Berlin. Bis in den Morgen feilschten die Spitzen von Union und FDP um Betreuungsgeld, Praxisgebühr und Rente. Nun geben sich die Beteiligten demonstrativ zufrieden. Dabei waren die Ergebnisse zu erwarten. Ein Überblick.

Wie drei Tenöre nehmen die Generalsekretäre Aufstellung vor den Mikrofonen im Kanzleramt. Es ist zwei Uhr morgens, gleich werden sie das Hohe Lied auf das Betreuungsgeld (CSU), auf die Abschaffung der Praxisgebühr (FDP) und auf die „Lebensleistungsrente“ (CDU) anstimmen. Sieben Stunden lang hatte sich die Koalition zum Gipfel gequält. Die kritische Stunde schlägt um Mitternacht: „War es das jetzt?“, fragt Angela Merkel (CDU).

Da haben sie sich gerade mal auf das Betreuungsgeld und darauf geeinigt, ab 2014 für die laufenden Ausgaben keine Schulden aufzunehmen. Die kleinen Partner machen dann weitere Punkte. CSU-Verkehrsminister Peter Ramsauer bekommt 750 Millionen Euro für Investitionen. Der neue Tag bricht an, als die Praxisgebühr fällt. Lange ringt die Union darum, stattdessen Beiträge zu senken. Offenbar war die Nachtsitzung gut für die Teambildung: Künftig wollen sich die Koalitionäre häufiger treffen.

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Die Herdprämie
Das Betreuungsgeld kommt – aber erst wenige Wochen vor der Wahl im Herbst 2013. Parallel zum Rechtsanspruch auf einen U-3-Kitaplatz sollen Eltern, die keinen Krippenplatz nutzen, ab 1. August 2013 Betreuungsgeld in Höhe von 100 Euro im Monat bekommen. Ab August 2014 gibt es dann 150 Euro für Ein- und Zweijährige. Durch die Verschiebung wird die Leistung laut FDP um 750 Millionen Euro günstiger.

Bereits am Freitag will die Koalition das Betreuungsgeld endgültig durch den Bundestag bringen. Drei entscheidende Details werden fehlen: Von einer Verknüpfung der Barzahlung an kinderärztliche Vorsorge ist keine Rede mehr. Und: Die beiden Alternativen zur Barauszahlung, wie sie von der FDP und den Kritikerinnen in der CDU gefordert waren, sind noch nicht beschlussreif. Ein Extragesetz soll regeln, dass Eltern das Betreuungsgeld plus monatlich 15 Euro vom Staat auch in die Altersvorsorge oder in ein Bildungskonto stecken können. Bis zum dritten Geburtstag könnten Eltern für ihr Kind so über 3000 Euro ansparen.

Die größte Hürde liegt indes woanders: Es sei möglich, dass Karlsruhe „das Gesetz kippt“, sagte der Verfassungsrechtler Joachim Wieland dieser Zeitung. Die SPD bereitet eine Verfassungsklage vor.

Das Ende der Praxisgebühr

Mit der Praxisgebühr wollten die Reformer der rot-grünen Koalition 2004 im Verein mit der Unions-Opposition das Volk dazu erziehen, sich ein Beispiel an den europäischen Nachbarn zu nehmen. Ein Schwede sieht im Durchschnitt sieben Mal im Jahr einen Arzt, ein Deutscher fast 18 Mal, mit entsprechend höheren Kosten. Da sie nicht glauben mochten, dass Schweden soviel gesünder sind als Deutsche, folgten die Erfinder der Praxisgebühr der Maxime: Wer nicht sparen will, muss zahlen. Vergeblich: Ging im ersten Jahr die Häufigkeit der Arztbesuche zurück, stieg sie danach wieder auf das gewohnte Niveau.

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Dies und der Verwaltungsaufwand von bis zu 360 Millionen Euro waren die Argumente der Kritiker. Jetzt setzten sie sich durch. Die Praxisgebühr wird zum 1. Januar 2013 abgeschafft, der Ausfall von zwei Milliarden Euro wird den Kassen aus dem Gesundheitsfonds erstattet. Ein Erfolg der Liberalen.

Von der Leyens Rente

Die Zuschussrente für Geringverdiener, die Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) geplant hatte, ist vom Tisch. Doch die nun beschlossene Alternative einer „Lebensleistungsrente“ kommt ihren Zielen nahe. Kern: Wer 40 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, trotzdem auf Sozialhilfe angewiesen wäre, dessen Rente wird aufgestockt; zwar nur um 10 bis 20 Euro über das Niveau der Grundsicherung im Alter (durchschnittlich 688 Euro im Monat, wegen der Wohnkosten regional unterschiedlich), doch blieben den Betroffenen die harten Auflagen des Sozialamts erspart. Die Anhebung soll aus Steuermitteln bezahlt werden. Ursprünglich wollte von der Leyen sie aus Beitragsgeldern finanzieren.

Die CDU-Vize wollte zwar Ansprüche nach bereits 35 statt nach nun 40 Beitragsjahren. Trotzdem sieht sie einen Erfolg, weil ihr zentrales Anliegen erfüllt werde: „Wer ein Leben lang fleißig gearbeitet hat, soll am Ende eine Rente aus der Rentenversicherung erhalten.“ Da „Lebensleistungsrentner“ – anders als Sozialhilfeempfänger – ei­nen Teil ihrer privaten Vorsorge behalten dürften, könnten sie jenes Niveau von 850 Euro erreichen, das von der Leyen als Obergrenze ihrer Zuschussrente geplant hatte.