrüßt zwar, dass Bundes- und Landesregierung Hilfe bei der Umstellung auf eine Stahlproduktion ohne den Einsatz klimaschädlicher Kohle zugesagt haben. Landers geht es aber nicht schnell genug. „In den nächsten Jahren stehen ein Drittel der Hochöfen zur Neuzustellung an. Die große Frage wird sein, ob diese Investitionen bei uns stattfinden werden oder im Ausland und mit welcher Technik. Da muss Geld auf den Tisch. Und das Planungsverfahren für einen grünen Hochofen darf nicht zehn Jahre dauern“, sagt er und warnt. „Dekarbonisierung darf nicht zu Deindustrialisierung führen.“

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Gefahr sehen die Kammern aber auch für andere Zweige der Industrie. „Die Chemieindustrie hatte schon vor Corona keine einfache Zeit. Das hat sich nun noch einmal verschärft“, sagt Rolf Stoffels, Präsident der Südwestfälischen IHK zu Hagen. „Getroffen hat es auch die Autozulieferer, die jetzt versuchen, sich breiter aufzustellen. Der Optimismus für 2021 überwiegt. An die Umsatzzahlen aus der Zeit vor der Krise werden wir aber lange nicht herankommen“, prophezeit er.

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Benedikt Hüffer, Präsident der IHK Nord Westfalen, sieht aber auch positive Ansätze: „In der Corona-Krise liegt eine Riesenchance für den Mittelstand. Wir brauchen aber die Unterstützung der Politik bei der Beseitigung von Nachteilen kleinerer Unternehmen gegenüber den global agierenden Konzernen.“

Warnung vor verödenden Innenstädten

Große Sorgen machen sich die Kammern auch um die Zentren und Vororte, die in der Corona-Krise unter der Flaute im Einzelhandel und in der Gastronomie leiden. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in die Verödung der Innenstädte geraten“, mahnt der Dortmunder IHK-Präsident Heinz-Herbert Dustmann. „Eine Innenstadt lebt vom Mix aus Handel, Gastronomie, Kultur und Freizeit. Wir richten einen Appell an alle Beteiligten, also Stadtverwaltung, Einzelhandel, Kultur und Gaststätten, alles zu tun, um die Aufenthaltsqualität in den Innenstädten deutlich zu verbessern. Dazu gehört auch ein attraktiver öffentlicher Personennah- und Individualverkehr.“

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Nachhaltige wirtschaftliche Impulse für das Revier hatten sich die Kammern von der Ruhrkonferenz der Landesregierung erhofft. Sie zeigen sich aber enttäuscht. „Der große Aufschlag ist ausgeblieben. Das Ruhrgebiet war leider nicht das zentrale Thema bei dem Besuch von Kanzlerin Merkel auf der Essener Zeche Zollverein“, bewertet Kruft-Lohrengel die Stippvisite Merkels im August. „Die jetzige Ruhrkonferenz läuft seit 28 Monaten und bleibt blass“, zieht Stefan Dietzfelbinger, Hauptgeschäftsführer der Duisburger IHK einen Vergleich zu der Erstauflage der Ruhrkonferenz im Jahr 1988 mit Bundeskanzler Helmut Kohl. Danach habe der Duisburger Hafen an Bedeutung gewonnen und die Stadt ein Fraunhofer Institut bekommen. „Die positiven Auswirkungen spüren wir noch heute“, so Dietzfelbinger.

Forderung nach mehr Gewerbeflächen

Aus Sicht seines Bochumer Amtskollegen Eric Weik ist der Ruhrkonferenz-Prozess zu unübersichtlich. „73 Projekte sind einfach zu viele. Die Landesregierung sollte sich auf die 15 konzentrieren, die die meisten Arbeitsplätze schaffen. Das ist in der aktuellen Wirtschaftskrise wichtiger denn je“, meint Weik. Ein Schlüsselthema ist für Stefan Schreiber, Hauptgeschäftsführer der IHK Dortmund, die Gewerbeflächennot. „Im Ruhrgebiet gibt es im Industrie- und Gewerbebereich 735.000 Beschäftigte. Für sie und neue Unternehmen brauchen wir auch die nötigen Flächen“, fordert Schreiber. „Es wird Zeit, dass mit einer Landesbürgschaft ein Fonds aufgelegt werden kann, mit dem wir Brachflächen kaufen und sanieren können.“

Auch das Steag-Kraftwewerk Duisburg-Walsum steht im Zuge des Kohleausstiegs in den nächsten Jahren vor der Schließung.
Auch das Steag-Kraftwewerk Duisburg-Walsum steht im Zuge des Kohleausstiegs in den nächsten Jahren vor der Schließung. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

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Am meisten stört die Kammern aber, dass beim Besuch der Kanzlerin das größte Problem des Ruhrgebiets kaum eine Rolle gespielt habe: die hohe Verschuldung der Städte. „Ein offenes Problem bleibt das Altschulden-Thema. Wir sehen jetzt schon, dass die beteiligten Kommunen Probleme haben werden, ihren Eigenanteil von zehn Prozent an den Projekten des Fünf-Standorte-Programms aufzubringen. Dafür muss eine Lösung erarbeitet werden“, sagt Fritz Jaeckel, Hauptgeschäftsführer der IHK Nord Westfalen, die auch für Gelsenkirchen, Bottrop und den Kreis Recklinghausen zuständig ist. Mit dem Fünf-Standorte-Programm sollen Lösungen gefunden werden, wie an Stelle der stillzulegenden Kohlekraftwerke in der Umgebung neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.

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Der Bund stellt dafür über 660 Millionen Euro zur Verfügung. Den Eigenanteil, den die Kommunen auch bei Projekten der Ruhrkonferenz aufbringen sollen, treibt auch Gerald Püchel, den Hauptgeschäftsführer der Essener IHK, um. „Deshalb muss das Thema Altschulden schnell gelöst werden. In der Corona-Krise verteilt der Bund zu Recht viele Milliarden. Davon müssen auch die Kommunen profitieren. Die Ruhrkonferenz ist bei dem Thema leider nur mit beiden Beinen fest in der Luft“, so Püchel.

„Denn“, so ergänzt Eric Weik, „eine der zentralen Aufgaben der Ruhrgebietskommunen muss es sein, dass sich hier digitale Start-ups gründen und sich digitale Unternehmen ansiedeln können. Das Ziel lautet: Das Ruhrgebiet wird die Metropole der digitalen Möglichkeiten – und in dieses Ziel müssen die Kommunen investieren können. Gerade auch die Ruhrkonferenz muss dieses Thema endlich in den Fokus nehmen.“

>>> Export-Einbrüche beim Maschinenbau

J.D. Neuhaus ist ein weltweit führender Hersteller von pneumatischen und hydraulischer Hebezeugen und Krananlagen. Produkte, die zu 80 Prozent ins Ausland gehen. Die Corona-Krise hat das Wittener Unternehmen mit seinen 215 Beschäftigten hart getroffen.

„Mit der Corona-Pandemie ist der Export für Maschinenbauer sehr schwierig geworden. Schon zuvor haben wir unter Zöllen und verschärften Normen, die Exporteure von den Märkten fernhalten sollen, gelitten. Wir erleben gerade eine fortschreitende Deglobalisierung, die durch Corona noch Fahrt aufnimmt“, sagt der Geschäftsführende Gesellschafter Wilfried Neuhaus-Galladé, der auch Präsident der IHK Mittleres Ruhrgebiet ist.

Nach Schließung der Grenzen während des Lockdowns sei der Export seines Unternehmens um 23 Prozent eingebrochen, nach Großbritannien sogar um 36 Prozent. „Wir haben die Corona-Krise mit Kurzarbeit und der Abnahme von Urlaub überbrückt“, blickt Neuhaus-Galladé zurück.

Große Festveranstaltungen zum 275-jährigen Firmenjubiläum in diesem Jahr hat der Unternehmer wegen der anhaltenden Pandemie abgesagt.