Essen. . Ab Juli steht Peter Terium an der Spitze des RWE-Konzerns. Ein Interview über den endgültigen Ausstieg aus der Kernkraft und den Einstieg in die Solarenergie. Die Braunkohle hält Terium für unverzichtbar.

Der designierte RWE-Vorstandsvorsitzende Peter Terium hat einen harten Sparkurs in dem Energiekonzern angekündigt. "Durch den Kernenergieausstieg kommt weniger Geld in die Kasse, außerdem belasten uns ungünstige Gasverträge und die Brennelementesteuer", sagte Terium der WAZ Mediengruppe.

Sind Sie als Niederländer ein wenig neidisch auf den Erfolg der deutschen Nationalmannschaft bei der EM?

Terium: Deutschland hat das, was den Niederlanden fehlt: mit Joachim Löw einen genialen Bundestrainer.

Was kann sich ein Vorstandschef von Löw abgucken? Löw hat es gewagt, seinen Top-Torschützen aus der Vorrunde gegen Griechenland auf die Bank zu setzen, weil eine neue Taktik erforderlich war. So etwas lässt sich auch auf die Vorstandsarbeit übertragen. Natürlich weiß jeder Top-Manager, dass er gelegentlich auch gewagte Entscheidungen treffen muss. Das zu tun, ist dann aber oft schwer.

Müssen Sie die Strategie bei RWE ändern?

Terium: Wir haben eine gute Mannschaft und eine gute Strategie, aber es wird neue Akzente geben. Löw hat schließlich nicht sein ganzes Team ausgewechselt, sondern an zwei, drei Stellen verändert. Auch wir stellen uns jetzt flexibel auf die neue Situation ein.

Das Kapitel Kernenergie vollständig abschließen

Sie meinen den Ausstieg von RWE aus der Kernkraft, auch im Ausland.

Terium: Wir werden das Kapitel Kernenergie aus wirtschaftlichen Gründen vollständig abschließen.

Der Ausstieg gilt also grundsätzlich, selbst wenn sich Kernkraftwerke in 20 Jahren wieder rechnen würden?

Terium: Die Entscheidung ist endgültig, weil uns in absehbarer Zeit das Know-how fehlen wird, das für den Bau und Betrieb von neuen Kernkraftwerken notwendig ist. Das ist nicht rückholbar.

Dafür werden Sie zum grünen Holländer und steigen in die Photovoltaik ein, die Ihr Vorgänger Jürgen Großmann mit Blick auf Deutschland als so „sinnvoll wie Ananaszüchten in Alaska“ verspottet hat.

Terium: Erstens bin ich Niederländer, und zweitens bin ich nicht grün, sondern allenfalls nachhaltig. Denn ich setze neben Sonne und Wind auch auf moderne fossile Kraftwerke. Was die Photovoltaik angeht: Ja, wir haben uns getäuscht – und viele Experten mit uns. Keiner hat diese enorme Kostenreduzierung der vergangenen Jahre bei Solarmodulen erwartet. Fehler sind menschlich. Schlimmer als Fehler zu machen, ist es, Fehler zu erkennen und sie dann nicht zu korrigieren.

Vom Mikro-Kraftwerk bis zum Solar-Park

Und nun wollen Sie einen Teil der staatlichen Solar-Subventionen abbekommen?

Terium: Als Steuerzahler kann man das kritisieren, als Chef eines Energieunternehmens muss man energiewirtschaftlich Konzepte entwickeln für diesen Strom, der in den Markt drängt.

Nämlich?

Terium: Wir wollen nicht Solar-Paneele installieren, das können Handwerker besser. Unsere Kompetenz liegt im dezentralen Management von Energiesystemen – vom Mikro-Kraftwerk im Keller über die Wärmepumpe bis zum Solar-Park. In Marokko schauen wir uns ein Pilotprojekt an, bei dem wir Photovoltaik mit Windkraft kombinieren. In Spanien oder Italien planen wir Solarparks, die dort schon wirtschaftlich sind, also ohne Subventionen laufen.

Aber Subventionen fordern Sie für den Betrieb von herkömmlichen Kraftwerken.

Terium: Nein. Ich sage: Wenn auf Grund der reichlichen Einspeisung von Wind- und Sonnenenergie zur Sicherung der Netzstabilität auf Anweisung der Bundesnetzagentur unwirtschaftliche Kraftwerke am Netz bleiben müssen, muss es dafür eine marktkonforme Prämie geben.

Wie weit sind Ihre Pläne, gemeinsam mit dem Zechenbetreiber RAG Pumpspeicherkraftwerke auf Bergbauhalden zu bauen?

Terium: Es wird schwieriger, die Pläne zu verwirklichen. Die großen Mengen Sonnenenergie, die in das Netz strömen, führen auch dazu, dass Pumpspeicherkraftwerke zurzeit an Wirtschaftlichkeit verlieren.

Im Gespräch mit der RAG

Wie das?

Terium: Wasser wird nachts nach oben gepumpt, wenn die Strompreise niedrig sind. Es fällt in die Tiefe und treibt Turbinen an, wenn die Strom-Nachfrage und mithin die Preise hoch sind, also zwischen acht und 18 Uhr. Diese so genannten Spitzenlastpreise gibt es praktisch nicht mehr, seitdem die Sonnenenergie vor allem in der Mittagszeit in großen Mengen eingespeist wird. Die Wirtschaftlichkeit von Pumpspeicherkraftwerken ist darum gefährdet.

Ist es nicht absurd, wenn die Erneuerbaren die so wichtige Pumpspeichertechnik torpedieren?

Terium: Hier zeigt sich doch einmal mehr, dass jeder neue Eingriff in den Markt weitere Verwerfung nach sich zieht. Darum glaube ich auch nicht, dass der unbedingte Einspeisevorrang für die Erneuerbaren auf Dauer Bestand haben kann.

Geben Sie Ihre Pläne im Ruhrgebiet auf?

Terium: Wir sind mit der RAG weiter im Gespräch. Studien zeigen die technische Machbarkeit. Jetzt muss sich zeigen, ob und wie das wirtschaftlich machbar ist.

Wie passt die Braunkohle mit ihrem hohen Kohlendioxid-Ausstoß zur Energiewende bei RWE?

Terium: Die Braunkohle in Deutschland wird noch viele Jahre gebraucht. Auch die Industrie ist auf Kraftwerke angewiesen, die in der Lage sind, Grundlaststrom zu akzeptablen Preisen zu produzieren. Wir sehen die Notwendigkeit, bis 2020 neue Kraftwerke zu bauen. Deshalb treiben wir auch die Planungen für ein hochmodernes Braunkohlekraftwerk in Niederaußem voran.

Klimaneutral bis 2020

Sie rechnen also fest mit einem Neubau?

Terium: Fest rechnen kann man in der derzeitigen energiepolitischen Situation mit fast nichts. Es gibt viele Unsicherheiten. Wir müssen uns aber die Möglichkeit für ein neues Braunkohlekraftwerk im rheinischen Revier offenhalten, damit wir schnell reagieren können.

Wenn Sie 2020 ein neues Braunkohlekraftwerk errichten, läuft es mindestens noch 40 Jahre lang. Das heißt: Strom aus Braunkohle bis 2060?

Terium: Wir werden sehen. Wir wollen 2050 klimaneutral sein. Wichtig ist, dass wir bei der Abscheidung von Kohlendioxid Fortschritte machen. Denkbar ist auch eine industrielle Verwertung. Wenn es so große wertvolle heimische Rohstoffreserven vor der eigenen Haustür gibt, wäre es doch geradezu töricht, diese nicht vernünftig einzusetzen. Schließlich steht sie für Versorgungssicherheit.

Wie viel Braunkohle liegt den noch im Rheinischen Revier?

Terium: Gigantisch viel, mehr als 35 Milliarden Tonnen. Das kann unsere Versorgungssicherheit noch sehr lange sichern.

150-Megawatt-Blöcke abschalten

Werden Sie denn die alten Kraftwerke endlich abschalten?

Terium: Selbstverständlich werden wir die alten 150-Megawatt-Blöcke stilllegen, das ist Teil der Genehmigung für den derzeitigen Neubau.

Und die alten 300-Megawatt-Blöcke?

Terium: Wir brauchen die 300-Megawatt-Blöcke und auch die 600-Megawatt-Blöcke noch für unsere Stromversorgung. Das hat doch der letzte Winter gezeigt. Daten der Bundesnetzagentur belegen, dass das System ansonsten in die Knie gegangen wäre. Die Kraftwerke sind besonders an kalten, windstillen und wolkenreichen Tagen eine tragende Säule.

Zurück zum Fußball. Ausgerechnet am Tag des EM-Spiels Deutschland gegen Holland haben Sie eine Strom- und Gaspreiserhöhung verkündet. Das haben Verbraucherportale als Foul bewertet.

Terium: Es gibt nie den richtigen Zeitpunkt, um die Preise zu erhöhen.

Können Sie bald mal wieder eine Preissenkung verkünden?

Terium: Das, was wir derzeit am Markt und in der Politik beobachten, lässt uns nicht auf sinkende Preise hoffen, eher im Gegenteil. Die Investitionen in neue Netze kosten Milliarden, auch die Umlage für Öko-Strom dürfte steigen. Dazu kommen jetzt die Umlage zur Entlastung der energieintensiven Industrien und steigende Netzentgelte.

Milliarden in Kraftwerke investiert

Sie verabschieden sich von der Atomkraft, klagen aber gegen die schnelle Abschaltung. Wie passt das zusammen?

Terium: Wir haben Milliarden in unsere Kraftwerke investiert. Sie sind nach der gültigen Gesetzeslage sicher und haben die Stresstests bestanden. Ich könnte unseren Aktionären doch gar nicht erklären, dass ich eine Entwertung des Unternehmensvermögens ohne Gegenwehr zulasse. Zumal zahlreiche Experten sagen, dass die Abschaltung nicht rechtens war. Jetzt werden die Richter entscheiden, und dann haben wir Klarheit.

Die Kommunen gehören mit einem 25-Prozent-Anteil zu Ihren wichtigsten Aktionären. Einige Stadträte haben nach der Katastrophe in Fukushima die Abschaltung der Atomkraftwerke verlangt, so auch der Rat der Stadt Essen.

Terium: Wir arbeiten gut mit den Kommunen zusammen. Der Vorteil von RWE ist ja gerade die Verankerung in den Kommunen. Es gibt allerdings einen Unterschied zwischen einem politischen Ratsbeschluss und dem Verhalten eines kommunalen Aktionärs im Aufsichtsrat, der dem Unternehmenswohl verpflichtet ist.

Zusammenarbeit mit Städten

Ist die Zusammenarbeit mit den Städten wirklich so reibungslos?

Terium: Ja. Andere Firmen fliegen nach Abu Dhabi, um einen Ankeraktionäre zu finden, wir haben einen Partner, der schon länger als110 Jahre dem Unternehmen verbunden ist, auch in schwierigen Zeiten. Darauf sind wir stolz.

Und sie machen Geschäfte mit den Kommunen, etwa bei einem gemeinsamen Bau von Solarparks.

Terium: Ja, gerade bei den Erneuerbaren gibt es ein großes Interesse, gemeinsam Projekte zu realisieren. Denken Sie nur an Green Gecco, das Stadtwerkekonsortium, das sich auch an unserem Windpark in Titz im Rheinischen Revier beteiligt. Dieses Geschäft wollen wir ausbauen.

Sie haben die Belegschaft auf harte Sparmaßnahmen eingestellt. Warum?

Terium: Durch den Kernenergieausstieg kommt weniger Geld in die Kasse, außerdem belasten uns ungünstige Gasverträge und die Brennelementesteuer. Hinzu kommen die Eurokrise und die niedrigen Großhandelspreise für Strom. Und schließlich müssen wir Schulden tilgen, weil wir in den vergangenen Jahren Milliarden in neue Kraftwerke investiert haben. Deshalb müssen wir sparen und effizienter werden.

RWE steht zum Konzernsitz in Essen

Die Rede war von einem Abbau von mehr als 8000 Mitarbeitern.

Terium: Ich möchte mich jetzt hier nicht auf eine Zahl festlegen. Mehr Effizienz kann auch bedeuten, dass wir mit der gleichen Zahl an Mitarbeitern mehr leisten. Aber weniger und modernere Kraftwerke bedeuten auch weniger Personal.

Können Sie betriebsbedingte Kündigungen ausschließen?

Terium: Grundsätzlich kann ich leider überhaupt nichts ausschließen. Man kann versuchen, Mitarbeiter in neue Bereiche zu transferieren, aber das hängt auch von der Qualifikation und der Flexibilität ab. Wir sprechen mit dem Betriebsrat, dem Aufsichtsrat und den Gewerkschaften. Auf Dauer werden wir aber mit weniger Mitarbeitern auskommen müssen.

Wie steht RWE zum Standort Essen?

Terium: Wir stehen zum Konzernsitz in Essen. Aber wenn wir bestimmte Abteilungen bündeln, muss das nicht immer in Deutschland sein. Die Welt spezialisiert sich, und wir dürfen nicht still stehen. Andere große Konzerne haben Bereiche wie die Lohnbuchhaltung und Rechnungswesen längst nach Osteuropa verlagert.