Düsseldorf. Noch vor dem Amtsantritt ist Ulrich Lehner als designierter Chef des Thyssen-Krupp-Aufsichtsrats in die Kritik geraten. Aktionäre sehen den Neuanfang in Gefahr. Sie hatten sich einen Kandidaten von außen gewünscht. Als einfaches Mitglied habe Lehner Fehlentscheidungen der Vergangenheit mitgetragen.
Der kriselnde Industriegigant Thyssen-Krupp versucht mit der Wahl von Ulrich Lehner zum neuen Aufsichtsratschef einen Befreiungsschlag. Der ehemalige Henkel -Chef, seit 2008 Mitglied des Aufsichtsrats, soll am 1. April die Nachfolge des langjährigen Chef-Kontrolleurs Gerhard Crommes antreten. Doch nur wenige Stunden nach der Nominierung des 66-jährigen meldeten sich Kritiker zu Wort. "Wir hatten uns einen Kandidaten von außen gewünscht", sagte der Geschäftsführer der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW), Thomas Hechtfischer. Nur ein externer Kandidat hätte den von Vorstandschef Heinrich Hiesinger eingeleiteten Neuanfang unterstrichen.
Cromme hatte vergangene Woche überraschend seinen Abgang nach zwölf Jahren bei dem von Milliardenverlusten, Kartellverstößen und Korruptionsvorwürfen erschütterten Konzern verkündet. Am Dienstag kommender Woche tritt das Kontrollgremium zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen. Cromme zieht sich nicht nur aus dem Aufsichtsrat, sondern auch aus der mächtigen Krupp-Stiftung zurück. Die Stiftung mit dem 99-jährigen Berthold Beitz an der Spitze hält 25,3 Prozent an Thyssen-Krupp. Aktionärsvertreter hatten Cromme für das Desaster mit den neuen Stahlwerken in Übersee mitverantwortlich gemacht, die Thyssen-Krupp nun verkaufen will.
Ulrich Lehner soll Kurs von Vorstandschef Hiesinger unterstützen
Vorstandschef Hiesinger will bei dem Konzern eine neue Unternehmenskultur umsetzen, in der Seilschaften und blinder Gehorsam nicht wichtiger als unternehmerischer Erfolg sind. Lehner soll Hiesinger dabei den Rücken stärken. "Die aktuellen Herausforderungen, der zeitnahe Verkauf von Steel Americas und die Notwendigkeit, den bereits begonnenen umfassenden Veränderungsprozess weiter voranzutreiben, erfordern eine umfassende Handlungsfähigkeit des Aufsichtsrats. Daher haben sich Anteilseigner und Arbeitnehmervertreter für eine interne Lösung entschieden", begründete Thyssen-Krupp seine Wahl.
"Das ist kein Neuanfang", kritisierte hingegen der Geschäftsführer des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, Markus Dufner. "Aus unserer Sicht ist das nicht die Ideallösung", stieß das Vorstandsmitglied der Schutzgemeinschaft für Kapitalanleger (SdK), Daniel Bauer, in dasselbe Horn. "Es wäre das Sauberste gewesen, man hätte sich einen Externen gesucht." Lehner wurde bereits in den vergangenen Tagen als Wunschkandidat von Beitz gehandelt.
Als Schwerpunkt seiner Arbeit sollte Lehner wie angekündigt das Thema einer guten Unternehmensführung machen, forderte Aktionärsvertreter Hechtfischer. "Da hakt es. Kartellverstöße darf es bei ThyssenKrupp nicht mehr geben." Die Folgen des jüngsten Verdachts auf Preisabsprachen bei Lieferungen für die Automobilindustrie ließen sich noch gar nicht abschätzen. "Wer weiß, was da noch kommt." Hechtfischer unterstützte Überlegungen von Hiesinger, einen eigenen Vorstand mit dem Thema Compliance zu betrauen. "Das würde die Wichtigkeit unterstreichen."
Kritik an gleich mehreren Aufsichtsratsmandaten von Lehner
Auf Kritik stieß zudem, dass Lehner gleich mehrere Aufsichtsratsmandate bekleidet. Der Manager wolle künftig auf Mandate verzichten, die er bisher wahrnimmt, um sich der neuen Aufgabe widmen zu können, hatte ThyssenKrupp zwar erklärt, Details aber offen gelassen. Schon bei Cromme sei die Frage gewesen, ob er sich mit den Posten des Aufsichtsratschefs von ThyssenKrupp und Siemens nicht übernehme, sagte Aktionärsschützer Hechtfischer. "ThyssenKrupp ist ein Full-Time-Job." Ob Lehner sämtliche übrigen Mandate aufgeben sollte, müsse dieser selbst entscheiden. Lehner ist unter anderem Chef des Aufsichtsrats der Deutschen Telekom und Interimspräsident des Schweizer Pharmakonzerns Novartis. Beide Unternehmen erklärten, dass er bleibt.
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Bei Novartis könnte Lehner Ungemach drohen. Er machte sich im Februar für eine Abgangszahlung von umgerechnet fast 60 Millionen Euro für den scheidenden Präsidenten Daniel Vasella stark. Die Pläne, die später fallen gelassen wurden, hatten in der Schweiz für Empörung gesorgt. "Es zeugt davon, dass er weit weg von den Empfindungen der Aktionäre ist", kritisierte SdK-Vorstand Bauer. Nach einer Anzeige ermittelt die Staatsanwaltschaft Basel gegen Verantwortliche von Novartis wegen des Verdachts der Untreue. Ob sie gegen Lehner ermittelt, sagt die Behörde nicht. (rtr/dpa)