Berlin/Essen. . Karstadt-Eigentümer Nicolas Berggruen investiert offenbar kein Geld in den Essener Warenhaus-Konzern, sondern entzieht ihm Mittel. Darf sich Berggruen so verhalten, nachdem er die Firma im Insolvenzverfahren erworben hat? Grundsätzlich ja, sagt Insolvenz-Anwalt Lucas Flöther.

Als sich der neue Karstadt-Eigentümer Nicolas Berggruen am 31. August 2010 in der Kantine der Essener Konzernzentrale den Mitarbeitern vorstellte, feierten sie den neuen Hoffnungsträger wie einen Popstar. „Karstadt ist wichtig für die Herzen aller Deutschen und es ist wichtig für mein Herz. Irrsinnig wichtig“, bekannte der Milliardär damals.

Von der Aufbruchstimmung und der Ankündigung, 65 Millionen Euro in die Warenhauskette zu investieren, ist nicht viel geblieben. Stattdessen soll Berggruen jährlich neun bis zwölf Millionen Euro für die Nutzung der Karstadt-Markenrechte kassieren. Das Warenhausunternehmen schreibt indes tiefrote Zahlen. Jede vierte Filiale ist von der Schließung bedroht. Im Gespräch mit Hannes Koch äußert sich Insolvenz-Anwalt Lucas Flöther zu dem Fall. Flöther, der dem Vorstand des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter angehört, vermutet, dass Berggruen den Sanierungsbedarf, die Kosten und die Zeit unterschätzt hat.

Karstadt ist wieder in Turbulenzen. Eigentümer Nicolas Berggruen investiert offenbar kein Geld in den Kaufhaus-Konzern, sondern entzieht ihm Mittel. Darf er sich so verhalten, nachdem er die Firma im Insolvenzverfahren erworben hat?

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Lucas Flöther: Grundsätzlich ja. Wenn der Insolvenzverwalter die Firma in die Hände des neuen Investors gelegt hat, ist dieser eigenverantwortlich tätig. Schließlich gehört ihm dann das Unternehmen. Sollte der neue Eigentümer jedoch beim Kauf des Unternehmens Auflagen zugestimmt haben, muss er diese einhalten.

Welche Mindestanforderungen muss ein Investor laut Insolvenzrecht erfüllen, wenn er eine überschuldete Firma übernehmen möchte?

Flöther: Der Insolvenzverwalter sucht Investoren, die die Ansprüche der Gläubiger an das Unternehmen bestmöglich befriedigen. Dazu gehören unter anderem die Banken, Lieferanten, Vermieter der Immobilien und die Arbeitnehmer. Stehen mehrere Investoren zur Auswahl, entscheidet schließlich der Ausschuss der Gläubiger, wer den Zuschlag erhält. So war es auch bei Karstadt.

"Berggruen hat möglicherweise den Sanierungsbedarf unterschätzt"

Hätte Karstadt-Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg 2010 nicht vertraglich festschreiben müssen, dass Berggruen in das Unternehmen investiert?

Flöther: Welche Zusagen realistisch sind, hängt von mehreren Voraussetzungen ab. Eine Frage ist beispielsweise, ob es überhaupt potenzielle Investoren gibt, die sich auf solche Zusagen einlassen würden. Außerdem verfolgen die Gläubiger unterschiedliche Interessen. Die Banken denken an ihre Kredite, die Gewerkschaftsvertreter an die Arbeitsplätze. Am Ende steht ein Kompromiss. Wie der bei Karstadt genau aussah, ist im Detail nicht öffentlich bekannt. Offenbar hat Berggruen den Zuschlag aber auch deshalb erhalten, weil er versprach, vorläufig keine Karstadt-Filialen zu schließen und die Arbeitsplätze zu sichern.

Wie beurteilen Sie den Karstadt-Fall, haben Sie eine Erklärung für das mangelnde Engagement Berggruens?

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Flöther: Möglicherweise hat er den Sanierungsbedarf, die Kosten und die Zeit unterschätzt, die es braucht, ein Unternehmen mit jetzt noch 17.000 Beschäftigten rentabel zu machen.

Viele Karstadt-Filialen erwirtschaften angeblich Verlust. Könnte nun ein neues Insolvenzverfahren eröffnet werden?

Flöther: Das ist denkbar. Ein Insolvenzverfahren muss stattfinden, wenn das Unternehmen überschuldet oder zahlungsunfähig ist.

Was würde das für die Beschäftigten bedeuten?

Flöther: Zunächst erhielten die Arbeitnehmer drei Monate lang Insolvenzgeld in der Höhe ihres bisherigen Gehaltes, finanziert durch die Bundesagentur für Arbeit. Danach hängt es davon ab, wie viel Personal der Verwalter oder ein neuer Investor weiterbeschäftigen wollen. Schließlich besteht die Möglichkeit, eine Qualifizierungsgesellschaft zu gründen, die sich aus der Insolvenzmasse und öffentlichen Mitteln speist. Diese würde Arbeitnehmern helfen, neue Jobs zu finden.