Essen. Am 22. Juni läuft in Deutschland der Patentschutz für die Potenzpille Viagra aus. Dann muss sich der amerikanische Pharma-Riese Pfizer den Markt teilen: 28 Nachahmer-Medikamente haben Zulassungen, die ersten werden wohl am Montag zu haben sein. Im vergangenen Jahr haben Männer in Deutschland 39,6 Millionen Euro für Medikamente gegen Erektionsstörungen ausgegeben.
Dafür, dass die Entwicklung von Viagra auf einem Zufall beruht, hat die Potenzpille dem US-Pharmakonzern Pfizer ordentlich was eingebracht: Mehr als 24 Milliarden US-Dollar Umsatz – umgerechnet rund 18 Milliarden Euro – hat das Medikament dem Pharma-Riesen seit der Markteinführung 1998 weltweit beschert. Diesen gigantischen Kuchen muss das US-Unternehmen ab Samstag teilen. Am 22. Juni läuft der Patentschutz für die Tablette gegen Erektionsstörungen in Deutschland aus, gleich 28 Nachahmerprodukte – wirkstoffgleiche Kopien der Arznei, sogenannte Generika – haben eine Zulassung. Marktkenner erwarten den Start der ersten Produkte am Montag
Um den Billigmarkt nicht komplett anderen Herstellern zu überlassen, hat Pfizer selbst schon Anfang Juni ein Generikum auf den Markt gebracht. Und macht diese Rechnung auf: Das Original-Medikament, die blaue Tablette in Rauten-Form, kostet 10,30 Euro pro Stück, Sildenafil Pfizer, rautenförmig, aber Weiß, kostet 2,50 Euro das Stück. Weit darunter wird wohl auch die Konkurrenz nicht gehen, heißt es in der Branche; vielmehr würden wohl einige Unternehmen beim Marketing kreativ.
Potenzpillen werden für Kunden viel billiger
Denn Medikamente gegen Erektionsstörungen gelten in den meisten Fällen nicht als medizinisch notwendig, sondern werden als „Lifestyle“-Produkte eingestuft. Das heißt: Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht, Betroffene bezahlen das Medikament komplett selbst. Deshalb wird sich der erlöschende Patentschutz für die Verbraucher sehr viel spürbarer auszahlen als bei anderen Arzneien: Sie profitieren, anders als bei Medikamenten mit Zuzahlung, ganz direkt von den niedrigeren Preisen der Generika. Zwischen April 2012 und April 2013 haben Männer in Deutschland nach Branchen-Erhebungen rund 39,6 Millionen Euro für Tabletten gegen Potenzstörungen ausgegeben.
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Der Markt wird sich verschieben. Urologe Wolfgang Bühmann, Sprecher des Berufsverbandes der Deutschen Urologen, glaubt zwar auch, dass durch den niedrigeren Preis tatsächlich mehr Männer als bislang zu Potenzpillen mit dem Wirkstoff Sildenafil greifen werden. Dennoch sei klar: „Pfizer wird Marktanteile abgeben.“
Nicht nur Pfizer muss sich auf den sich verändernden Markt einstellen. Die Patente auf andere Medikamente gegen Erektionsstörungen – Levitra von Bayer und Cialis von Lilly Pharma – laufen zwar noch. Doch auch die müssten sich jetzt sehr konkret „Gedanken über die Preisgestaltung“ machen, sagt Mediziner Bühmann, denn die Tabletten wirken im Grunde genau so wie Viagra und die Generika. Der Wettbewerb dürfte hart werden. Alle werden in Deutschland (weiter) verschreibungspflichtig sein,
Warum Männer für Potenz-Medikamente zum Arzt müssen
Warum muss ein "Lifestyle"-Produkt vom Arzt verschrieben werden? "Es gibt zwei gefährliche Nebenwirkungen", erklärt Bühmann. Wenn der Wirkstoff Sildenafil mit bestimmten Herzmedikamenten kombiniert werde, "kann es zu einem gefährlichen Absinken des Blutdrucks kommen. Außerdem könnten manche Männer, die ohne Arznei keinen Geschlechtsverkehr mehr haben können, die körperliche Belastung nicht mehr aushalten. Die Todesfälle, die in den ersten Jahren nach der Viagra-Einführung in den Medien Thema waren, seien - wenn sie denn überhaupt in einem Zusammenhang stünden - auf eine Überlastung des Patienten zurückzuführen gewesen.
Viagra, Levitra und Cialis werden bei "Erektiler Dysfunktion", also Erektionsstörungen verschrieben - wenn der Penis nicht steif genug wird für den Geschlechtsverkehr oder die Erektion nicht lang genug besteht. Die Wirkstoffe Sildenafil (Viagra), Tadalafil (Cialis) und Vardenafil (Levitra) bewirken, dass die Blutgefäße im Penis erst weit gestellt werden, so dass genug Blut einströmen kann, und dann für eine Zeit eng gestellt werden, damit es nicht zu schnell wieder abfließt.
Körperliche Ursachen für Erektionsstörungen am häufigsten
Die häufigsten Ursachen für Erektionsstörungen seien körperlicher Art, erklärt der Urologe. Etwa das Alter: "Als Menschen nur 40 Jahre alt wurden, kannten wir das Problem noch nicht. Der Mensch ist zur Arterhaltung gedacht, alles andere ist Hobby", sagt Bühmann. Mit der Zeit erschlafften eben die Gefäße: "Kein Mann muss sich schämen, das kriegt praktisch jeder." Erektionsstörungen können auch Begleiterscheinungen von Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkankungen sein. Bühmann: "Wir Urologen sind oft die ersten, die eine Herzstörung feststellen" - das Problem sei häufig das erste Symptom.
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Viele empfinden Erektionsstörungen als Verlust von Männlichkeit, sagt der Mediziner. Er habe schon Fälle erlebt, in denen Männer deshalb in tiefe Depressionen verfallen und dadurch arbeitsunfähig geworden seien. Bühmann: "Es gibt Männer, die denken: Ohne einen funktionsfähigen Penis bin ich nichts." Er erkläre den Patienten aber auch, dass Viagra oder vergleichbare Medikamente keine Beziehung verbesserten: "Sie verbessern nur die Erektion des Mannes." Und Pfizer selbst betont: Das Medikament ist kein Aphrodisiakum, steigert also nicht die Lust. Es wirkt nur, wenn der Mann, der die Tablette genommen hat, auch sexuell stimuliert wird.
Der Preis - bislang je nach Packungsgröße und Dosierung bis zu zwölf Euro pro Viagra-Tablette - spiele für einige Männer eine große Rolle, berichtet Bühmann. Wenn jemand frage, warum das so teuer sein müsse, bekommen sie von dem Urologen das zu hören: "Wenn ihr zu zweit ins Kino geht, zahlt ihr mit Popcorn und Getränken 25 Euro." Wer zu zweit essen gehe, müsse noch mehr ausgeben. Also: "Wenn ihr für zwölf Euro einen schönen Abend habt, ist das konkurrenzlos günstig."
Diskretion ist den Betroffenen sehr wichtig
Neben dem niedrigeren Preis wird es nach dem Auslaufen des Patentschutzes für Viagra stärker als bei anderen Arzneien auch um Marketing-Faktoren gehen, glauben Marktkenner – etwa die Diskretion, die beim sensiblen Thema Erektionsstörungen ein große Rolle spielt: Wie unscheinbar sieht die Verpackung aus? Da kann das Original nicht mithalten, den Namen Viagra kennt eben fast jeder. Es stellten sich aber auch, sagt ein Branchen-Experte, der nicht genannt werden möchte, Fragen wie diese: „Wie nehmen Sie einen Kunden an die Hand, ohne ihm das Gefühl zu geben, er ist ein Schwächling?“
In Deutschland haben Studien zufolge 20 Prozent der Männer zwischen 30 und 80 Jahren Erektionsstörungen. Patienten, denen Ärzte Viagra verschreiben, sind im Schnitt 60 Jahre alt – seit 1. Oktober 1998, der Einführung des Medikaments, haben mehr als eine Million Männer in Deutschland ein Rezept bekommen. Weltweit sind nach Unternehmensangaben bis heute 37 Millionen Männern mehr als 1,8 Milliarden Tabletten verschrieben worden. Damit gehöre Viagra zu den am meisten verordneten Medikamenten, sagt Pfizer-Sprecher Thomas Biegi.
Viagra gilt als das am häufigsten gefälschte Medikament
Keine schlechte Bilanz für eine Substanz, die zur Behandlung von Herzkrankheiten gedacht war. Als die Forscher Sildenafil testeten, stellte sich heraus, dass die Teilnehmer der Studie häufiger Erektionen bekamen. Daraufhin startete Pfizer Pilotstudien mit Sildenafil zur Behandlung von Erektionsproblemen, die die Wirkung des Stoffes bestätigten.
Was die Entwicklung der blauen Pille gekostet, gibt der US-Konzern nicht bekannt. Nur so viel: Die Entwicklung eines neuen Medikaments dauere durchschnittlich zehn bis 15 Jahre und koste rund 800 Millionen US-Dollar.
Es ist ein riesiger Markt, an dem auch Produkt-Piraten mitverdienen wollen: Viagra gilt als das mit Abstand am häufigsten gefälschte Medikament. Nach Unternehmensangaben zogen Behörden im vergangenen Jahr weltweit 4,6 Millionen gefälschte Pfizer-Tabletten aus dem Verkehr – 4,1 Millionen waren Viagra-Fälschungen, 2011 wurden sogar 9,7 Millionen gefälschte Viagra-Tabletten beschlagnahmt.