Essen. . 160 Wissenschaftler haben einen Protestaufruf verfasst - und rechnen mit der Euro-Politik von Kanzlerin Angela Merkel ab. Auch Professoren aus dem Ruhrgebiet haben unterzeichnet. „Es geht um ein Wachrütteln“, sagt Birger Priddat von der Uni Witten-Herdecke.
Ob Ökonomen Politik machen sollten? „Sie müssen!“, sagt Birger Priddat. Der Wissenschaftler der Universität Witten-Herdecke gehört zu den rund 160 Professoren, die in einem offenen Brief ihr Unbehagen über die Pläne der Bundesregierung zur Euro-Rettung deutlich gemacht haben. Sie warnen davor, dass auch Deutschland für Schulden der Banken im Euro-Raum haften müsse. „Die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas dürfen für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen werden, zumal riesige Verluste aus der Finanzierung der inflationären Wirtschaftsblasen der südlichen Länder absehbar sind“, schreiben die Ökonomen.
Ein Brief mit „Horrormeldungen“
Der Brief hat ein beachtliches Echo hervorgerufen. Zumindest in diesem Sinne erreichten die Verfasser ihr Ziel. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sah sich zu einer Reaktion veranlasst. Deutschland gehe durch die jüngsten Brüsseler Gipfel-Beschlüsse keinerlei zusätzliche Verpflichtungen ein, betonte sie. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warf den Professoren vor, „Horrormeldungen“ zu fabrizieren. Energisch widersprach Schäuble der Interpretation der Wissenschaftler, Europa steuere auf eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken zu.
Initiator des Professoren-Protests ist der Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer, der den offenen Brief gemeinsam mit dem Münchener Ökonomen Hans-Werner Sinn verfasst hat. Sinn, der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, zählt seit geraumer Zeit zu den scharfen Kritikern der Euro-Rettungspolitik. Unterzeichnet haben den Protestbrief neben Ökonomen wie Bernd Raffelhüschen (Freiburg) und Joachim Starbatty (Tübingen) auch mehrere Professoren aus dem Ruhrgebiet, darunter Jeannette Brosig-Koch, Dieter Cassel (Uni Duisburg-Essen), Cay Folkers, Dietmar Petzina (Ruhr-Uni Bochum), Josef Gruber, Thomas Hering (Fernuni Hagen), Dirk Sauerland und André Schmidt (Witten-Herdecke). „Weder der Euro noch der europäische Gedanke als solcher werden durch die Erweiterung der Haftung auf die Banken gerettet“, kritisieren sie. „Geholfen wird stattdessen der Wall Street, der City of London – auch einigen Investoren in Deutschland – und einer Reihe maroder in- und ausländischer Banken, die nun weiter zu Lasten der Bürger anderer Länder, die mit all dem wenig zu tun haben, ihre Geschäfte betreiben dürfen.“
„Es geht um Wachrütteln“
Prompt gab es Widerspruch in der eigenen Zunft. „Der Protestbrief zielt nur auf Emotionen“, sagt Michael Hüther, der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft. Die Bankenproblematik stehe im Mittelpunkt der Krise, deshalb sei es richtig, Vorkehrungen für die Rettung von Banken zu treffen. Auch der Wirtschaftsweise Peter Bofinger, Ex-Sachverständigenratschef Bert Rürup, Gustav Horn (Chef des gewerkschaftsnahen Instituts IMK) und Thomas Straubhaar vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts warnten davor, „Furcht zu schüren“. Es könne nicht die Aufgabe von Ökonomen sein, „mit Behauptungen, fragwürdigen Argumenten und in einer von nationalen Klischees geprägten Sprache die Öffentlichkeit durch einen Aufruf weiter zu verunsichern“.
Birger Priddat sagt, ihm sei es weniger darum gegangen, eine „ökonomische Expertenmeinung“ zu veröffentlichen. Ziel sei vielmehr, die Bürger zu sensibilisieren. Er frage sich: „Wie soll diese riesengroße Verschuldung, die wir noch nie hatten in dieser Höhe, abgebaut werden?“ Es sei wichtig, die Politik stärker in die Pflicht zu nehmen. „Ich kenne Parlamentarier, die sagen: Ich verstehe die Prozesse überhaupt nicht“, erzählt er. „Wir geraten hier in ein Fahrwasser, das die Demokratie gefährden könnte.“ Ja, er wolle Politik machen, sagt Priddat. „Es geht um ein Wachrütteln.“