London. Kürzungen im Gesundheitswesen, auslaufende Patente und zunehmende Konkurrenz durch Nachahmeprodukte - die Riesen der Pharmabranche stehen derzeit unter erheblichem Druck. Sollte dem US-Konzern Pfizer die Übernahme des Konkurrenten AstraZeneca gelingen, wäre es einer der größten Deals weltweit.

Es wäre die größte Übernahme in der Geschichte der Pharma-Branche: Der US-Konzern Pfizer plant den Kauf des britischen Rivalen AstraZeneca für rund 100 Milliarden Dollar. Sollte dem Viagra-Hersteller dieser Coup gelingen, wäre es gleichzeitig der vorläufige Höhepunkt der jüngsten Fusionswelle in der Branche.

Pfizer gab am Montag bekannt, den Briten in jüngster Zeit gleich zwei Übernahmeangebote unterbreitet zu haben. Anfang Januar bot der Konzern insgesamt 99 Milliarden Dollar und biss damit auf Granit. Vergangenen Samstag holte er sich dann mit einer Nachfrage erneut einen Korb ab. Die weltgrößte Pharma-Firma will jedoch offenbar nicht lockerlassen. Sie kündigte an, nun ihre Möglichkeiten auszuloten und schloss damit auch eine feindliche Übernahme nicht aus. Pfizer-Chef Ian Read sagte zudem, sein Unternehmen habe die britische Regierung kontaktiert und befinde sich in Diskussionen mit dieser.

Börsianer versetzte der mögliche Deal in helle Aufregung: Die AstraZeneca-Aktie schoss in London rund 15 Prozent in die Höhe, so dass der Börsenwert um etwa elf Milliarden auf rund 86 Milliarden Dollar anschwoll.

Fusionswelle rollt durch die Pharmabranche

AstraZeneca zeigte sich unterdessen stur. Weil derzeit kein spezifisches oder attraktives Angebot vorliege, gebe es keinen Grund für Fusionsgespräche. Verhandlungen seien nicht angebracht. Zudem bemängelten die Briten, dass sich ihre Aktionäre bei der bisherigen Offerte teilweise mit Pfizer-Aktien statt mit Bargeld zufrieden geben müssten. Das Management empfahl den Aktionären deshalb, zunächst einmal abzuwarten.

Derzeit rollt eine Fusionswelle durch die Pharmabranche, weil sich die Konzerne wegen Patentabläufen einer neuen Konkurrenz durch Nachahmerprodukte stellen müssen und sie sich auch wegen der Kürzungen im staatlichen Gesundheitswesen umorientieren. Der Schweizer Novartis -Konzern hat zum Beispiel Spartenkäufe und -verkäufe im Wert von rund 27 Milliarden Dollar angekündigt. Bayer mischt im Bieterwettbewerb um Geschäfte des US-Giganten Merck & Co mit und will Insidern zufolge dafür 13,5 Milliarden Dollar zahlen. Das schwedische Pharmaunternehmen Meda wehrt sich zudem gegen eine neun Milliarden Dollar schwere Übernahmeofferte des US-Generika-Herstellers Mylan. Der letzte Mega-Deal in Deutschland geht auf das Jahr 2006 zurück. Damals schluckte Bayer für 17 Milliarden Euro Schering.

Auch bei AstraZeneca laufen demnächst viele Patente ab. Das macht die Briten verwundbar für Übernahmen. Gleichzeitig hat AstraZeneca aber vielversprechende Mittel für die Krebs-Immuntherapie in der Pipeline.

Pfizers Konzernkassen sind gut gefüllt

Branchenexperte Andrew Baum von der Citigroup bezifferte die Wahrscheinlichkeit auf 90 Prozent, dass Pfizer dieses Mal mit einem Angebot von mindestens 49 Pfund je Aktie Erfolg haben wird - in diesem Fall wäre die Übernahme mehr als 100 Milliarden Dollar schwer. Im Januar hatte Pfizer mit einem Angebot von 46,61 Pfund je Anteilsschein einen Aufschlag von 30 Prozent auf den damaligen Aktienkurs geboten. Nach dem britischen Übernahmerecht muss Pfizer nun bis zum 26. Mai entscheiden, ob es ein konkretes Angebot vorlegt oder doch den Rückzug antritt.

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Pfizer käme derzeit eine große Übernahme im Ausland gelegen, weil der Konzern mehrere zehn Milliarden Dollar in der Kasse hat, die von ausländischen Töchtern verdient wurden. Wenn Pfizer dieses Geld in die USA zurückführt, werden hohe Steuern fällig.

AstraZeneca rechnet 2014 mit einem rückläufigen Umsatz und Gewinn, weil der Schutz für das Anti-Sodbrennen-Mittel Nexium ab Mai in den USA endet. Für das mit Abstand umsatzstärkste Mittel, den Cholesterinsenker Crestor, läuft der Patentschutz in den USA 2016 aus.

Deal würde zu größten Fusionen weltweit zählen

Pfizer kämpft mit ähnlichen Problemen - beispielsweise bei der Potenzpille Viagra oder dem Cholesterinsenker Lipitor. Zuletzt waren die Einbußen aber nicht mehr ganz so heftig. Pfizer hat bereits einige große Zukäufe gestemmt, den letzten 2009 mit dem Erwerb des US-Konkurrenten Wyeth für 68 Milliarden Dollar.

Sollte Pfizer bei AstraZeneca zum Zug kommen, wäre es die größte Übernahme einer britischen Firma durch einen ausländischen Konkurrenten. Der Deal würde es auch in die Rangliste der weltgrößten Fusionen überhaupt schaffen. Diese hatte in jüngster Zeit wieder vermehrt Zulauf bekommen - etwa durch den Ausstieg von Vodafone bei Verizon Wireless für 130 Milliarden Dollar. (Reuters)