Essen. Weil sie viele Stellen nicht mehr besetzt kriegen, lassen Krankenhäuser immer häufiger Honorarärzte einspringen – und bezahlen diese sogar besser als die Stammkräfte. Die von Agenturen vermittelten Honorarärzte sind inzwischen nicht mehr aus den Hospitälern wegzudenken.

Der Kollege auf Zeit und die Stammkraft arbeiten Hand in Hand. Sie machen den gleichen Job, doch der eine verdient mehr als der andere. Dieser Umstand ist hinlänglich beschrieben und wird beklagt als Ausbeutung armer Leiharbeiter. Doch es geht auch andersherum: Weil es deutschen Kliniken an Ärzten mangelt, beschäftigen sie immer häufiger freiberufliche Honorarärzte auf Zeit, um Engpässe zu überbrücken. Die sind mittlerweile so begehrt, dass sie es sind, die deutlich besser verdienen als die festangestellten Kollegen.

Honorarärzte sind aus deutschen Krankenhäusern nicht mehr wegzudenken. Zwei von drei Häusern beschäftigen laut dem Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) bereits Honorarärzte. Und weil die Engpässe durch vakante Stellen sowie durch Urlaubs- oder Krankheitszeiten eher noch zunehmen, dürfte auch der Bedarf an Honorarärzten weiter steigen.

Einspringen, wenn Not am Mann ist

Einer der Ärzte, die einspringen, wenn Not am Mann ist, ist Andreas Krause. Weil er seine Zeit flexibler einteilen will, verzichtet er auf eine Festanstellung und nimmt sogar sehr weite Wege in Kauf. Der 46-jährige Anästhesist aus Brilon arbeitet seit drei Jahren als freiberuflicher Arzt in Vollzeit, zeitweise für rund 15 verschiedene Auftraggeber. Angefangen im Ruhrgebiet und im Sauerland hat Krause seinen Aktionsradius nach und nach auf 600 Kilometer erweitert.

Seine Einsatzgebiete liegen in NRW, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. „Hauptsächlich erhalte ich meine Aufträge über Honorararzt-Agenturen, die Jobs vermitteln.“ Er habe aber auch viele Stammkunden. „Es gibt Kliniken, die regelmäßig anrufen. Wenn bei guter Arbeit der Auftraggeber zufrieden ist, ist das ja auch normal“, sagt Krause.

Frustration in Kliniken ist oft hoch

Die Gründe, sich für ein Dasein als Freiberufler zu entscheiden, können vielfältig sein. Für viele Ärzte seien aber die ökonomischen Zwänge und die auf Effizienz getrimmten Arbeitsabläufe in den Kliniken nicht mehr vereinbar mit dem, was sie sich ursprünglich von ihrem Beruf erhofft hatten, erklärt Nicolai Schäfer, Gründer des Bundesverbandes der Honorarärzte (BV-H). „Die Frustration in Kliniken ist oft hoch“, sagt er, denn der Stress sei enorm, 24-Stunden-Dienste keine Seltenheit.

Nicht zu unterschätzen ist auch der teils deutlich bessere Verdienst. Das Ergebnis einer Umfrage unter BV-H-Mitgliedern: Ein auf Honorarbasis arbeitender Arzt verdiene 65 bis 85 Euro pro Stunde. „Bei sehr spezifischen Bereichen wie etwa der Kinderintensivmedizin kann der Verdienst auch mal bei 120 Euro pro Stunde liegen“, sagt Schäfer. Im Vergleich dazu erhielten angestellte Ärzte an einem kommunalen Krankenhaus im Schnitt nur 30 bis 45 Euro pro Stunde, betrachte man ihre tatsächliche Arbeitszeit, sprich: die vielen Überstunden.

Ärzte entfliehen dem Alltag

Es scheint, als kranke das System: Ärzte entfliehen dem stressigen Klinikalltag, arbeiten weniger als ihre angestellten Kollegen und können trotzdem mehr Honorar verlangen. Nutzen sie die Notsituation der Kliniken aus? Nein, sagt Nicolai Schäfer und spricht von einer Win-Win-Situation. „Grundsätzlich sind die Honorarärzte ein Gewinn für das Gesundheitssystem, weil sie sehr flexibel eingesetzt werden können“, sagt er.

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In den Kliniken gehen die Meinungen aber auseinander. Das Uniklinikum Duisburg etwa setzt zur „Überbrückung bestimmter, vorübergehend unbesetzter Arztpositionen oder Erkrankungen gelegentlich externe Ärzte ein“, teilt eine Sprecherin mit. Andere, etwa die St.-Elisabeth-Gruppe mit Häusern in Herne und Witten, verzichten auf ihren Einsatz. „Für uns ist es wichtig, unseren Patienten eine gleichbleibende hohe Versorgungsqualität zu bieten. Aus diesem Grund arbeiten wir ausschließlich mit festangestellten Ärzten“, sagt Geschäftsführer Theo Freitag.

Verbandschef Schäfer sieht im Einsatz von Honorarärzten und der Qualität natürlich keinen Widerspruch. Die freiberuflichen Ärzte seien hoch qualifiziert, die Aufgaben sehr standardisiert. „Viele Honorarärzte kennen die Kliniken, weil sie dort regelmäßig eingesetzt werden“, sagt Schäfer.