Berlin. Eine Feinstaubwolke liegt über Deutschland. Ein Experte erklärt, wer aktuell lieber zu Hause bleiben sollte und wie sinnvoll Masken sind.

In Deutschland herrscht dicke Luft. Seit Tagen werden im ganzen Land erhöhte Feinstaubwerte gemeldet und das Umweltbundesamt (UBA) warnt vor der schlechten Luftqualität. Die ist derzeit so miserabel, dass sogar vom Joggen unter freiem Himmel abgeraten wird. Wir haben mit dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), Prof. Dr. Wolfram Windisch, gesprochen. Er erklärt, welche Gruppen aktuell besonders vorsichtig sein sollten und ob Masken gegen den Feinstaub schützen.

Warum ist Feinstaub problematisch?

Prof. Dr. Wolfram Windisch: Man muss sagen, die Lunge ist dafür gebaut, dass wir gesunde Luft einatmen. Das ist ein Gemisch aus Stickstoff, Sauerstoff und einem sehr kleinen Anteil an Edelgasen. Alles andere, was wir einatmen – Rauch, Dampf und Feinstaub – ist gesundheitsschädlich. Es gibt keine Grenzwerte für Feinstaub, bei denen Unbedenklichkeit angenommen werden kann. Auch niedrige Konzentrationen sind im Zweifelsfall schädlich. Außerdem gibt es keinen linearen Zusammenhang: Das heißt, eine Verdopplung der Feinstaubwerte führt nicht zu einer doppelten Gefährdung. Schon niedrige Werte können Schaden auslösen.

Bei Schäden durch Feinstaub unterscheidet man zwischen dauerhaften und akuten Schäden. Dauerhafte Schäden entstehen im Zeitraum von Jahren, sie können zu Atemwegserkrankungen führen, aber auch zu Schwangerschaftsrisiken, wie einem niedrigen Geburtsgewicht, oder zu Stoffwechselerkrankungen bis hin zum Herzinfarkt.

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Feinstaub über Deutschland: Experte empfiehlt „individuelle Risikoabschätzung“

Das Umweltbundesamt warnt: Die Feinstaubbelastung in Deutschland ist seit Tagen besonders hoch. Wie ist das zu bewerten?

Windisch: Man muss die hohe Feinstaubbelastung relativ betrachten. Wir hatten in den 1970ern, 80ern, ja sogar noch bis in die 90er-Jahre eine viel höhere Feinstaubbelastung als das heute der Fall ist. Vor diesem Hintergrund ist die dauerhafte Belastung für die Bevölkerung damals viel höher gewesen als heute. Das heißt aber nicht, dass wir die jetzige Situation verharmlosen sollten. Auf keinen Fall.

Welche Gefahren drohen der Bevölkerung?

Windisch: Die Feinstaubbelastung kann bei Patienten mit Vorerkrankungen an der Lunge akute Störungen auslösen. Diese äußern sich klinisch durch Husten, Atemnot oder ein Engegefühl im Brustkorb. Die Grunderkrankungen können sich durch den Feinstaub verschlechtern und im schlimmsten Fall zu einer Krankenhauseinweisung führen. Das Credo muss sein: Feinstaub ist absolut ernstzunehmen, aber es sollte keine Panikwelle entstehen. Nicht jeder, der hustet, muss gleich zum Arzt, sofern er keine Vorerkrankung hat.

Gibt es weitere Gruppen, die besonders gefährdet sind?

Windisch: COPD-Patienten (Chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Anm. d. Red.) gehören dazu. Wir haben in Deutschland schätzungsweise 3,7 Millionen COPD-Patientinnen und -Patienten. Das ist eine ganze Menge. Deswegen muss man auch das Thema Rauchen und Dampfen ansprechen. Wir müssen von den hohen Raucherquoten runter, weil der Schaden durch Zigaretten und E-Zigaretten extrem groß ist.

Wolfram Windisch, präsident der DGP
Wolfram Windisch ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und Chefarzt der Lungenklinik an den Kliniken der Stadt Köln sowie Inhaber des Lehrstuhls für Pneumologie an der Universität Witten/Herdecke. © WAZ | Privat

Das Umweltbundesamt rät wegen des Feinstaubs aktuell davon ab, an der frischen Luft Joggen zu gehen. Für wen gilt dieser Rat? Wie sollte man sich am besten verhalten?

Windisch: Diese Empfehlung gilt insbesondere für Menschen mit Vorerkrankungen. Grundsätzlich kann es sinnvoll sein, aktuelle Feinstaubbelastungen stundengenau lokal zu prüfen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die kostenlose Luftqualitätsapp des Umweltbundesamtes verweisen. Letztlich braucht es aber eine individuelle Risikoabschätzung. Feinstaub ist wie Passivrauchen: Man kann den Konsum nicht selber steuern, muss ihn aber vermeiden.

Gefährdet der Feinstaub Kinder? „Haben Schutz und erhöhtes Risiko gleichermaßen“

Wenn ein Vorerkrankter einen belasteten Ort nicht meiden kann: Empfiehlt sich das Tragen einer Atemschutzmaske?

Windisch: Es gibt keine grundsätzlichen Maskenempfehlungen. Ich würde eher empfehlen, Gegenden mit hoher Feinstaubbelastung zu meiden, oder den Aufenthalt dort zeitlich so weit zu begrenzen, wie es möglich ist.

Wie gefährdet sind Kinder? Ist das Spielen auf dem Schulhof noch unbedenklich?

Windisch: Bei Kindern herrschen besondere Bedingungen. Ihre Organe sind noch im Wachstum und dadurch anfälliger. Außerdem sitzen Kinder in der Pause nicht nur still herum. Kinder rennen herum, kreischen, krakeelen, spielen Fußball und atmen dadurch viel mehr als es Erwachsene tun. Dadurch haben sie eine erhöhte Exposition, aber sie haben auch gesündere Organe und sind in der Regel nicht chronisch vorerkrankt. Sie haben also einen Schutz und ein erhöhtes Risiko gleichermaßen, wenn man so möchte.

Entscheidend ist eher die Frage: Wo ist denn der Schulhof? Wenn der natürlich direkt an der Hauptverkehrsstraße liegt, dann kann das auch für einzelne Kinder problematisch sein. Bis zu zehn Prozent der Kinder leiden an Asthma, die kann das schon betreffen. Und wenn Kinder schon im Mutterleib durch hohe Feinstaubkonzentrationen und/oder Zigarettenrauch exponiert sind, später an einer Hauptstraße groß werden und dann auch noch selber rauchen, dann haben die natürlich ein deutlich höheres Gesundheitsrisiko als andere.

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