Witten. Vor vier Jahren drohte der ersten privaten Universität Deutschlands die Pleite. Kurz vor ihrem 30. Geburtstag gibt es in Witten/Herdecke aber wieder Grund zum Feiern: Die Uni ist wieder in sicheren Fahrwassern unterwegs, der Haushalt ist ausgeglichen.

Der viel beschworene Wittener Geist wohnt der Legende nach in einem antiken Wandschrank vor den Türen des Präsidiums. Dort wacht er über die drei ehernen Leitsätze der kleinen Universität Witten/Herdecke: Zur Freiheit ermutigen, nach Wahrheit streben, soziale Verantwortung fördern. Niemand hat je den alten Eichenschrank geöffnet, doch offenbar lebt die Legende und hat das Schlimmste verhindert. Die vor vier Jahren drohende Pleite wurde abgewendet, und nach einer harten Sanierungsphase blickt die Uni wieder zuversichtlich in die Zukunft.

Eine existenzbedrohende Situation

Vor fast genau 30 Jahren wurde die erste private Universität Deutschlands erbaut mit dem Ziel, eine andere Ausbildung zu bieten: Praxisnah, verantwortlich und wertorientiert durch das obligatorische „studium fundamentale“, das auch Medizinern und Wirtschaftswissenschaftlern Kunst und Philosophie nahe bringt. Knapp war es immer, doch 2008 schien die notorisch klamme Uni endgültig am Ende zu sein. Überraschend hatte das Land fest verplante Zuwendungen in Höhe von 4,5 Millionen Euro gestrichen und zudem bereits ausgezahlte drei Millionen Euro zurückverlangt. Bei einem auf Kante genähten Gesamtetat von rund seinerzeit 30 Millionen Euro war das existenzbedrohend.

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Andreas Pinkwart, damals Wissenschaftsminister mit FDP-Parteibuch, warf der Unileitung vor, für die kommenden Jahre keine korrekten Wirtschaftspläne vorgelegt zu haben. Die Uni reagierte geschockt, nannte die Vorwürfe „absolut nicht nachvollziehbar“. Dann ging es sehr schnell: Präsident Birger Priddat und sein Stellvertreter Maxim Nohroudi traten zurück, die Studenten protes tierten, sprangen medienwirksam in den kalten Rhein, Motto: Witten geht baden! Was die Lage besonders dramatisch machte: Etwa zeitgleich eskalierte der Streit zwischen der Uni und einer Düsseldorfer Unternehmensberatung, die der Uni einen Zwölf-Millionen-Scheck versprochen hatte. Doch die Wittener befürchteten eine feindliche Übernahme. „Uns wurde klar: Hier will jemand die Uni übernehmen und womöglich seine Anteile später verkaufen“, sagte die Unileitung Ende 2008. Die unsichere Zukunft schreckte potenzielle Spender und Sponsoren ab, was die Lage weiter verdüsterte.

Bürgschaft wurde rasch beschafft

Der berühmte Wittener Geist schien in der Krise jedoch besonders wirksam zu sein. Eine Bürgschaft wurde rasch beschafft, die Software AG Stiftung aus Darmstadt wurde an Bord geholt, nun Hauptgesellschafter und Retter der Uni. Vier Millionen Euro brachte sie mit und bürgte zudem für zehn Millionen. In Nachtsitzungen wurde im Wissenschaftsministerium ein Sanierungsplan erarbeitet. „Es stand alles Spitz auf Knopf. Die Uni hätte auch den Bach runtergehen können“, sagte ein Verhandler. Als das Land versprach, weiterhin 4,5 Millionen pro Jahr zu überweisen, beruhigte sich die Lage. Gab es 2009 noch ein Minus von rund fünf Millionen in der Kasse, kann die Universität 2012 wohl einen ausgeglichen Haushalt ausweisen.

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Nach Vorgaben des Wissenschaftsrates musste sich die Uni in dieser schwierigen Phase zugleich modernisieren: Mehr Forschung, mehr Fördergelder (Drittmittel), mehr Professoren waren die Forderungen. Gleichzeitig entwickelte die Uni neue Studienangebote, so dass die Zahl der Studierenden von derzeit gut 1500 in drei Jahren auf etwa 2000 steigen soll. Allein dadurch wird sich der Anteil der Studienbeiträge am Haushalt der Uni von aktuell etwa 20 auf 30 bis 35 Prozent erhöhen, erklärt Jan Peter Nonnenkamp, der im November das Amt des Kanzlers von Michael Anders übernommen hat. Als kaufmännischer Geschäftsführer steuerte Anders gemeinsam mit Martin Butzlaff als wissenschaftlichem Geschäftsführer die Uni durch die stürmischen Jahre. Beiden ist es wohl zu verdanken, dass es die Uni heute noch gibt und besser dasteht als vor der Krise. 2013 wird die Universität die Gehälter erhöhen – zum ersten Mal seit sechs Jahren. „Ohne die Tatkraft und das Engagement unserer Mitarbeiter hätten wir das nicht geschafft“, sagt Butzlaff. „Dafür wollen wir uns jetzt auch finanziell bedanken.“

„Witten wirkt“

Der Etat soll auf rund 40 Millionen im Jahr wachsen, auch durch mehr Erlöse aus den Studienbeiträgen. „Wir sind aber keine Schule für Kinder reicher Eltern“, betont Nonnenkamp. Dies werde durch das besondere Gebührenmodell des „umgekehrten Generationenvertrags“ garantiert, das auch nachgelagerte Zahlungen vorsieht. Danach finanzieren Absolventen der Uni mit einem Teil ihres Gehalts das Studium ihrer Nachfolger. Die Studenten verwalten die Gelder selbst und sind Gesellschafter der Uni.

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Dass „Witten wirkt“, wie der Werbespruch verspricht, scheint zu stimmen. Die Zahl der Bewerbungen übertrifft bei Weitem die der Studienplätze. Auch Geldgeber und Sponsoren sind freundlicher, seit die Uni wieder in sicherem Fahrwasser segelt. Das Land, sechs bis acht große und sehr viele kleine Freunde und Förderer sichern den Betrieb der Hochschule. Neubauten und Erweiterungen des Campus sind geplant. Und zum ersten Mal seit sechs Jahren will Nonnenkamp 2013 die Gehälter erhöhen. „Wir können unsere Zukunft wieder gestalten“, sagt er. Demütig wird man, wenn es wirtschaftlich eng bleibt, sagt Präsident Butzlaff, man bleibt wachsam und schaut genau, wofür man den Euro ausgibt. Er findet das gut. „Wir sitzen immer auf der Stuhlkante. Anlehnen geht nicht.“