Essen. Die „Lebensleistungsrente“ soll vor Altersarmut schützen. Doch die Bedingung, auch privat vorzusorgen, sperrt 1,8 Millionen Geringverdiener von der neuen Form der Vorsorge aus. Rentenexperten sprechen von einem „bürokratischen Monster“.
Pünktlich vor der Wahl, im kommenden Sommer, soll sie kommen, die neue Mindestrente der schwarz-gelben Bundesregierung, die nun in „Lebensleistungsrente“ umgetauft wurde. Wer 40 Jahre lang gearbeitet hat, soll eine Rente erhalten, die zumindest etwas über dem Grundsicherungsniveau liegt, das je nach Wohnlage zwischen 650 und 800 Euro liegt. Ein Geringverdiener im Ruhrgebiet würde also eine geringere Mindestrente erhalten als etwa in München. In Rede steht, auf die Grundsicherung zehn bis 15 Euro draufzupacken. Das ist vielen, die vor Altersarmut warnen, ohnehin zu wenig, so auch der Senioren-Union. Der DGB sprach von „blankem Zynismus“. Dabei ist nicht einmal klar, ob selbst dieses kleine Zubrot überhaupt bei den Menschen ankommt, für die es bestimmt ist.
Zur Bedingung macht die Bundesregierung, dass die Geringverdiener eine private Altersvorsorge vorweisen können. Genau das könnte sich aber als entscheidende Hürde für Hunderttausende Menschen erweisen. Denn gerade Geringverdiener sorgen aus naheliegenden Gründen bisher am wenigsten fürs Alter vor. Das geht aus dem Alterssicherungsbericht hervor, den die Bundesregierung Ende November vorstellen will.
1,2 Millionen Frauen fallen durchs Raster
Die entscheidenden Zahlen hat die „Süddeutsche“ bereits veröffentlicht und sie legen das Hauptproblem der Zuschussrente offen: Während Gutverdiener über ihre ohnehin hohen Rentenansprüche hinaus auch privat zu 86 Prozent vorsorgen, stehen 42 Prozent der Geringverdiener ganz ohne Vorsorge da. Sie können weder mit einer Betriebsrente rechnen noch riestern sie. Damit droht 1,8 Millionen Menschen Altersarmut, davon sind 1,2 Millionen Frauen. „An diesen Leuten geht die Zuschussrente vorbei. Es sei denn, sie sorgen doch noch vor“, sagt Reinhold Schnabel, Finanzwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen.
Der Rentenexperte spricht von einem „bürokratischen Monster“ und fragt: „Wer will denn das alles kontrollieren? Die Rentenversicherung kennt nur das Versicherungskonto, sie hat die Zahlen zur privaten Vorsorge doch gar nicht.“ Er hätte deshalb den Vorschlag des CDU-Arbeitnehmerflügels vorgezogen: Die CDA wollte die „Rente nach Mindesteinkommen“ wiedereinführen, die es bereits bis 1992 gab. Dabei wurden sehr niedrige Rentenbeiträge automatisch aufgestockt, um Mini-Renten zu verhindern – ohne Bedingungen.
Hoffen auf die „Riester-Rente“
Die schwarz-gelbe Koalition hofft, dass Geringverdiener nun einen Riester-Vertrag abschließen, um die „Lebensleistungsrente“ zu bekommen. Schließlich können sie schon für fünf Euro im Monat einen Vertrag abschließen und dafür ein Vielfaches an staatlichen Zuschüssen mitnehmen. Das hat aber bisher vielen nicht als Anreiz genügt. Die Neuabschlüsse von Riester-Verträgen sind im ersten Halbjahr um gut die Hälfte auf 200.000 eingebrochen. Ob nun die Aussicht auf zehn oder 15 Euro mehr Staatsrente der privaten Vorsorge einen neuen Schub gibt, steht in Frage. Zumal gerade Geringverdiener eher selten auf 40 Beitragsjahre kommen und somit nicht wissen, ob sie diese zweite Voraussetzung erfüllen werden.
Der Alterssicherungsbericht weist die mangelnde Vorsorge eindeutig als Schichtenproblem aus. So legen acht von zehn Akademikern Geld fürs Alter zurück, aber nur fünf von zehn Menschen ohne Berufsabschluss. Frühere Untersuchungen ähnlicher Art haben zudem ergeben, dass in den typischen Niedriglohn-Branchen wie der Gastronomie, dem Handel und dem Gesundheitswesen besonders wenige Beschäftigte vorsorgen. Auch sie würden kein Extrageld für ihre Lebensleistung erhalten.