Essen. . Im Interview spricht der Milliardär und Versand-Unternehmer Michael Otto über hohe Managergehälter, den Spitzensteuersatz sowie die Zukunft seines Unternehmens. Und er warnt: „Wir müssen darauf achten, dass die Gesellschaft nicht weiter auseinanderdriftet.“

Michael Otto (69) ist ins Ruhrgebiet gereist, weil die Naturschutzorganisation WWF zu einem Treffen in Essen eingeladen hat. Der Versandunternehmer Otto engagiert sich seit Jahren gesellschaftlich – und er zählt zu den Milliardären, die für höhere Spitzensteuern plädieren.

Vor einigen Jahren hat sich der Sohn des Firmengründers Werner Otto aus dem Alltagsgeschäft des Hamburger Versandhandelskonzerns zurückgezogen und steht nun an der Spitze des Aufsichtsrats. Die Hamburger Otto-Gruppe zählt rund 53.000 Mitarbeiter und ist weltweit nach Amazon der zweitgrößte Online-Händler.

Herr Otto, welches Bild gibt die deutsche Wirtschaft ab?

Michael Otto: Oft ist von der Finanzkrise, von Bankenskandalen und überzogenen Managergehältern die Rede. Aber 90 Prozent der Unternehmer machen gute Arbeit, viele setzen sich für die Gesellschaft ein.

Dennoch hat das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft gelitten.

Otto: Die Wirtschaft braucht Freiheit, um sich entfalten zu können. Aber sie muss auch Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen. Das sind zwei Seiten einer Medaille. Daher brauchen wir eine Renaissance der sozialen Marktwirtschaft.

Steht zu sehr das Geld im Mittelpunkt – und zu wenig die Verantwortung?

Otto: Wir müssen darauf achten, dass die Gesellschaft nicht weiter auseinanderdriftet. Die Wirtschaft sollte sich auch von schwarzen Schafen in den eigenen Reihen distanzieren und klar machen, was richtig und was falsch ist.

Ist es richtig, dass Manager mehr als zehn Millionen Euro pro Jahr verdienen?

Otto: Es ist schwierig, eine Grenze zu ziehen. Viel hängt von der Situation der jeweiligen Branche ab. Aber zweistellige Millionensummen im Jahr sind in der Tat kaum noch zu vermitteln.

"Ich halte eine Finanztransaktionssteuer für sinnvoll"

Wären angesichts der Spitzengehälter auch Mindestlöhne sinnvoll?

Otto: Einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn halte ich für falsch, da er der Realität nicht gerecht wird. Wir brauchen regional- und branchenspezifische Mindestlöhne. Denn die Preise und Mieten in München sind auch anders als im Bayerischen Wald.

Sollten Reiche mehr Steuern zahlen, um die Staatshaushalte zu entlasten?

Otto: Eine Neid-Debatte hilft uns nicht weiter. Die Steuereinnahmen sind ordentlich. Daher sollte sich zunächst einmal der Staat ernsthaft selbst bemühen, unnötige Ausgaben zu vermeiden, um die Schuldenlast abzutragen. Wenn der Staat dennoch mehr Geld zum Schuldenabbau benötigt, wäre ein höherer Spitzensteuersatz eine Option. Wer gut verdient, verkraftet am ehesten höhere Steuern.

Auch höhere Erbschaftssteuern könnten zur Sanierung der öffentlichen Haushalte beitragen.

Otto: Das wäre der falsche Weg. In den USA führen hohe Erbschaftssteuern dazu, dass Unternehmen selten vererbt und oft verkauft werden. Die Folge ist, dass es keinen starken Mittelstand wie in Deutschland gibt. Gerade familiengeführte Unternehmen, die in Generationen denken, sichern auch in Krisenzeiten Arbeitsplätze und Lehrstellen.

Sollten die Finanzmärkte stärker besteuert werden?

Otto: Ich halte eine Finanztransaktionssteuer für sinnvoll. Schließlich bezahlen wir auch eine Mehrwertsteuer auf Brot und Butter. Außerdem trägt der Finanzsektor eine hohe Mitverantwortung für unsere derzeit schwierige Lage und ist massiv mit öffentlichen Mitteln unterstützt worden.

"Wir brauchen den Euro, daher sollten wir ihn verteidigen" 

Was bedeutet Ihnen der Euro?

Otto: Wir brauchen den Euro, daher sollten wir ihn verteidigen. Deutschland und Europa benötigen eine starke Leitwährung neben dem Dollar. Diese Funktion könnte die D-Mark angesichts der Globalisierung nicht übernehmen.

Ist Ihnen die Idee der Vereinigten Staaten von Europa sympathisch?

Otto: So weit zu gehen, wäre wohl nicht sinnvoll. Es fängt schon damit an, dass wir in Europa – anders als in den USA – nicht eine Sprache sprechen. Wir sollten allerdings unsere Finanz- und Wirtschaftspolitik stärker aufeinander abstimmen.

Können Sie sich die Euro-Zone ohne Griechenland vorstellen?

Otto: Vorstellen ja, aber es wäre nicht gut. Es ist erstrebenswert, dass Griechenland im Euro-Raum bleibt. Ein Austritt Griechenlands hätte eine fatale Signalwirkung auf Länder wie Portugal oder Spanien. Sie setzen sich öffentlich für mehr Klimaschutz ein.

Was halten Sie von steigenden Benzin- und Strompreisen?

Otto: Die Entwicklung zeigt, dass wir auf Dauer von Öl und Gas wegkommen müssen und effizienter werden müssen. Wenn wir heute in sparsame und regenerative Anlagen investieren, profitieren Ökologie und Ökonomie langfristig davon. Auch die Preise werden nach der Investitionsphase dann sinken, denn Sonne und Wind gibt es gratis.

"Wir unterscheiden uns von Wettbewerbern wie Amazon und Zalando"

Sie haben sich aus dem Alltagsgeschäft der Otto-Gruppe zurückgezogen und führen nun den Aufsichtsrat. Wo sehen Sie die Zukunft des Unternehmens?

Otto: Wir setzen verstärkt auf die Vielfalt unserer Vertriebswege und unterscheiden uns damit von Wettbewerbern wie Amazon und Zalando. Bei uns bestimmen die Kunden, ob sie im Internet bestellen, aus einem Katalog auswählen oder in einer unserer Filialen einkaufen. In der Strategie der vielen Vertriebskanäle liegt die Zukunft. Das gilt nicht nur für Otto, sondern auch für unsere Marken wie Bonprix, Sportscheck oder Manufactum.

Treiben Sie auch die Expansion im Ausland voran?

Otto: Wir werden das Unternehmen weiter internationalisieren. Momentan sind wir in 23 Ländern in Europa, Amerika und Asien präsent. Es gibt noch viele interessante Wachstumsmärkte. Ich denke insbesondere an Russland und Brasilien, in denen wir bereits sind, aber auch an Länder wie China, Mexiko, Chile, Südafrika, Malaysia und Indien.

Die traditionsreichen Versandhändler Neckermann und Quelle sind insolvent oder vom Markt verschwunden. Was hat die Otto-Gruppe eigentlich anders gemacht?

Otto: Wir haben viel stärker und früher auf das Internet und die Internationalisierung gesetzt, und mit unseren verschiedenen Unternehmensmarken haben wir unterschiedliche Kundengruppen angesprochen. Das alles gibt uns größere Stabilität. Besonders wichtig ist auch: Wir haben eine hohe Kontinuität im Management.

Wird Ihr Sohn Benjamin bald das Familienunternehmen führen?

Otto: Benjamin ist jetzt 37 Jahre alt, hat sich selbstständig gemacht und führt erfolgreich ein Unternehmen mit rund 90 Mitarbeitern. In absehbarer Zeit wird er sicherlich eine Funktion in der Otto-Gruppe übernehmen, voraussichtlich zunächst einmal in der Geschäftsführung einer Tochtergesellschaft. Wenn die Arbeit stimmt und Benjamin es anstrebt, wird sich vielleicht auch der Schritt in den Konzernvorstand und zum Vorstandsvorsitz ergeben.

Was bedeutet Ihnen der Begriff des „ehrbaren Kaufmanns“?

Otto: Das ist ein sehr guter Begriff für Anständigkeit, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit. Ich mag Geschäfte, die man per Handschlag machen kann. Am besten sind Verträge, die man eigentlich nie aus der Schublade ziehen muss.