Essen. Mehrfach bereits kamen Züge am abschüssigen Kölner Hauptbahnhof ungewollt ins Rollen - weil die Bremsen nicht fixiert waren. Dieses Sicherheitsrisiko drohe auch bei dem Milliardenprojekt Stuttgart 21, kritisiert das Magazin Frontal 21. Denn der Stuttgarter Bahnhof wird alles andere als eben.
Das Prinzip des Seifenkistenrennens lässt sich auch auf tonnenschwere Züge übertragen. Steht ein Zug an einem Bahnsteig mit Gefälle, kommt er leicht ins Rollen - wenn die Bremsen nicht fixiert wurden. In Köln geschah dies bereits mehrmals. Denn die Gleisstrecke am Kölner Bahnhof ist nicht eben: "Seit 2009 wurden 13 solcher Ereignisse am Kölner Hauptbahnhof gemeldet, davon waren sechs im Jahr 2013. Insgesamt wurden seit 2009 bei solchen Vorfällen sechs Personen leicht verletzt", berichtet Moritz Huckebrink. Nach Angaben des Sprechers des Eisenbahn-Bundesamts ist damit der Kölner Bahnhof jener mit den meisten dieser Art in Deutschland.
Im gesamten Bundesgebiet sei es in diesem Zeitraum zu zwölf solcher Ereignisse gekommen, so Huckebrink. Auch wenn dabei niemand in das Gleisbett fällt oder anderweitig zu Schaden kommt, müssen die unfreiwilligen Fahrten öffentlich gemacht werden: "Eisenbahnunternehmen haben bei solchen Vorfällen eine Meldepflicht an die Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle." Die 2008 ins Leben gerufene Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes (EUB) kläre "die Ursachen von so genannten gefährlichen Ereignissen im Eisenbahnbetrieb auf", so Huckebrink. Neun dieser 13 Fälle ereigneten sich in Köln mit IC-Zügen, so das Eisenbahn-Bundesamt. Die erste verletzte Person in Köln seit 2008 verzeichnete die Untersuchungsstelle im Jahr 2010, als ein Thalys-Zug unbeabsichtigt ins Rollen kam.
Ursache: Menschliches Versagen
Die wegrollenden Züge in Köln, die aus der Bundesstatistik ausreißen, sind natürlich aufgefallen. Andrea Brandt von der Pressestelle der Bahn NRW sagt hierzu: "Wir haben das untersucht. In der Mehrzahl handelte es sich dabei um Vorbereitungsarbeiten für eine Zugfahrt, etwa eine Bremsprobe." Auch vergaßen Lokführer schlicht, die Bremsen zu betätigen - ein menschlicher Fehler. Dann kann sich auch ein moderner ICE auf eine kurze Geisterfahrt machen. Für Passagiere, die gerade Ein- oder Aussteigen eine durchaus gefährliche Situation.
Andrea Brandt betont, dass man umgehend auf die Ereignisse in Köln reagiert habe: "Es wurde mit den betroffenen Mitarbeitern gesprochen. Wir haben sie für das Thema sensibilisiert." Dazu habe man Merkblätter verteilt, eine Weisung an die Lokführer übermittelt und eine Betriebsprüfung in Köln vorgenommen.
Die Gleise am Kölner Hauptbahnhof haben ein hohes Gefälle
Die Neigung von Gleisstrecken an Bahnhöfen darf eigentlich kein größeres Gefälle als 2,5 Promille aufweisen. Dies besagt die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung. In Köln sind es jedoch 7,9 Promille. "Wir können ja nicht den Kölner Bahnhof planieren", sagt Brandt hierzu. Überschreitungen des Grenzwerts können zugelassen werden. Zum Beispiel wird auch die Gleisstrecke bei Stuttgart 21 abschüssig: Das Eisenbahn-Bundesamt teilt dazu beschwichtigend mit: "Die Längsneigung der Gleise des neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs stellt keine außergewöhnliche Besonderheit in Deutschland dar. Im Netz der Deutschen Bahn AG wird der Regel-Grenzwert der Gleislängsneigung von 2,5 Promille aufgrund zwingender örtlicher Gegebenheiten in einigen Bahnhöfen sowie auch Haltepunkten überschritten." Wie viele Bahnhöfe in NRW zu viel Promille haben, konnte die Deutsche Bahn NRW jedoch nicht mitteilen: "Wir haben hier in NRW 5600 Bahnhöfe und Haltepunkte. Die Gleisanlagen variieren da natürlich." Wichtig sei für solche Fälle die richtige Schulung der Lokführer, so Brandt.
Heiner Geißler sieht Probleme bei Stuttgart 21
Bei dem umstrittenen Milliardenprojekt Stuttgart 21, wird es jedenfalls definitiv noch schräger als in Köln zur Sache gehen. Die ZDF-Sendung Frontal 21 wies in einem Beitrag darauf hin, dass in Stuttgart das Gefälle beinahe sechs Mal größer ist, als der Grenzwert - und das Gefährungspotenzial entsprechend höher sei.
"Die Neigung ist in Stuttgart weitaus stärker, als sie in der Bau- und Betriebsordnung vorgeschrieben ist. Das zuständige Eisenbahnbundesamt hat aber die Ausnahme genehmigt", so Heiner Geißler. Der frühere Stuttgart-21-Schlichter wies bereits während der Schlichtungsgespräche im Jahr 2010 auf das Risiko für die Fahrgäste im neuen Stuttgarter Bahnhof hin.
Er sagt rückblickend: "Die Bahn hat von einem theoretischen Problem gesprochen. Ich habe dann darauf hingewiesen, dass es natürlich kein theoretisches Problem mehr ist, wenn ein Kind verunglücken sollte." Doch menschliche Fehler sind weder in Stuttgart, noch in Köln oder anderen Bahnhöfen auszuschließen. Der ehemalige Bundesminister Geißler sieht hier Besserungsbedarf: "Ausnahmen wird man beim Bau von Bahnhöfen nicht immer ausschließen können. Was man aber verbessern muss, sind die automatischen Bremsen. Dieses technische Neigungsproblem kann man auch technisch lösen."