Düsseldorf. . Neue Anlagen sind nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch Unfug, sagt Claudia Kemfert, Expertin für Energiewirtschaft. Sie fordert einen konsequenteren Umbau vom Kohle-Land NRW zum „Land der Erneuerbaren Energien“. Bislang rangiere Nordrhein-Westfalen beim Ausbau der Erneuerbaren „nach wie vor auf Platz 12 weit abgeschlagen“, so Kemfert, „da tut sich einfach noch zu wenig“.

Hätte die CDU vor einem Jahr die Landtagswahl gewonnen, wäre Claudia Kemfert wohl jetzt Energieministerin in Düsseldorf. Doch so ist die Professorin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin geblieben was sie war: Eine der renommiertesten deutschen Fachleute im Spannungsfeld von Ökonomie von Ökologie. NRZ-Redakteur Thomas Rünker traf die vehemente Verfechterin der Energiewende jetzt in Düsseldorf.

Frau Professor Kemfert, Sie plädieren für einen Umbau vom Kohle-Land Nordrhein-Westfalen zum Land der Erneuerbaren Energien – wie kann der gelingen?

Claudia Kemfert: Die Energiewende hat für jedes Bundesland zwei wichtige Eckpfeiler: Einerseits die Verbesserung der Energieeffizienz – nicht nur beim Strom, sondern auch bei Wärme oder Mobilität. Und andererseits der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien. Im letzteren Bereich ist Nordrhein-Westfalen im Bundesvergleich nach wie vor auf Platz 12 weit abgeschlagen. Da tut sich einfach noch zu wenig.

Immerhin hat NRW das erste deutsche Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht…

Kemfert: Das war in der Tat ein erster, guter Schritt. Aber jetzt geht es darum, dieses Konzept mit einer langfristigen Strategie zu begleiten, in der der Bau neuer Kohlekraftwerke unattraktiv wird. Umweltminister Johannes Remmel hat gute Ansätze für den Ausbau Erneuerbarer Energien gestartet – jetzt muss er noch deutlicher als bislang auf den endgültigen Ausstieg aus der Kohle drängen.

Weshalb genau?

Kemfert: Kohlekraftwerke produzieren nicht nur zu viele Treibhausgase – sie sind auch viel zu inflexibel. In Kombination mit Erneuerbaren Energien brauchen wir dezentrale Anlagen, die man leicht hoch- und herunterfahren kann – zum Beispiel auf Gas oder Biomasse basierte Blockheizkraftwerke, die man gut miteinander kombinieren kann.

Bis zum Jahr 2020 soll die Windkraft in NRW 15 Prozent zur Stromerzeugung beitragen, insgesamt soll der Anteil der Erneuerbaren Energien bis 2025 sogar bei 30 Prozent liegen – das klingt doch ganz ambitioniert, oder?

Kemfert: Diese Ausbau-Ziele sind vollkommen richtig. Meine Sorge ist nur, dass man zwei Systeme schafft, die sich nicht ergänzen. Der Aus- und Neubau von Kohlekraftwerken ist mit einer nachhaltigen Energiewende nicht kompatibel.

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Von Tobias Blasius und Matthias Korfmann

Ist dann auch der Neubau des umstrittenen Eon-Kraftwerks in Datteln überflüssig?

Kemfert: Überflüssig nicht unbedingt, es gibt durchaus Bedarf. Allerdings hätte man statt auf Kohle besser auf Gas oder Biomasse basierte Kraft-Wärme-Kopplung setzen sollen.

In NRW gehen in den nächsten Wochen mit den Anlagen in Duisburg-Walsum, Lünen und Hamm mindestens drei neue Kohlekraftwerke ans Netz. Fehlinvestitionen nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen?

Kemfert: Ja, eindeutig. Nach unseren Studien kann kein neues Kohlekraftwerk mehr dauerhaft langfristig wirtschaftlich betrieben werden, egal an welchem Standort. Das sind stranded investments (englisch für „gestrandete Investitionen“, Investitionen, die sich nach einer Änderung der Marktbedingungen nicht mehr rentieren, Anm. d. Red.). Vielleicht noch nicht heute, aber die Situation wird sich verschärfen, weil die Betriebsdauern zurückgehen, weil der Kohlepreis wieder steigen wird und weil man davon ausgehen kann, dass die CO2-Preise wieder steigen werden.

Aber was sagen Sie zum Beispiel Stadtwerke-Vertretern, die in Lünen noch 2007 mit ihrem Kohlekraftwerk-Projekt als Alternative zu den Großkonzernen und zur Atomkraft gelobt wurden – und die nun vor miserablen wirtschaftlichen Aussichten stehen?

Kemfert: Im Kraftwerksbau betreffen Entscheidungen immer gleich Jahrzehnte. Aber auch 2007 war schon absehbar, dass Klimaschutz künftig eine größerer Rolle spielen und man stärker auf Erneuerbare Energien setzen würde. Mir ist nicht einsehbar, warum man damals mit den Kohlekraftwerken eine Strategie eingeschlagen hat, die derart dem entgegensteht, was man auch damals schon politisch beschlossen hatte – zum Beispiel die europäischen Emissionsminderungs-Ziele.

Ihr neues Buch heißt „Kampf um Strom. Mythen, Macht und Monopole“ – kann Rot-Grün in NRW diese Macht brechen?

Kemfert: Es gibt Kräfte, die die Energiewende immer wieder torpedieren. Da ist es eine große Herausforderung, auch diese Akteure dazu zu bringen, die neuen Geschäftsfelder der Energiewende für sich zu erschließen. In Nordrhein-Westfalen verharrt man da sehr stark in der Vergangenheit. Dabei hat man gerade hier die Chance, den Strukturwandel nun im Bereich der Energiewende fortzusetzen. Da könnte man einmal deutlich machen, dass man auch Vorreiter sein kann – weg von der Kohle, hin zu Erneuerbaren Energien, Lastmanagement (eine bessere Abstimmung von Stromproduktion und –verbrauch, Anm. der Red.), Energieeffizienz, virtuellen Kraftwerken…

Die Grünen wären da sicher bei Ihnen – aber die Sozialdemokraten?

Kemfert: In der Vergangenheit war die SPD in Nordrhein-Westfalen in der Tat sehr Kohle-affin. Aber Zeiten können sich ja ändern. Da würde ich mir jetzt schon eine konsequentere Umsetzung der Energiewende in allen Bereichen wünschen.

Was würden Sie anders machen, wenn Sie heute NRW-Energieministerin wären?

Erneuerbare Energien stehen in Konkurrenz zu konventionellen Kohlekraftwerken.
Erneuerbare Energien stehen in Konkurrenz zu konventionellen Kohlekraftwerken. © dpa

Kemfert: Ich wäre ja nur Energieministerin in einer CDU-Landesregierung unter Führung von Norbert Röttgen geworden. Damals wollte sich die CDU sehr stark für den Ausbau der Erneuerbaren Energien einsetzen und eine klare Strategie für den Wandel der Energieerzeugung in diesem Land umsetzen – mit allen Konsequenzen. Dafür würde ich auch heute eintreten.

Gerade hier in Nordrhein-Westfalen beklagt die Industrie immer wieder die angeblich so hohen Belastungen durch die Energiewende. Ist das gerechtfertigt?

Kemfert: Viele Unternehmen profitieren von zahlreichen Ausnahmen, sie zahlen wenig bis gar keine EEG Umlage, Öko-Steuer oder Emissionszertifikate. Aber auch andere Unternehmen können insbesondere von den gesunkenen Börsenpreisen profitieren. Unsere Börsen-Strompreise gehören derzeit zu den niedrigsten in Europa.

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Viele sehen die großen Konzerne wie RWE oder Eon beim Blick auf die Energiewende nach wie vor eher als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung.

Kemfert: Ich sehe sie schon auch als Teil der Lösung – nur muss von den Konzernen noch deutlich mehr kommen als das, was sie bisher gestartet haben. Einiges muss man ihnen schon zugute halten – zum Beispiel, dass sie neue Geschäftsmodelle entwickelt haben wie Contracting oder Lastmanagement und zum Teil auch schon stark in Erneuerbare Energien investiert haben. Aber dies nützt nichts, wenn dieser Strategiewechsel nur halbherzig vollzogen wird, und nicht mit der ganzen Wucht, die diesen Konzernen möglich wäre.

Wie löst man das Problem der derzeit viel zu günstigen CO2-Verschmutzungsrechte?

Kemfert: Die aktuellen Preise für CO2-Zertifikate sind in der Tat so günstig, dass sie keinerlei Anreiz bieten, in klimaschonende Technik zu investieren. Der Emissionshandel muss wiederbelebt werden. Da ist es gut, dass das Europaparlament sich nun darauf geeinigt hat, eine große Menge Zertifikate eine Zeit lang aus dem Handel zu nehmen, um so das Angebot zu verknappen. Ich hoffe sehr, dass auch die entsprechenden Preissignale zu erwarten sind. Wenn nein, droht die Gefahr, dass einzelne EU Länder ihre eigenen CO2 Preise und Vorgaben entwickeln. Europa braucht aber eine einheitliche Klimapolitik.

Nach dem deutlichen Strompreisanstieg für viele Kunden am Jahresanfang droht bereits der nächste Anstieg der EEG-Umlage. Wie bleibt die Energiewende sozial ausgewogen und bezahlbar?

Kemfert: Wir haben in einer Studie festgestellt, dass die Stromkosten eines Durchschnittshaushalts etwa drei Prozent der Gesamtkosten ausmachen, bei einkommensschwachen Haushalten sind es etwa fünf Prozent. Viel größer sind die Kostenbelastungen im Bereich der Mobilität und Gebäudeenergie. Wenn man – wie übrigens viele Sozialverbände selbst vorschlagen- über eine sozial verträgliche Energiewende entscheiden will, muss man hier Abhilfe schaffen, über höhere Einkommen und über finanzielle Unterstützung beim Energiesparen. Leider wird all dies in der öffentlichen Debatte über die Energiewende aber meist ausgeblendet, um stattdessen die Ökoenergien als unsoziale Preistreiber zu diskreditieren.

Apropos Mobilität: Jüngst wetterte Bahn-Chef Grube, der immer mehr Fernzüge mit Ökostrom fahren lassen will, dass ökologisches Reisen durch die EEG-Umlage sogar noch bestraft werde.

Kemfert: Diese Beschwerde kann ich nicht nachvollziehen – schließlich ist die Bahn von der EEG-Umlage befreit. Die Bahn bezieht zu kleinen Teilen Ökostrom aus Wasserkraftwerken. Das ist in Ordnung – kann die Bilanz der Bahn aber nicht soweit nach oben treiben, dass ein „grünes“ Image der Bahn gerechtfertigt wäre. Der größte Teil des Bahnstroms kommt aus konventionellen Kohlekraftwerken. Schön wäre, wenn die Bahn ihr Image ernster nähme und ihren Kraftwerkspark hin zu mehr Erneuerbaren Energien umstellen würde.

Muss das EEG, also die Umlagefinanzierung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien, nicht dennoch grundlegend reformiert werden?

Kemfert: Im Moment gibt es ein Überangebot an konventionellem Strom. Dadurch sinkt der Preis an der Börse – und die EEG-Umlage steigt. Um die Energiewende umzusetzen, braucht es also weiter stärkere Anreize, in Erneuerbare Energien und innovative Techniken zu investieren. Zudem benötigen wir einen Ausbau von intelligenten Netzen, ein Last- und Energiemanagement und zukünftig mehr Speicherlösungen. Hierfür bietet das EEG gute Rahmenbedingungen und genügend Flexibilität, das System anzupassen. Über die kurzfristige Anpassung von Vergütungssätzen, eine faire Verteilung der Lasten oder aber Abschaffung von Marktprämien kann man durchaus diskutieren, aber die übertriebene Hast und Eile, mit der das Thema EEG derzeit diskutiert wird, ist aus meiner Sicht völlig unangebracht.