Athen. Ein Großteil der privaten Gläubiger erlässt dem pleitebedrohten Griechenland einen Teil seiner Schulden. Doch der Schuldenschnitt ist noch kein Befreiungsschlag. Es bleiben weiter Risiken.

Es sei eine „historische Chance“, sagt der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos: auf einen Schlag werden den Griechen Schulden von rund 105 Milliarden Euro erlassen. Das entspreche immerhin der Hälfte des diesjährigen Bruttoinlandsprodukts (BIP), unterstreicht Venizelos.

Das stimmt zwar, ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn während einerseits durch den „Hair Cut“ Verbindlichkeiten von 105 Milliarden gestrichen werden, kommen auf der anderen Seite neue Schulden von 130 Milliarden hinzu – nämlich die Hilfskredite aus dem neuen Rettungspaket, die in mehreren Tranchen bis 2015 ausgezahlt werden sollen. Noch am Freitag gab die EU einen ersten Teil des Geldes frei.

Entlastet wird Griechenland zwar beim Schuldendienst, weil die Zinsen der neuen Anleihen und der Rettungskredite niedriger sind als die der alten Papiere. Die Einsparung dürfte sich auf etwa vier bis fünf Milliarden Euro im Jahr belaufen. Aber Griechenlands Schulden, die Ende 2011 mit 368 Milliarden Euro rund 170 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erreichten, werden in den kommenden Jahren trotz des jetzt vorgenommen Schnitts nur langsam zurückgehen. Im Jahr 2020 soll die Schuldenquote 120,5 Prozent vom BIP erreichen. Das wäre immerhin noch doppelt so viel wie die im EU-Stabilitätspakt festgeschriebene Obergrenze von 60 Prozent.

Wieso nun plötzlich eine Schuldenquote von 120 Prozent als tragfähig gelten soll, haben bisher weder die EU noch der Internationale Währungsfonds schlüssig erklären können. Eine volkswirtschaftliche Begründung dafür gibt es jedenfalls nicht. Schon das zeigt: dieser Schuldenschnitt ist keineswegs der große Befreiungsschlag, als den ihn manche jetzt darzustellen versuchen. Griechenland wird dadurch nicht gerettet. Es gewinnt lediglich Zeit.

Vieles hängt jetzt von der Wirtschaftsentwicklung ab

Ob die Rechnung am Ende aufgeht, ob Griechenland seine Schulden aus eigener Kraft bedienen und an die Kapitalmärkte zurückkehren kann, hängt von mehreren Parametern ab. Der wichtigste Faktor ist die Konjunktur. Mit ihr steht und fällt das neue Rettungskonzept, dessen zentrales Element dieser Schuldenschnitt ist. Die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts beeinflusst nicht nur direkt die Defizit- und Schuldenquoten, die in Relation zur Wirtschaftsleistung berechnet werden. Die Konjunktur entscheidet auch darüber, ob Griechenland die Vorgaben zur Haushaltskonsolidierung einhalten kann.

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Die bisherigen Kalkulationen zur Schuldentragfähigkeit unterstellen, dass Athen im Budget ab 2013 kontinuierlich Primärüberschüsse erwirtschaftet. Bleiben diese Überschüsse aus, wird die Schuldenquote ab 2013 nicht mehr fallen sondern wieder ansteigen und innerhalb eines Jahrzehnts die Marke von 200 Prozent des BIP überschreiten. Griechenland stünde dann trotz Schuldenschnitt und Milliardenkrediten noch schlechter da als heute.

Griechische Regierung erwartet jetzt erst ab 2014 wieder Wachstum

Die EU und die Regierung in Athen erwarteten bisher, dass Griechenland gegen Ende 2013 das tiefe Tal der Rezession hinter sich lässt und auf den Wachstumspfad zurückkehrt. Am Freitag vertröstete Finanzminister Venizelos seine Landsleute erneut: Wachstum werde es erst 2014 geben. Doch all diese Konjunkturprognosen sind mit Vorsicht zu genießen. Denn in der Vergangenheit lagen die offiziellen Vorhersagen meist krass daneben. So sagte die EU-Kommission für Griechenland noch Mitte 2011 einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 3,5 Prozent voraus. Tatsächlich war das Minus mit rund sieben Prozent doppelt so groß.

Auch jetzt mehren sich die schlechten Nachrichten: Im vierten Quartal 2011 ging die Wirtschaftsleistung um 7,5 Prozent zurück, statt bisher angenommener sieben Prozent. Die Arbeitslosenquote erreichte im Dezember mit 21 Prozent den höchsten Stand seit Kriegsende. Unter den 14- bis 25-Jährigen ist sogar jeder Zweite ohne Job. Neuere Zahlen hat die staatliche Statistikbehörde noch nicht gemeldet, aber seit Beginn des Jahres dürften die Arbeitslosenzahlen weiter gestiegen sein.

Zu wenige Wachstumsimpulse

Der wirtschaftliche Absturz ist vor allem ein Ergebnis der Auflagen der Troika, die viel zu einseitig auf Ausgabenkürzungen setzt und zu wenig Gewicht auf Wachstumsimpulse legt – eine Rosskur, die das Land vollends zu ruinieren droht und enorme soziale Spannungen heraufbeschwört. Auch die Athener Politiker tragen Schuld, weil sie bei den Strukturreformen, die die Griechenland für Investoren attraktiver machen könnten, viel zu zögerlich vorangehen. So spart sich das Land immer tiefer in die Rezession. Wenn nicht schleunigst die Weichen zum Wachstum gestellt werden, wird der Schuldenschnitt schnell verpuffen.

Krawalle in Griechenland

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