Witten. . Jedes Jahr leben 440 Menschen weniger in der Stadt. Das bedeutet mehr Kosten für die Verbliebenen

Es gab Jahre, da bangte Witten um die magische 100 000-Einwohner-Marke, nun ist sogar die 90 000er-Grenze in Sichtweite: Laut Statistischem Landesamt werden in der Ruhrstadt 2030 nur noch 90 300 Menschen leben, rund 8000 weniger als heute. Das hat Auswirkungen für alle Wittener: Die Stadtteile werden leerer, das Leben teurer.

Der Grund dafür, dass Witten pro Jahr im Schnitt 440 Einwohner verliert, ist einfach: „Es werden zu wenige Kinder geboren“, weiß Ralph Hiltrop, Leiter der Stabsstelle für Stadtentwicklung. Auf der anderen Seite gibt es immer mehr ältere Menschen: 2030 wird es in Witten ein Viertel weniger Zehn- bis 25-Jährige geben, dafür ein Drittel mehr 80-Jährige. Zwar ziehen nach Witten mehr Menschen zu als weg, nur: es sind nicht genug. Das Ziel, ein Einwohnerplus zu erreichen, hat die Stadt schon lange aufgegeben.

Familien sollen angelockt werden

„Ziel ist keine Steigerung, sondern eine schwächere Abnahme der Einwohnerzahlen“, so Ralph Hiltrop. „Witten ist kein Wachstumszentrum wie München, wo es Massen hinzieht.“ Umso mehr bemüht sich die Stadt, junge Familien mit anderen Stärken an die Ruhr zu locken. Hiltrop: „Wir brauchen einen Mix aus traditionellen Unternehmen wie den Edelstahlwerken und innovativen Firmen, die Arbeitsplätze in Witten schaffen.“ So sei ein Ziel, die Belegung im Forschungs- und Entwicklungszentrum an der Uni Witten/Herdecke auszuweiten. Auch beim Wohnraum will die Stadt nachlegen: Etwa an der Waldstraße oder am Erlenbruch sollen Häuser entstehen. Das gilt auch für altengerechte Wohnungen. „Sie sollten für jeden Geldbeutel bezahlbar sein“, so Stadtentwickler Hiltrop. „Da müssen wir mit den Wohnungsunternehmen an einen Tisch.“

Weniger Einwohner, weniger Geld

Für Kinder und Jugendliche soll es weiterhin ein attraktives Spielplatz-Angebot geben. Hier muss die Stadt den Spagat schaffen: Qualität erhalten oder sogar ausbauen und gleichzeitig Geld sparen. Zu wenig Euros klimpern im Stadtsäckel. Das Amt für Jugendhilfe und Schule ruft deshalb bereits zu Spenden auf.

Damit wird das Dilemma für Witten und viele andere Städte deutlich: Anwohner anzulocken ist nicht immer umsonst, aber Anwohner zu verlieren, das ist sicher, kostet Geld. Einmal die Städte selbst. Sie erhalten nach Einwohnerzahlen gestaffelt Zuweisungen vom Land. Auf der anderen Seite diejenigen, die noch in Witten leben: „Die Kosten etwa für die Reinigung der Kanäle müssen von immer weniger Menschen getragen werden. Das heißt Mehrkosten für den Einzelnen“, so Ralph Hiltrop. Wenn Kanäle immer weniger genutzt würden, werde deren Instandhaltung auch teurer. Das Problem ist auf eine einfache Formel zu bringen: Weniger Einwohner heißen Mehrkosten für alle.

Kampf gegen leblose Stadtteile

Der Bevölkerungsrückgang hat auch Folgen für das Stadtbild und wird etwa an leerstehenden Ladenlokalen deutlich. „Wir sind bemüht, die Entwicklung der Innenstadt und der Stadtteile nicht aus den Augen zu verlieren“, betont Ralph Hiltrop. Ein Beispiel dafür ist etwa der „Masterplan Vergnügungsstätten“, um der Spielhallen-Flut den Kampf anzusagen. Ein anderes das Projekt „Soziale Stadt Annen“, das den strukturschwachen Ortsteil für Bewohner attraktiv halten soll. Zur Wahrheit gehört trotz aller Bemühungen aber auch: „Es wird immer schwerer, kulturelle Angebote aufrecht zu erhalten“, so Hiltrop. Das Beispiel Stadtbücherei zeigt es.

Ein Trost für Witten: In anderen EN-Städten ist die Entwicklung noch drastischer. Schwelm verliert jeden sechsten Einwohner und wird 2030 von Sprockhövel überholt. Dort verliert man „nur“ jeden 20.