In den Amazon-Lagern in Rheinberg und Werne herrscht das Chaos-Prinzip
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Rheinberg. Mit seinen eigentümlich organisierten Lagern hat Amazon, der Marktführer unter den Internet-Kaufhäusern, seit 2010 im westfälischen Werne und niederrheinischen Rheinberg kleine Job-Wunder ausgelöst. Doch es gibt auch Kritik an den Beschäftigungsverhältnissen.
Rheinbergs größtes Kaufhaus liegt fernab der Einkaufsstraßen, gleich an der Autobahn. Laufkundschaft kommt hier nicht vorbei – und das ist auch so gewollt. Schließlich besuchen Kunden das Kaufhaus Amazon nur virtuell, im Internet. Doch an der Alten Landstraße in Rheinberg landen die Online-Einkäufe in der Realität – wer läuft schon gern in virtuellen Schuhen herum? Seit Herbst betreibt Amazon hier eines seiner bundesweit sechs Logistikzentren – das zweite in NRW, nach dem erst ein Jahr zuvor eröffneten Lager in Werne. Und die deutschen Lager Nummer sieben und acht sollen in diesem Herbst in Koblenz und Pforzheim eröffnen.
In dieser Amazon-Welt ist Chaos Programm. Statt wohl sortierter Abteilungen wie im gewöhnlichen Geschäft liegen in den je gut 15 Fußballfelder großen Hallen Bücher-Stapel neben Duschgel-Packungen und DVD-Spieler neben Gartenscheren. Jeder „Stower“ – so nennt Amazon seine fürs Einlagern zuständigen Mitarbeiter – kann sich fast beliebig einen freien Regalplatz aussuchen und dort neue Ware verstauen.
Ein Klick mit dem Handscanner auf die Ware, ein weiterer auf den Regalplatz – schon sind die Informationen gespeichert, die später den „Picker“ an den richtigen Ort führen, wenn ein Kunde via Internetbestellung nach dem Produkt verlangt. Doch auch ein „Picker“ arbeitet nicht etwa nach und nach eine Bestellung ab, sondern sammelt auf einem optimierten Weg durch das Lager Waren für verschiedenste Kunden ein. Erst am Ende werden diese zu Paketen für einzelne Empfänger zusammengestellt.
1000 langfristige Arbeitsplätze
Das Chaos-Prinzip gilt bei Amazon auch jenseits der Lagerhallen: „Prinzipiell sollen immer alle Waren in jedem Lager verfügbar sein“, erklärt eine Amazon-Sprecherin. Für Kunden aus NRW muss eine Bestellung dennoch längst nicht aus Werne oder Rheinberg kommen, sondern aus dem Lager, wo sie laut Computer am schnellsten zusammengestellt werden kann – das kann auch Leipzig oder Bad Hersfeld sein.
Trotz so vieler Berechnungen ist ein Großteil des Amazon-Geschäfts Handarbeit. Mittelfristig will der Konzern in beiden NRW-Lägern je 1000 langfristige Arbeitsplätze schaffen. An diesem Ziel sei man nun „relativ nah dran“, so die Sprecherin. Zudem werden im Weihnachtsgeschäft, wenn an Spitzentagen schon mal mehr als 100 Lkw von DHL und anderen Kurierdiensten jedes Lager verlassen, weitere je 2000 Aushilfen benötigt. Zahlen, die erklären, weshalb Wirtschaftsförderer und Bürgermeister Amazon als Segen preisen. In Dortmund etwa wurde zeitweise ein Bus-Shuttle eingerichtet, der Arbeitslose zu den Einstellungsgesprächen nach Werne brachte.
Co-Finanzierung vom Staat?
Dennoch scheint gerade in Personal-Dingen bei Amazon nicht alles Gold, was glänzt. Ärger gab es etwa, als im Winter herauskam, dass der Konzern Hartz-IV-Empfänger vor einer Einstellung zunächst ein zweiwöchiges Praktikum absolvieren ließ, das vom Job-Center finanziert wurde. Eine legale Praxis, die indes bei manchen Politikern den Eindruck erweckte, Amazon wolle sich sein Weihnachtsgeschäft vom Staat co-finanzieren lassen.
Mittlerweise scheint der Streit darüber beigelegt. Dennoch prallt in den Lägern täglich eine US-amerikanische Arbeitgeberkultur, die vor allem auf Leistung setzt und diese praktisch ständig – etwa an Hand der im Lager zurückgelegten Strecke – misst, auf deutsche Arbeitnehmer. Die Gewerkschaft Verdi will deshalb statt „Mitarbeiterforen“ in den Lägern ordentliche Betriebsräte mit gesetzlichen Befugnissen und eine Bezahlung nach Tarifvertrag durchsetzen. Amazon betont indes immer, sich bei den Arbeitsbedingungen an alle gesetzlichen Spielregeln zu halten. Ziemlich reale Diskussionen also im virtuellen Online-Kaufhaus.
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