Essen. Mit schärferen Regeln wollte die Bundesregierung unerwünschte Telefonwerbung eindämmen. Doch strengere Gesetze und höhere Strafen schrecken offensichtlich nicht ausreichend ab. Verbraucherschützer klagen, dass Werber immer aggressiver und perfider vorgehen, um arglose Verbraucher abzuzocken.
Das Telefon klingelt, die Nummer im Display: nicht bekannt. Man hebt ab, nennt seinen Namen, kurze Stille - und dann setzt ein Call-Center-Agent an zu seinem Monolog. Er habe da ein tolles Mobilfunk-Angebot, topexklusiv, einen Monat kostenlos, danach supergünstig und bei Nichtgefallen ganz einfach zu kündigen... Undsoweiterundsofort. Wer kennt das nicht?!
So oder ähnlich laufen die Anrufe ab, die Tag für Tag unzählige Verbraucher in Deutschland Zeit und Nerven kosten - und im schlimmsten Fall viel Geld. Mitte 2009 wurden die Regeln für solche Telefonate verschärft: Werbe-Anrufe ohne ausdrückliche vorherige Zustimmung sind seitdem verboten. Allein: "Verbessert hat sich dadurch nichts", urteilte die Verbraucherzentrale NRW erst Anfang dieses Jahres.
Anrufer werden "immer aggressiver und perfider"
Zwar sind die von der Bundesnetzagentur verhängten Strafen für Telefonwerber von 2009 bis 2011 deutlich gestiegen. Der Strom unerwünschter Anrufe unseriöser Firmen reiße nicht ab, klagten jedoch die Verbraucherschützer. Allein 9000 Betroffene haben zwischen Juni und September 2012 an einer Befragung der Verbraucherzentralen teilgenommen - und das sei nur ein "Bruchteil der durch Telefonwerbung belästigten Verbraucher".
13 Werbe-Anrufe erhielten die Befragten im Durchschnitt pro Woche, fast ausnahmslos empfanden sie die Telefonate als störend. Meist wollen die Anrufenden irgendwelche Gewinnspiele oder Dienstleistungen verkaufen, Telefon- oder Stromverträge. Die Vorgehensweisen würden dabei "immer aggressiver und perfider", resümierten die Verbraucherzentralen nach ihrer Umfrage.
Betrüger geben sich am Telefon als Verbraucherschützer aus
Denn: Zunehmend versuchen Betrüger, gerade mit der Angst der Verbraucher vor Abzocke Geld zu machen. Sie geben sich als Verbraucherschützer, Anwälte oder gar Behörden aus, versprechen Hilfe oder vermeintlichen Schutz gegen Verträge, die es gar nicht gibt. So schwatzen sie arglosen Bürgern teure Verträge und Abos auf oder ergaunern ihre Kontodaten. "Für Menschen, die leicht einzuschüchtern sind, sind diese Anrufe ein großes Problem", sagt Julia Rehberg, Juristin bei der Verbraucherzentrale Hamburg.
Dass die Rufnummernunterdrückung mittlerweile seit Jahren verboten ist - hilft in den Augen der Juristin nicht: "Das ist Augenwischerei", sagt Rehberg. Heutzutage sei es "gar kein Problem, da Rufnummern drüberzusetzen". Call-ID-Spoofing heißt die Methode, vor der auch die Bundesnetzagentur warnt. Der Anrufende sorgt dafür, dass nicht seine tatsächliche Nummer beim Angerufenen im Telefondisplay erscheint, sondern eine andere. Die kann nicht-existent sein - oder aber anderen, seriösen Stellen gehören. Für Verbraucherschützerin Rehberg vermittelt die Pflicht zum Rufnummer-Senden so nur "eine Scheinsicherheit".
Angebliche Zustimmung zur Telefonwerbung oft nicht wirksam
Das Verbot von Anrufen ohne mitgesendete Rufnummer hat das Problem nach Meinung der Verbraucherschützer also nicht gelöst. Ähnlich sieht es mit der Pflicht zur vorherigen Zustimmung aus. Selbst wer sparsam mit seinen Daten umgeht, nicht wahllos im Internet Häkchen setzt, kann mit Telefonwerbung seine liebe Not haben.
Carolin Keller (Name von der Redaktion geändert) ist ein Beispiel. Wiederholt haben dubiose Firmen bei der jungen Frau aus Bochum angerufen. Mal ging's um die vermeintliche Endrunde bei einem Gewinnspiel, mal um einen neuen Mobilfunkvertrag. Auf die Frage, wie die Firma dazu komme, sie anzurufen, hörte Keller zweimal dieselbe Begründung: "Sie haben Ihre Zustimmung doch am 4. Dezember um 11.11 Uhr bei einem Online-Gewinnspiel für ein MacBook gegeben." Carolin Keller bekräftigt im Gespräch mit der WAZ Mediengruppe, dass sie nie an einem solchen Gewinnspiel teilgenommen hat.
Zustimmung zu Anrufen über Online-Gewinnspiele
"Es ist oft so, dass versucht wird, mit Gewinnspielen im Internet eine Zustimmung für Telefonwerbung zu erhalten", bestätigt Iwona Husemann, Juristin bei der Verbraucherzentrale NRW. Ein verstecktes Häkchen in einem Formular, ein versteckter Passus in den AGB - nach Meinung der Verbraucherzentrale sei das nicht ausreichend, um von einer aufgeklärten Zustimmung auszugehen. Gerichte hätten diese Einschätzung schon wiederholt bestätigt, berichtet Husemann.
Es sei aber auch nicht auszuschließen, dass selbst die vermeintliche Einwilligung durch einen Fall von Datenmissbrauch zustandegekommen ist - sprich: Dass irgendwer mit fremden Daten beispielsweise an einem Gewinnspiel teilgenommen hat. "Das kann passieren", sagt Husemann. Das Problem: Der Nachweis, dass dies so war, ist schwierig bis unmöglich.
Verbraucher sollten sparsam mit ihren Daten umgehen
Was aber hilft gegen den unerwünschten Telefonterror? "Wir raten grundsätzlich, mit Daten sparsam zu sein", sagt Verbraucherschützerin Iwona Husemann. Das sei sie, sagt Carolin Keller. Aber sie ist im Telefonbuch zu finden - ist das schon ein Fehler? "Nein", findet Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale Hamburg. "Man soll ja auch nicht sein Namensschild von der Tür nehmen."
Also bleiben nur die alten Ratschläge: In der Öffentlichkeit so wenig Daten wie möglich preiszugeben. Wachsam zu sein und skeptisch bei allzu verlockenden Angeboten. Ungebetene Anrufer auflaufen zu lassen und den Verbraucherzentralen oder der Bundesnetzagentur zu melden. Bei manchen Telefonanlagen lassen sich auch einzelne Rufnummern sperren.
Bundesregierung will Gesetze gegen Abzocker weiter verschärfen
Die Bundesregierung hat derweil beschlossen, die Gesetze gegen Abzocke erneut zu verschärfen - und unter anderem das Bußgeld für unlautere Telefonwerbung von maximal 50.000 Euro auf 300.000 Euro zu erhöhen. Verbraucherschützerin Julia Rehberg bezweifelt, dass das Problem dadurch beseitigt wird. "Ich weiß nicht, ob das abschreckt."
So lange windige Firmen es weiter schaffen, Verbraucher am Telefon einzuschüchtern, und sie mit unseriösen und kriminellen Methoden dazu zu bringen, Verträge abzuschließen - so lange wird der Telefonterror wohl weitergehen.
Tipps zum Umgang mit und dem Schutz vor ungebetenen Werbe-Anrufen haben die Verbraucherzentralen in einem Flyer gebündelt. Er enthält auch eine Checkliste für den Fall solcher Werbe-Anrufe: