Essen. 662 Millionen Euro stehen dem Ruhrgebiet mit dem Ausstieg aus der Kohlekraft bereit. Wie damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollen.
Seit Ende vergangener Woche ist der Ausstieg aus der Kohleverstromung endgültig besiegelt. In dem Bundesgesetz ist auch verankert, dass das Ruhrgebiet 662 Millionen Euro erhält, um mit der Abschaltung seiner Steinkohlekraftwerke neue Arbeitsplätze zu schaffen. Der Wettbewerb um die Verteilung der gewaltigen Summe hat bereits begonnen.
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Es ist gut ein Jahr her, dass Ruhrwirtschaft und Landesregierung massiv in Berlin dafür warben, dass nicht nur Braunkohle-Regionen Strukturhilfen erhalten, sondern auch Standorte mit Steinkohlekraftwerken. Nach langen Verhandlungen zeigt sich NRW-Wirtschaftsstaatssekretär Christoph Dammermann zufrieden: „Wir haben einen weiteren Meilenstein beim Kohleausstieg erreicht. „Vor einigen Wochen haben wir noch nicht fest daran geglaubt, dass die Verabschiedung des Gesetzes noch vor der Sommerpause gelingen wird“, sagte er im Gespräch mit unserer Zeitung. „Die Zeit der Ungewissheit ist vorbei. Der Förderbetrag von 662 Millionen Euro für das Ruhrgebiet steht jetzt im Gesetz.“
Die Summe fließt komplett ins Revier, weil in NRW kein weiteres Steinkohlekraftwerk steht, das unter die Bundesförderung fällt. In den nächsten Jahren werden sukzessive die Kamine der Kraftwerke Duisburg-Walsum, Herne, Bergkamen (Steag), Gelsenkirchen-Scholven, Datteln (Uniper), Hamm, Werne (RWE) und Lünen (Trianel) erkalten. Die Restlaufzeiten bis spätestens zum Jahr 2038 werden über eine Auktion vergeben.
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Im Gegensatz zur Braunkohle gibt es für die Steinkohle keinen festen Zeitplan, allerdings muss die Kohleverstromung jährlich zurückgefahren werden. Um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die Städte Duisburg, Gelsenkirchen, Herne, Hamm und den Kreis Unna abzufedern, sollen die Strukturhilfen fließen. Davon profitieren sollen aber nicht nur die direkt betroffenen Kommunen, sondern im Prinzip das gesamte Ruhrgebiet.
„Als NRW-Landesregierung haben wir erreicht, dass auch andere Institutionen als Kommunen Fördergelder beantragen können, aber auch angrenzende Körperschaften wie der Kreis Recklinghausen oder der Niederrhein“, betont Dammermann. Voraussetzung sei, dass dies im Einvernehmen mit den Standorten geschehe. Allein für das Kraftwerk Duisburg-Walsum etwa sind das der Kreis Wesel, Oberhausen, Mülheim, der Kreis Mettmann, Düsseldorf, der Rhein-Kreis Neuss und Krefeld.
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Um die Interessen der Beteiligten unter einen Hut zu bringen, hat die Landesregierung die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Business Metropole Ruhr (BMR) beauftragt. Seit März sind beim „Projektbüro 5-Standorte-Programm“ bereits 80 Vorschläge für den Strukturwandel eingegangen. „In den Städten, bei den Kammern und den Bezirksregierungen ist der Wunsch groß, sich in dem Prozess zu engagieren“, sagt Geschäftsführer Rasmus C. Beck. Geld soll nach den Vorgaben der Landesregierung aber nur fließen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind.
„Wir wollen neue Arbeitsplätze schaffen, bevor sie in den Kohlekraftwerken und bei den Zulieferern wegfallen“, nennt Staatssekretär Dammermann das wichtigste Kriterium. Die Projekte sollen aber auch Innovationen fördern wie die Produktion und Nutzung von Wasserstoff, aber auch Lösungen für die Gewerbeflächen-Knappheit im Ruhrgebiet bieten. „Unser Fokus liegt auf den Themen Innovation und Beschäftigung. Die Wasserstoff-Strategie des Bundes und die Förderprogramme zur Abmilderung der Folgen der Corona-Epidemie erhöhen für uns noch einmal den Druck, die Mittel für den Kohleausstieg damit zu verknüpfen“, sagt Wirtschaftsförderer Beck.
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Bei der Bewältigung des Strukturwandels will die Landesregierung auch Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung einbeziehen. „Unser Ziel ist es, auch Unternehmen und die Europäische Union zu Investitionen zu ermutigen. Dann kann es uns gelingen, weiteres Geld über die 662 Millionen Euro hinaus für das Ruhrgebiet zu akquirieren“, gibt sich Staatssekretär Dammermann zuversichtlich.
In diese Richtung denkt auch der Dortmunder IHK-Hauptgeschäftsführer Stefan Schreiber, der den Beirat der Business Metropole Ruhr leitet. „Die 662 Millionen Euro sind ein gutes Startkapital für Projekte im Ruhrgebiet. Mit einer Anschlussfinanzierung sollten sie Bund und EU im Anschluss ans Laufen bringen“, sagt er. „Wir müssen jetzt eine Story entwickeln für die Region zwischen Duisburg und Hamm. Ich habe den Eindruck, dass Kommunen, Wirtschaft und Forschung dazu bereit sind.“
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Schreiber regt an, die frei werdenden Kraftwerksstandorte im Zusammenspiel mit öffentlichen und privaten Partnern zu entwickeln. „Wir haben jetzt die Chance, dringend notwendige neue Gewerbeflächen zu erhalten, auf denen neue Arbeitsplätze entstehen werden.“
Auch wenn das Kohleausstiegsgesetz viele Forderungen aus NRW berücksichtigt, bleibt eine Frage ungeklärt: Wer bezahlt den Abriss der stillgelegten Kraftwerke? Pro Standort werden dafür Schätzungen zufolge rund 60 Millionen Euro fällig. „Als Landesregierung bleiben wir bei unserer Auffassung, dass das zunächst eine Aufgabe der Eigentümer ist. Mit klugen Konzepten sollten wir dafür auch private Gelder organisieren“, meint Dammermann. Immerhin erhält der Essener Energieriese RWE vom Bund 2,4 Milliarden Euro Entschädigung für die Abschaltung seiner Braunkohlekraftwerke. Konzernchef Rolf Martin Schmitz hatte jüngst deutlich gemacht, dass der wirtschaftliche Schaden mit der Summe bei weitem nicht kompensiert werde.