Stuttgart. Stuttgart 21 wird trotz der Mehrkosten in Milliardenhöhe zu Ende gebaut. Dem Bahn-Aufsichtsrat ist alles andere zu teuer. Es bleiben aber viele Risiken und ein Rechtsstreit um die Mehrkosten. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.

Keine Gnade für den Juchtenkäfer, der in den Bäumen hockt. Keine Schonung für den Steuerzahler, der jetzt zwei Milliarden Euro mehr als geplant aufbringen muss: Stuttgart 21 wird gebaut. Der Aufsichtsrat der Bahn AG hat unter Bauchschmerzen Ja gesagt.

Wie begründet er das Ja?

Ein Baustopp wäre zu teuer. Er könnte alleine zwei Milliarden Euro kosten, davon 500 Millionen Schadenersatz für die angeheuerten Baufirmen. Denn die Hälfte der Aufträge ist vergeben, es klafft die erste Baugrube in der Stuttgarter City, der Nordflügel ist abgerissen und 300 Bäume sind gerodet.

Hat die Bundesregierung die Aufsichtsräte angewiesen?

Nein. Das wäre rechtswidrig. Ihre Vertreter in der Runde sind persönlich verantwortlich.

Gibt es politische Gründe für den Weiterbau?

Im Wahljahr 2013 kann die Kanzlerin kein weiteres Großprojekt-Debakel wie beim Berliner Flughafen gebrauchen. Denn ihre CDU hat durch den früheren Ministerpräsidenten Erwin Teufel das Vorhaben eingefädelt. In der Klemme stecken auch die Sozialdemokraten. 2008 muss ihr Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee von den Mehrkosten gewusst haben. In der grün-roten Südwest-Landesregierung verteidigt die SPD darüber hinaus Stuttgart 21 mit Klauen und Zähnen. Dort ist das Klima seit gestern angespannt.

Warum tut sich der Aufsichtsrat so schwer?

Die Aufsichtsräte sind offenbar nicht mehr von der Wirtschaftlichkeit überzeugt und fürchten Folgen: Müssen sie sich vielleicht vor Gericht verantworten? Bahnhofsgegner haben Strafanzeigen gestellt, in denen Veruntreuung von Steuergeld vorgeworfen wird.

Wer zahlt die Mehrkosten?

Eine ungelöste Frage. 4,5 Milliarden Euro sollte der Tiefbahnhof bisher kosten. Die Bahn hat errechnet, dass diese Summe um mindestens 1,1 Milliarden Euro überschritten wird. Sie hat erklärt, diese selbst übernehmen zu wollen. Knapp eine weitere Milliarde gilt als Risikopolster. Unterm Strich also etwa 6,5 Milliarden Euro. Mehrere Mutmaßungen laufen darauf hinaus, dass am Ende runde zehn Milliarden gebraucht werden könnten. Die Verträge zwischen Bund, Bahn, Land und Stadt Stuttgart sehen vor, dass jetzt über eine Verteilung der Mehrkosten gesprochen wird. Land und Stadt sagen zur Zahlung Nein (Ministerpräsident Kretschmann: „Mir gäbet nix“). Deshalb will die Bahn ihre Partner im Südwesten auf Kostenbeteiligung verklagen.

Gibt es weitere Risiken?

Kritiker sehen das größte in der Funktionsfähigkeit der neuen Bahnhofsanlage. Sie wird acht Gleise haben. Der heutige Kopfbahnhof hat 16. Über die Kapazität gibt es Streit: Angeblich schafft das teure Projekt nur 32 bis 36 Züge pro Stunde statt heute mehr als 40.

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Was fühlt sich der Bahnchef?

Rüdiger Grube muss ein Projekt durchziehen, von dem er nicht überzeugt ist, dass die Bahn es braucht. Es raubt ihm das Geld zum Beispiel für den Rhein-Ruhr-Express (RRX) zwischen Dortmund und Düsseldorf. Dem Vorgänger Mehdorn nimmt er übel, dass die Verträge 2009 kurz vor seiner Amtsübernahme unterzeichnet worden sind. Zudem ist die Entscheidung des Aufsichtsrats, eine projektbegleitende Kontrolle einzurichten, durchaus als Misstrauen zu interpretieren.

Wie geht es weiter?

2013 wird die nächste Baugrube angelegt. 2022 soll der Tiefbahnhof mit fünfjähriger Verspätung ans Netz gehen. Die Schnellstrecke nach Ulm ist dann auch fertig. Fahrgäste sparen zwischen Stuttgart und München gegenüber der heutigen Fahrzeit von 130 Minuten am Ende 24 Minuten ein.