Essen. So hohe Feinstaub-Werte wurden in NRW wohl noch nie gemessen: Wie unter einem Deckel sammeln sich die Schadstoffe. Messstationen stehen auf Rot.
Dicke Luft über Nordrhein-Westfalen: Viele Messstationen im Land zeigen in diesen Tagen extrem hohe Werte für Feinstaub an. Sie liegen um ein Vielfaches über den üblicherweise gemessenen Werten und überschreiten auch Grenzwerte. Schuld ist eine besondere Wetterlage, die den Austausch der Luftmassen am Boden verhindert. Die Experten des Landesamtes für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz sprechen von „ungewöhnlich hohen Werten, die weniger als einmal im Jahr vorkommen“. Eine akute Gesundheitsgefährdung gebe es jedoch nicht. Menschen mit Vorerkrankungen sollten jedoch wegen der schlechten Luftqualität vorsorglich Anstrengungen im Freien vermeiden, rät das Umweltbundesamt.
Über die Luftqualität informiert das LANUV die Öffentlichkeit in Form von Schulnoten – aktuell hagelt es Fünfen und Sechsen. Besorgnis lösen momentan insbesondere die Werte für Feinstaub der Partikelgrößen PM 10 und PM 2.5 aus. Als besonders problematisch gilt dabei die Gruppe PM2,5, sie bezeichnet Partikel bis zu einer Größe von 2,5 Mikrometer – also Tausendstel Millimeter. Diese ultrafeinen Partikel können durch Nase und Mund in die Lunge gelangen und je nach Größe die Lungenbläschen und den Blutkreislauf erreichen und schädigen.
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Das Umweltbundesamt gibt für Feinstaubpartikel PM10 für den Schutz der menschlichen Gesundheit einen Tagesgrenzwert von 50 Mikrogramm je Kubikmeter (μg/m³) . Er darf lediglich an 35 Tagen im Jahr überschritten werden. Generell gilt ein maximaler Jahresmittelwert von 40 μg/m³. Für die kleineren Partikel PM2.5 gibt es nur unverbindliche Zielwerte von 25 μg/m³. Für noch kleinere Partikel – obwohl ungleich gefährlicher – gibt es derzeit noch keine Grenzwerte.
Ein Blick auf die neuesten Messwerte in den Ballungsräumen von NRW zeigt: Die Luftqualität ist weiter schlecht bis sehr schlecht, das sind die beiden untersten Kategorien, die es gibt. Die „Hotspots“ der Belastungen: An der Steeler Straße im Osten Essens wurde am Freitag für PM 2.5 ein 24-Stunden-Mittelwert von 51 µg/m³ festgestellt, das Doppelte des Zielwertes. Auch in Oberhausen an der Mülheimer Straße und in Duisburg-Buchholz registrierte das LANUV nahezu gleich hohe Extremwerte. Knapp ein Dutzend weitere Stationen im Ruhrgebiet lag nur knapp darunter.
>>> Über die aktuellen Feinstaub-Werte an den Messstationen in NRW informiert das LANUV auf diesen stündlich aktualisierten Karten.
LANUV zu Feinstaub-Belastungen: Keine akute Gesundheitsgefahr
„Die aktuell gemessenen Werte sind außergewöhnlich hoch, so etwas kommt in dieser Höhe im Schnitt weniger als einmal im Jahr vor“, sagte LANUV-Sprecher Wilhelm Deitermann auf Anfrage. Die Fachbehörde hält es für möglich, dass in der aktuellen Situation „es an der einen oder anderen Station zu Maximalwerten seit Beginn der Messungen zu PM2,5“ kommen kann. „Eine direkte und akute Gesundheitsgefahr aber gehe auch von den aktuellen Belastungen nicht aus“, so das LANUV. Neben NRW sind weite Teile Deutschlands momentan von hohen Feinstaub-Belastungen betroffen.
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Das Umweltbundesamt (UBA) rät vor allem Menschen mit Grunderkrankungen wie Asthma, Allergien und akuten Atemwegserkrankungen zur Vorsicht. Vorsorglich sollten sie aufgrund der schlechten Luftqualität auf körperliche Anstrengungen verzichten. „Man sollte derzeit lieber einen gemütlichen Spaziergang machen, als joggen zu gehen“, sagte die UBA-Fachgebietsleiterin für die Beurteilung der Luftqualität, Ute Dauert.
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Deutscher Wetterdienst: Inversionswetterlage wirkt wie ein Deckel
Experten des LANUV und Meteorologen sehen zwei Gründe für die extrem hohen Schadstoffwerte in der Luft. „Der wichtigste Faktor ist die aktuell herrschende Inversionswetterlage, die dazu führt, dass sich Feinstaub in den unteren Schichten anreichert“, so LANUV-Sprecher Deitermann. Kea Bunjes, Meteorologin des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in Essen, ergänzt: „Momentan liegt eine Schicht warmer Luftmassen wie ein Deckel über den bodennahen kälteren Schichten. Weil dazu der Wind mit gerade einmal 15 km/h weht, findet kein Austausch der Luftmassen statt.“
Der zweite Grund, der laut LANUV die Tageswerte ins Extrem treibt: „Die niedrigen Temperaturen machen es nötig, unsere Häuser zu heizen. Vor allem Heizungen mit fossilen Brennstoffen führen zu einer erhöhten Staubbelastung“, so der Sprecher. „Hinzu kommen noch die weiteren Quellen wie Industrie und Verkehr. Beim Verkehr sind das vor allem Reifenabrieb und Bremsstäube“. In Wohngebieten ist es laut Experten vor allem die Holzverbrennung in Kaminöfen und und Pellet-Heizungen, die bei Inversionswetterlagen für akute Feinstaub-Belastungen sorgt.
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Inversionswetterlagen sind im Winter, auch im Sommer, nicht ungewöhnlich, sagt das LANUV. Die Experten gehen von einer kurzfristigen Belastung aus, die auch schnell wieder verschwinden könne, sobald sich das Wetter ändere: „Die Feinstaub-Werte können schon innerhalb eines Tages deutlich zurückgehen.“
Meteorologin Kea Bunjes indes glaubt, dass der „Deckel auf dem Pott“ erst einmal bleibt: „Ich sehe noch keine Anzeichen für eine grundlegende Wetteränderung in den nächsten Tagen“, sagt die Expertin. „Die Daten deuten darauf hin, dass sich an diesem Wochenende und auch an den ersten Tagen der neuen Woche wohl wenig bewegen wird. Kaum Wind, eine geschlossene Wolkendecke und keine größeren Niederschläge: Damit müssen wir erst einmal Vorlieb nehmen.“