Berlin. Die Kostenexplosion bei Stuttgart 21 verstärkt die Zweifel an dem umstrittenen Bahnprojekt. Dabei gerät die Bahn immer stärker unter Erklärungsdruck. Der Bund als Eigentümer verlangt genauere Angaben, wie der Konzern Mehrkosten von 1,1 Milliarden Euro stemmen will, ehe der Aufsichtsrat grünes Licht dafür geben kann.
Das Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ steht auf der Kippe. Auch die Fachleute im Bundesverkehrsministerium äußern massive Zweifel an dem Großprojekt – für die Fortsetzung des Baus, der bis zu 6,8 Milliarden Euro kosten soll, gebe es derzeit „keine ausreichende Grundlage“. Manager der Deutschen Bahn und Politiker in Berlin sehen nun die Bahnhofs-Befürworterin Angela Merkel am Zug: Die Zukunft von „Stuttgart 21“ werde zur Chefsache der Kanzlerin, heißt es in der Berliner Bahn-Zentrale. Merkel müsse noch vor der Bundestagswahl entscheiden, ob der Tiefbahnhof gebaut werden solle oder nicht.
Eine heikle Abwägung, denn Fachleute in der Regierung gehen längst auf Abstand zu dem Projekt. Ein Dossier des Verkehrsministeriums listet auf 15 Seiten gravierende Ungereimtheiten auf.
1,8 Milliarden Euro mehr
Punkt eins: Die aktuelle Kostenschätzung von 6,8 Milliarden Euro sei nicht belastbar. Punkt zwei: Wie die letzte Kostenanhebung – bis Dezember 2012 war noch von 4,5 Milliarden Euro die Rede – finanziert werden soll, ist endgültig klar; die Bahn will 1,1 Milliarden selbst tragen, der Bund als Eigentümer zögert aber mit der Zustimmung.
Punkt drei ist besonders brisant: Das Bahnhofsprojekt droht für die Bahn unwirtschaftlich zu werden, wenn das Unternehmen von den befürchteten Mehrkosten mehr als 1,8 Milliarden Euro übernähme: Im Dossier ist von einer „negativen Eigenkapitalverzinsung“ die Rede. Ein Insider sagt: „Bleibt es dabei, darf der Bahn-Aufsichtsrat der Fortführung gar nicht zustimmen, schon aus haftungsrechtlichen Gründen.“ Das Verkehrsministerium fordert nun eine neue Wirtschaftlichkeitsberechnung, will Alternativen prüfen lassen.
Fertigstellung dürfte sich bis 2024 verzögern
Punkt vier: Die Fertigstellung des Bahnhofs dürfte sich um drei weitere Jahre bis 2024 verzögern. Fazit der Experten: Die Angaben der Bahnspitze genügten nicht, die ausstehende Entscheidung zur Fortführung von „Stuttgart 21“ sei derzeit nicht zu treffen.
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Daher gibt es in der Bundesregierung Stimmen, die ein rasches Ende für das Projekt fordern. Selbst in Führungskreisen der Bahn heißt es, ein Verzicht auf den Tiefbahnhof habe keine Auswirkungen auf die Abläufe im bundesweiten Schienennetz. Eine Modernisierung des Kopfbahnhofs sei möglich und auch der Bau der Schnellstrecke Stuttgart-Ulm, die Teil des „21“-Projekts ist. Voraussichtlich stünde dann Geld für andere große Verkehrsprojekte zur Verfügung, etwa für den Rhein-Ruhr-Express von Dortmund nach Köln.
Ramsauer: Dass er von dem Großprojekt abrücke sei "Quatsch"
Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) sieht „Stuttgart 21“ wohl skeptisch, hält sich aber bedeckt. Das kritische Dossier spielte der Minister gestern als „Einzelmeinung aus der unteren Ebene“ herunter. Dass er von dem Großprojekt abrücke, sei „Quatsch“. Doch nach der Pleite mit dem Berliner Großflughafen ist Ramsauer auf der Hut, er will eine „offene Debatte“ über die Kosten erzwingen.
Der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses Anton Hofreiter (Grüne) fordert, alle Zahlen offenzulegen. Es sei klar: „Dieses Projekt muss schnellstmöglich beendet werden.“ FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic warnt: „Wenn die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben ist, muss sofort die Notbremse gezogen werden.“