Washington. . Als der Watergate-Skandal vor 40 Jahren aufflog, erwachte bei der Boutique-Besitzerin Tina Winston der Geschäftssinn. Die Frau aus Washington betrieb eine Mode-Boutique im Erdgeschoss des Watergate-Blocks. Winston ließ aus Paris Schals mit der Watergate-Widmung einfliegen. Und die Touristen strömten herbei.

Tina Winston kann sich an den Tag noch gut erinnern, als sie plötzlich wieder vor der Tür stand, die zu Amerikas größtem Polit-Skandal führte. Gemeinsam mit Tochter Gigi war die heute 85-Jährige vor einiger Zeit im Washingtoner „Newseum“ unterwegs; einer staunenswerten Pilgerstätte für Anhänger der jüngeren Zeitgeschichte und ihrer journalistischen Nachbereitung.

„Plötzlich stand sie da in einer Vitrine vor mir.“ Jene Tür, die ein aufmerksamer Wachmann am 17. Juni 1972 nachts im Treppenhaus des Watergate-Komplexes erneut mit einem Klebestreifen versehen vorfand, nachdem er kurz zuvor bereits ein Stück Tapete an gleicher Stelle heruntergerissen hatte. Der Rest ist Geschichte.

Plötzlich strömten Touristen und Schaulustige herbei

Der Wachmann rief die Polizei. Die machte fünf Einbrecher in Suite 610 im sechsten Stock dingfest. Sie hatten auf Geheiß von ganz oben im damaligen Wahl-Hauptquartier der demokratischen Partei Abhöranlagen installiert. Die Ermittlungen, vorangetrieben und publizistisch begleitet vor allem von den später mit Preisen überhäuften „Washington Post“-Reportern Bob Woodward und Carl Bernstein, führten alsbald bis ins Weiße Haus. Dort tat sich nach und nach ein System von Bespitzelungen und illegalem Tun rund um Präsident Richard Nixon auf, wie Amerika es bis dahin nicht für möglich gehalten hätte.

Machtmissbrauch, Behinderung der Justiz, Vertuschung, Bestechung, Erpressung. Die Anschuldigungen gegen Nixon waren so erdrückend, dass er 1974 dem drohenden Amtsenthebungs-Verfahren zuvorkam. Durch seinen Rücktritt. Tina Winston kannte die Tür, mit der alles anfing, gut. Ihr Ehemann Henry war damals General-Manager des gewaltigen Appartement- und Bürokomplexes, den der römische Architekt Luigi Moretti in den 60er Jahren so unübersehbar waben- und wellenartig an das Ufer des Potomac-Flusses gepflanzt hatte.

„In der frühen Phase des Skandals“, erzählt die pensionierte Immobilien-Maklerin, „kamen Sicherheitsbeamte vom FBI zu meinem Mann und baten ihn, die Tür in einem Abstellraum aufzubewahren.“ Wie sie dreißig Jahre später ins Museum gekommen ist? „Keine Ahnung.“ Es hört sich so an wie: Ist das denn wichtig?

Tina Winston ließ aus Paris Schals mit einer Watergate-Widmung einfliegen

Die in Ägypten geborene Bankierstochter wohnt seit 1974 im Watergate-Komplex. Tür an Tür mit den Erinnerungen an die Mutter aller politischen Skandale. Und doch ganz unbeteiligt, ganz weit weg. „Wir wussten von nichts“, erzählt sie den Besuchern aus Deutschland oben im 11. Stock des Süd-Gebäudes, das vom Balkon den Blick in eine mondäne Idylle mit viel Wasser und Natur freigibt.

Als die ersten Berichte in der Zeitung über den Einbruch der Handlanger Nixons bei den Demokraten erschienen waren und die Polizei-Besuche allmählich abnahmen, erwachte in der zierlichen Frau der Geschäftssinn.

Winston betrieb zu der Zeit eine kleine Mode-Boutique im Erdgeschoss des noch heute gut 600 Luxus-Wohnungen bietenden Watergate-Blocks, den bis dahin kaum jemand kannte. „Plötzlich strömten Schaulustige und Touristen herbei.“ Tina Winston ließ aus Paris Schals mit einer Watergate-Widmung einfliegen und verschenkte sie.

Der Getränkeladen nebenan füllte normales Wasser in „Original Watergate Water“ ab. Lohnende Investitionen. „Der Skandal hat den Vermietungsstand in die Höhe schnellen lassen.“ SGI, die damalige italienische Eigentümer-Gesellschaft der Wohn- und Büroanlage, die bis heute mit ihrer eigenen Bäckerei, der Post- und Bankfiliale, dem Friseur-Salon und den kleinen Geschäften wie eine Stadt in der Stadt wirkt, machte blendende Geschäfte. „Es war immer etwas Besonderes, hier zu leben”, sagt Tina Winston.

Fußläufige Nähe zum quirligen Ausgehviertel

Noch heute reichen die Preise für Wohnraum im Watergate-Kiez von 350.000 Dollar für ein Mini-Appartement bis zu 3,5 Millionen für eines mit vier Schlafzimmern und einem Mega-Balkon. Die fußläufige Nähe zum quirligen Ausgehviertel Georgetown, dem Musen-Tempel Kennedy-Center und dem Amtssitz des Präsidenten hat eine illustre Eigentümergemeinschaft angezogen, die von Condoleezza Rice, Ex-Außenministerin, bis zum früheren Präsidentschaftskandidaten Bob Dole reichte.

Richard Nixon habe damals „Recht und Ordnung“ versprochen und nichts davon eingehalten, meint Winston. 40 Jahre danach habe sich nichts wirklich geändert. Ob Watergate wieder passieren kann? „Aber ja doch”, entgegnet Tina Winston. Geld und Lobbyismus, zwei Grundübel des amerikanischen Politik-Alltags seien „sehr lebendig und zu allem fähig”. Man muss manchmal nur durch eine Tür gehen.