Essen. . SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier ist mit den Beschlüssen zur Euro-Rettung zufrieden, auch wenn Unsicherheiten bleiben. Im Interview mit der NRZ begründet er, warum die Zustimmung richtig war und was er von den angestrengten Verfassungsklagen hält.
Es war eine historische Entscheidung, die der Bundestag am vergangenen Freitag zu später Stunde getroffen hat. Es war ein deutliches „Ja“ zum 700 Milliarden Euro schweren europäischen Rettungsfonds ESM, mit dem künftig Anleihen notleidender Euro-Staaten gekauft werden können. Aber auch eine breite Zustimmung für eine stärkere Bankenaufsicht, für eine Besteuerung der Finanzmärkte und ein 120 Milliarden Euro schweres europäisches Wachstumspaket, um die Wirtschaft anzukurbeln und die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa zu bekämpfen.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier ist mit den Ergebnissen zufrieden. Die Brüsseler Beschlüsse liegen ganz auf der Linie seiner Partei – auch wenn Zweifel bestehen bleiben: „Wir sind mit dieser Entscheidung noch nicht über dem Berg. Das Licht im Tunnel ist noch nicht zu sehen und wenn es sichtbar ist, wissen wir nicht, ob es der entgegenkommende Zug ist“, sagte er am Wochenende auf einer SPD-Veranstaltung im niederrheinischen Kranenburg.
Als Gastredner erklärte er denniederrheinischen Parteifreundenbrandaktuell die Berliner Beschlüsse und er fand auch Zeit, für ein NRZ-Interview mit SPD-Schatzmeisterin Barbara Hendricks:
Das war eine sehr intensive Woche mit weitreichenden Entscheidungen. Sie sind zufrieden, aber aus Ihrer Ansprache kann man auch eine gewisse Verunsicherung über die Beschlüsse heraushören.
Frank-Walter Steinmeier: Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Diese Regierung hat es eigentlich nicht verdient, eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag zu erreichen. Und ohne uns wäre Frau Merkel ja sogar an ihren eigenen Reihen gescheitert, denn sie hat am Freitag dreimal die Kanzlermehrheit verfehlt. Aber die Beschlüsse waren notwendig, um Europa nicht verloren zu geben. Deshalb haben wir die Regierung in langen Verhandlungen auf einen besseren und gerechteren Weg gezwungen und am Ende zugestimmt.
Und Sie glauben, damit wächst die Zustimmung für Europa wieder?
Steinmeier: Sicher ist es schwer in diesen Zeiten für Europa zu werben. Aber uns allen muss klar sein, dass Europa nicht nur unsere Geschichte ist, die uns über 60 Jahre Frieden und Wohlstand gebracht hat. Es ist auch unsere Zukunft. Allein werden wir im globalen Wettbewerb nicht bestehen. Arbeit und Wohlstand werden in Deutschland auf Dauer nur gesichert bleiben, wenn wir es schaffen Europa zu stabilisieren. Leider sind wir noch lange nicht am Ziel. Dafür war die Politik dieser Regierung in den letzten zweieinhalb Jahren zu mutlos und zu halbherzig. Und deshalb gehe ich davon aus, dass uns das Thema auch während der Sommerpause weiter beschäftigen wird. Ich habe meine Abgeordneten schon auf Sondersitzungen vorbereitet.
Aber warum dieser Zeitdruck? Am Donnerstag verhandelte Angela Merkel in Brüssel bis in die frühen Morgenstunden über den Europäischen Rettungsfonds ESM und nur wenige Stunden später soll der Bundestag die Beschlüsse absegnen.
Steinmeier: Es ist ja nicht mit Hast verhandelt worden. Wir haben jetzt zehn Wochen hart verhandelt. Das Ergebnis zwischen der Koalition und der Opposition stand vor dem europäischen Gipfel fest. Uns ging es am Freitag nur darum, zu überprüfen, ob unsere Vereinbarung auch im Beschluss des Europäischen Rates enthalten ist. Und das ist der Fall.
Aber in Brüssel ist es doch zu einem anderen Ergebnis gekommen, als Merkel sich das gewünscht hat. Die von ihr vehement abgelehnte Hilfe für Banken wurde jetzt beschlossen.
Barbara Hendricks: Nein, das haben wir nicht beschlossen. Für eine Unterstützung der Banken muss die Bundeskanzlerin wieder vor das deutsche Parlament treten.
Steinmeier: In der Tat: Frau Merkel mag das in Brüssel versprochen haben, aber einen Beschluss des Bundestages dazu gibt es nicht. Wenn dieser Teil des Beschlusses Gesetzeskraft erlangen soll, muss das geltende Recht in Deutschland noch einmal geändert werden. Und ich schließe nicht aus, dass Frau Merkel damit wieder an der eigenen Mehrheit scheitert.
Würden Sie denn zustimmen, wenn Banken künftig Geld aus dem ESM erhalten sollen?
Hendricks: Das kommt auf die Ausgestaltung an. Wir können im Vorfeld nicht sagen, wie wir damit umgehen werden.
Steinmeier: Das werden wir genau prüfen. Es kann nicht ohne Kontrolle und ohne Bedingungen gehen. Im Falle Spaniens wurde jetzt ein Zwischenweg eingeschlagen. Das Land soll zwar nicht als Ganzes unter den Rettungsschirm treten, aber Vertragspartner der EU für die Sanierungshilfe der spanischen Banken ist trotzdem die Regierung in Madrid. Und solange es keine europäische Aufsicht und Kontrolle über die nationalen Banken gibt, bleibt das auch der einzig vertretbare Weg.
Welche Rolle wird dabei der Gouverneursrat des ESM übernehmen? Kann dieser Entscheidungen treffen, ohne dass das deutsche Parlament noch gehört werden muss?
Steinmeier: Nein. Der Bundestag entscheidet über Programme. Innerhalb der Programme hat der Gouverneursrat Entscheidungsbefugnisse. Entscheidend ist, dass in jedem Fall die Abgeordneten entscheiden, wieviel Spielraum es für Rettungsprogramme gibt.
Diesen Spielraum haben Sie jetzt mit dem 700 Milliarden Euro umfassenden Rettungsschirm ESM gewährt?
Steinmeier: Nein, denn auch die Programme innerhalb des ESM sowie jede Erhöhung der Kredite müssen durch das Parlament gehen. Das wird auch in Zukunft so sein.
Für die Entscheidung blieb jetzt wenig Zeit. Die FDP hat am Freitag darauf gedrängt, die Abstimmung zu verschieben, weil sie mit den Ergebnissen aus Brüssel nicht einverstanden war. Gab es in der SPD auch solche Stimmen?
Steinmeier: Wenn es tatsächlich zu einer fundamentalen Veränderung über Nacht gekommen wäre, dann hätte der Bundestag am Freitagabend nicht entscheiden können. Aber über den Kurswechsel von Frau Merkel bei der Bankenfinanzierung mussten die Abgeordneten am Freitag noch nicht abstimmen. Deshalb konnten wir wie geplant beschließen.
Eine Bankenaufsicht haben wir bereits. Sie hat uns aber auch nicht vor den Krisen bewahren können.
Steinmeier: Ja, aber wir haben heute noch sehr unterschiedlich strenge Aufsichten in den Mitgliedsländern. Deshalb brauchen wir eine gemeinsame europäische Bankenaufsicht und müssen uns dabei am strengsten Aufsichtsmaßstab orientieren. Das zweite Ziel, das verfolgt werden muss, ist eine gemeinsame Einlagensicherung der Banken, vor allem für die so genannten systemrelevanten Banken. Für Sparkassen und Volksbanken ist dies nicht notwendig, die haben ein funktionierendes Einlagensicherungssystem.
CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach hat gesagt, dass dieser Beschluss ein sehr großer Schritt in Richtung Vergemeinschaftung von Schulden ist. Ist der Sicherungsfonds ein Freibrief für Schuldenstaaten?
Steinmeier: Manch einer verliert in diesen Tagen die Übersicht. Und das ist nicht verwunderlich bei der Dimension der Krise. Wahr ist aber, dass wir längst für die Schulden der anderen haften, ob Frau Merkel das nun zugibt oder nicht. Die EZB hat für über einer Billionen Euro Staatsanleihen gekauft. Und für die haftet die Bundesbank und der deutsche Steuerzahler. Das ist ein Ergebnis der Politik dieser Regierung. Aber zweitens haben wir doch gerade deshalb gerade am Freitag strengere Regeln für die Haushaltsdisziplin in ganz Europa beschlossen. Was wir uns selbst abverlangen, dass müssen wir auch anderen abverlangen können. Wenn wir jetzt also eine Schuldenbremse in ganz Europa etablieren, ist es ja geradezu das Gegenteil einer Ermutigung zum weiteren Schuldenmachen. Das ist deren Begrenzung.
Wo sehen Sie die größten Gefahren der jetzt gefassten Beschlüsse?
Steinmeier: Die größte Gefahr wäre gewesen, wenn die Beschlüsse nicht zustande gekommen wären. Das hätte ganz ohne Zweifel eine Reaktion der Märkte gegeben, die die Krisenländer in eine noch schwierigere Lage gebracht hätten, weil es zu einer weiteren Zinssteigerung geführt hätte. Die Gefahr, die ich jetzt sehe, ist, dass die gefassten Beschlüsse möglicherweise nicht ausreichen, um die entscheidenden Schritte aus der europäischen Krise zu machen. Wir sehen ja selbst, dass die Politik der Rettungsschirme an ihr Ende kommt. Das funktioniert nicht ausreichend. Und die Geduld der Bevölkerung für weitere Rettungsschirme geht sichtbar zurück. Deshalb kommt es darauf an, dass wir langfristig wieder Vertrauen aufbauen, etwa durch eine gemeinsame Bankenaufsicht oder eine Einlagensicherung. Aber wir benötigen natürlich auch weitere Schritte für eine gemeinsame Abstimmung finanzwirtschaftlicher und steuerlicher Fragen.
Das Bundesverfassungsgericht wird die jetzigen Beschlüsse noch einmal intensiv prüfen.
Steinmeier: Ja, denn es gibt einzelne Abgeordnete aus fast allen Fraktionen, die Klagen eingereicht haben.
Es geht um die Frage, ob die Beteiligungsrechte des Bundestages verletzt werden.
Steinmeier: Darauf haben wir nun sehr genau geachtet. Wir haben mehrere Beteiligungsgesetze vorgesehen, um die Rechte des Bundestages nicht auszuhebeln. Ich gehe davon aus, dass das Gericht das auch würdigen wird.
Und wenn es das nicht tut?
Steinmeier: Wenn das Gericht zu einer ablehnenden Entscheidung kommt, gerät Europa in eine sehr schwierige Situation. Aber wie gesagt: Meine Einschätzung ist, dass das Gericht zu einem positiven Urteil kommt.