Washington. Amazon-Chef Jeff Bezos hat sich für 250 Millionen Dollar die Zeitung gekauft, die Präsident Nixon gestürzt hat. Bei der “Washington Post“ geht nach acht Jahrzehnten die Ära Graham zu Ende. Wieder rettet ein Milliardär eine Zeitung - und mit Bezos kommt die Erfahrung von Internetriese Amazon quasi gleich mit.
Wieder ist eine große Verlegerfamilie geschäftsmüde geworden. Für die Medienwächter der „Columbia Journalism Review“ markiert der mittels 250 Millionen Dollar bewerkstelligte Kauf der Traditionszeitung „Washington Post“ durch den Besitzer des größten Internet-Einzelhändlers der Welt, Jeff Bezos von Amazon, einen „Meilenstein“ in der Geschichte des Zeitungsgewerbes.
In Anspielung auf jüngste Akquisitionen des Börsen-Gurus Warren Buffett, der knapp 75 Regional-Blätter und einen hübschen Aktien-Batzen der „Washington Post“ sein Eigen nennt, und die Übernahme des „Boston Globe“ durch John Henry, den reichen Besitzer der Sport-Vereine FC Liverpool (Fußball) und Boston Red Sox (Baseball), verkündeten die Journalismus-Wissenschaftler: „Wir haben im Zusammenbruch der Zeitungslandschaft jetzt offiziell die Rettungsphase der Milliardäre eingeläutet - was auch immer daraus werden wird.“ Und was wird daraus?
Für die 2000-köpfige Belegschaft des 1877 gegründeten Hauptstadt-Blattes, das seit Hitlers Machtergreifung acht stolze Jahrzehnte im Besitz der Familie Graham stand, blieb noch so recht keine Zeit, den Überraschungs-Mediencoup des Jahres zu analysieren. „Niemand wusste was“, sagte ein konsternierter Politik-Redakteur am Telefon, „bevor Don Graham die Truppen zusammenrief und eine Mischung aus Aufbruch und Offenbarungseid ablieferte.“
Fast die Hälfte der verkauften Auflage in 20 Jahren verloren
Der Sohn der legendären Verlegerin Katherine Graham, ohne deren Rückgrat das Duo Carl Bernstein/Bob Woodward in den 70er Jahren niemals den Watergate-Skandal hätte aufdecken und damit das Ende der Präsidentschaft von Richard Nixons einläuten können, beschrieb am Montagnachmittag als Chef der börsennotierten Company ausgiebig das wirtschaftliche Auf-der-Stelle-treten in der jüngeren Vergangenheit.
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Im ersten Halbjahr 2013 machte das Haus 50 Millionen Dollar Verlust. Binnen 20 Jahren hat die „Post“ fast die Hälfte der verkauften Auflage verloren, zuletzt wurden noch rund 450 000 Exemplare vertrieben. Einbrechende Anzeigenerlöse und der von Verlegern allzu lange passive beobachtete Siegeszug von Gratis-Nachrichten im Internet lauten, wie auch in Deutschland, die wichtigsten Stichworte für die Misere.
Grahams Schlüsselsatz über den Verkauf nach sieben Jahren Verlust in Reihe - „Das Zeitungsgeschäft brachte zuletzt immer neue Fragen auf, auf die wir keine Antwort haben“ - nahmen hauseigene Starschreiber wie der Politik-und-Wirtschaftsautor Ezra Klein zum Anlass, im eigenen Blatt (die dürfen das) von einem „Schock“ zu schreiben. Mit dem Rückzug der Grahams bleibt der Ochs-Sulzberger-Clan der „New York Times“ der letzte in der Geschichte der großen Zeitungseigentümer-Familien.
Jeff Bezos' Privatvermögen auf über 25 Milliarden Dollar geschätzt
Ezra Kleins Erschrecken dürfte weniger dem Tatbestand geschuldet gewesen sein, dass der Kaufpreis für den auf über 25 Milliarden Dollar Privatvermögen taxierten Asketen Bezos eher Spielgeld darstellt, als vielmehr der Ratlosigkeit über das, was nun kommt. „Ein Newsroom ist doch kein Warenlager“, sagte ein besorgt klingender Korrespondent des Blattes in Washington in Anlehnung an das Amazon-Kerngeschäft.
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Bezos hatte zuletzt zwei Duftmarken gesetzt, die aufhorchen ließen: a) in 20 Jahren wird es keine gedruckten Zeitungen mehr geben, b) das Publikum wird für Nachrichten im Internet niemals nennenswert Geld zahlen, weil es durch die Gratis-Kultur „versaut“ ist. Droht der „Post“ also ein radikaler Umbau zum digitalen Vollsortimenter abseits von Journalismus, verbunden mit drastischen Kürzungen bei Mensch und Material? Allem Anschein nach vorerst nicht.
Die Linie der "Washington Post" soll weiter verfolgt werden
In einer in der Zeitungsgilde mit Anerkennung registrierten Erklärung versuchte der 49-jährige Neubesitzer viele Bedenken zu zerstreuen: Herausgeberin Katherine Weymouth, eine Graham-Enkelin, und Chefredakteur Martin Baron - bleiben.
Die Linie des Blattes, das immer noch, wenn auch nicht mehr so oft wie früher, an relevanten Enthüllungen beteiligt ist - bleibt auch. „Unsere Verpflichtung gegenüber dem Leser wird weiter im Zentrum dieser Zeitung stehen, wohin immer uns die Wahrheit auch führen mag“, sagte Bezos.
Bei Don Graham hörte sich das vor einigen Jahren etwas bodenständiger so an: „Wir sind keine nationale Zeitung. Wir sind eine Lokalzeitung für einen Ort, der zufällig die Hauptstadt der Vereinigten Staaten ist. Wir schreiben für die Regierenden, aber auch für jene, die ihre Büros putzen."
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Jeff Bezos will im Tagesgeschäft am Potomac nach eigenem Bekunden keine Schlagzeilen machen. Was auch schwierig würde, will der nebenberuflich noch in Raumfahrt und anderen Extravaganzen (etwa eine Uhr in Texas, die 10 000 Jahre lang verlässlich schlagen soll...) tätige Unternehmer doch mit Gattin Mackenzie im anderen Washington, dem Bundesstaat an der Westküste bleiben. Von Seattle aus soll Amazon weiter gegen Apple und Google zum global dominierenden Online-Kaufhaus geformt werden.
Ob der „Post“ hier publizistische Büchsenspanner-Gefälligkeiten abverlangt werden? Kurzfristig, mutmaßen Medienkritiker anderer Publikationen, sei mit Zweckentfremdung nicht zu rechnen. Auf Dauer? Abwarten.
Kann die "Washington Post" von Amazon profitieren?
„Post“-Bedienste, die dem Geschäft positive Züge abgewinnen wollen, zumal von den branchenüblich einfallslosen Stellenstreichungen nirgends die Rede ist bisher, erinnern an das „große Pfund“, mit dem Amazon wuchern könnte. Das seit 1995 mit schmalen Gewinn- und großen Umsatzmargen stetig wachsende Unternehmen habe „sehr früh verstanden, dass exaktes Detail-Wissen über die individuellen Vorlieben der Kunden der Schlüssel zum Erfolg im Internet ist“.
Unter Ausnutzung von Kundenrezensionen habe Amazon zuletzt immer präzisere Kaufempfehlungen machen können. So präzise, dass die Firma in den USA vor Google inzwischen die wichtigste Einflugschneise bei der Online-Recherche nach Produkten aller Art sei. In der Redaktion der „WaPo“ möchte man sehr gerne daran glauben, dass von diesem Wissens- und Imagevorsprung auch eine dümpelnde traditionsreiche Tageszeitung profitieren könnte.