Essen. Der Wissenschaftler Sascha Lohmann ist skeptisch, dass das Handelsembargo von Europäischer Union und USA gegen Russland Wirkung entfaltet. Die Auswirkungen auf die deutsche und die russische Wirtschaft seien gering, erklärt er im Interview. Hannes Koch sprach mit ihm.

Deutsche Bauern klagen über Wirtschaftssanktionen, denn wegen der Ukraine-Krise verbietet Russland die Einfuhr von bestimmten Lebensmitteln. Richtet dieser Boykott westlicher Waren hierzulande großen Schaden an?

Sascha Lohmann: Nein, für die deutsche Wirtschaft insgesamt hat das keine große Bedeutung. Und auch der Nachteil für die Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie hält sich in Grenzen. Nach einem Rückgang im Vorjahr gehen nur etwa 2,5 Prozent der deutschen Agrarexporte nach Russland. Einzelne Unternehmen werden den Umsatzrückgang jedoch spüren.

Umgekehrt haben die EU und die USA Konten russischer Firmen und Politiker gesperrt. Treffen diese Sanktionen, mit denen der Westen auf Moskaus Intervention in der Ukraine reagiert, die russische Wirtschaft empfindlich?

Lohmann: Auch die russische Wirtschaft leidet darunter noch nicht besonders. Allerdings haben westliche Investoren inzwischen Milliarden Euro Kapital aus Russland abgezogen. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass sie sich Sorgen über die Zukunft machen. Und es behindert auch die Geschäfte russischer Industrieunternehmen und Banken.

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Der Flugverkehr leidet ebenfalls: So musste eine russische Linie, die mit Flugzeugen der Marke Boeing zur Krim fliegt, wegen der Aufkündigung der Leasingvereinbarung Flüge streichen. Mittel- und langfristig könnten die westlichen Sanktionen zu größeren Problemen führen. Denn Russland will neue Öl- und Schiefergasvorkommen in Westsibirien und der Arktis erschließen, um den absehbar sinkenden Ertrag der konventionellen Förderung auszugleichen. Dafür brauchen die russischen Unternehmen Technologie aus den USA, die sie jetzt nur schwer oder gar nicht mehr bekommen.

Kann man Regeln aufstellen, wie Sanktionen gemacht sein müssen, damit sie zu einem wirksamen Druckmittel werden?

Lohmann: Die Wirkung von Wirtschaftssanktionen zu isolieren, ist kaum möglich. Denn bei ökonomischen und politischen Entwicklungen spielen immer viele Einflüsse eine Rolle, die sich kaum voneinander trennen lassen. Zu beurteilen, wie sich wirtschaftlicher Druck der einen Seite in die politischen Handlungen der anderen Seite übersetzt, ist extrem komplex.

Gibt es Studien über die Wirksamkeit von Handelsembargos?

Lohmann: US-Forscher Gary Hufbauer und seine Kollegen haben 174 Fälle seit dem Ersten Weltkrieg untersucht. Angeblich waren die Sanktionen zu 34 Prozent erfolgreich. Hufbauer zieht die Lehre, dass Embargos, um wirksam zu sein, schnell und hart eingeführt werden müssen, nicht nach und nach wie jetzt durch die EU. Aus meiner Sicht allerdings belegt diese Empfehlung, wie es schwer es ist, verallgemeinerbare Regeln aufzustellen. Schließlich kann die Europäische Union allein schon wegen ihrer komplizierten Verfasstheit als Bund von 28 souveränen Staaten oft gar nicht schnell und gemeinsam handeln. Auch für Wirtschaftssanktionen muss man sich deshalb Konzepte überlegen, die genau auf die jeweilige Situation zugeschnitten sind.

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Der Boykott gegen Waren aus Südafrika in den 1970er und 1980er gilt als Beispiel erfolgreichen ökonomischen Drucks. Sie sollen dazu beigetragen haben, dass die Regierung in Pretoria schließlich von der Politik der Apartheid abrückte. War das wirklich so und warum?

Lohmann: Man weiß es nicht genau. Einerseits klingt die These plausibel, aber es gibt auch andere Stimmen. Demnach haben die Sanktionen der weißen Oberschicht wirtschaftlich damals eher noch genützt, weil südafrikanische Firmen Marktanteile von westlichen Unternehmen übernahmen, die sich zurückzogen.

Bei Nordkorea und dem Iran scheinen die Handelsembargos nicht den gewünschten Effekt zu haben. Wie ist das zu erklären?

Lohmann: Die beiden Länder sind Beispiele dafür, dass man analysieren muss, welche Ziele mittels Sanktionen überhaupt durchsetzbar sind. Werden Maximalforderungen erhoben, scheitern auch konsequente Handelsembargos. Die Regierung und teilweise die Bevölkerung des Iran betrachten das dortige Atomprogramm als Ausweis von Modernität, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Deswegen geht das Land nur sehr widerstrebend auf die Forderungen der USA ein. Und Washington fällt es schwer, die gewünschte Wirkung zu erreichen.

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Auch Kuba wehrt sich seit über 50 Jahren erfolgreich gegen den massiven Wirtschaftsboykott durch die USA. Werden manche Regierungen noch stärker, anstatt zu kippen, wenn der Druck auf sie steigt?

Lohmann: Auch dort verfolgt die US-Regierung eine Maximalforderung. Havanna müsste den wesentlichen Teil seiner Ideale aufgeben, um den USA zu gefallen. Dass der Adressat von Sanktionen so etwas tut, ist sehr unwahrscheinlich. Eher schart sich die notleidende Bevölkerung um eine Regierung, die sie unter normalen Umständen nicht mehr unterstützen würde. Wirtschaftssanktionen machen es in solchen Fällen sogar schwerer, das politische Ziel zu erreichen. Das deutet im Übrigen daraufhin, dass ökonomische Strafen gegen andere Staaten manchmal eher innenpolitischen als außenpolitischen Zwecken dienen.

In Teheran ist kürzlich ein altes Passagierflugzeug abgestürzt. Mehrere Menschen starben. Ein möglicher Grund war wohl Ersatzteilmangel infolge des Embargos durch den Westen. Schaden Wirtschaftssanktionen in erster Linie der Zivilbevölkerung?

Lohmann: Die Iran-Sanktionen betreffen unmittelbar auch die Zivilbevölkerung. Die Unfallrate im dortigen Flugverkehr ist eine der höchsten weltweit. Schließlich liefert unter anderem die US-Firma Boeing kaum Ersatzteile. Ein anderes Beispiel: Iranischen Doktoranden droht die Ausweisung aus Norwegen, weil sie sich während ihrer Studien dort angeblich sicherheitsrelevantes Wissen aneignen. Viel schärfer waren hingegen die Auswirkungen des Boykotts gegen den Irak zwischen dem zweiten und dritten Golfkrieg: Bis zu 500.000 Kinder sollen gestorben sein, weil Medikamente fehlten. Über solche Folgen wird selten gesprochen, wenn eine Regierung Sanktionen verhängt. Die ethischen Erwägungen bleiben meist außen vor.