Essen/Berlin. Stahlgipfel beim Kanzler in Berlin – in Essen reagiert Thyssenkrupp derweil auf Scholz-Äußerungen zu einem möglichen Staatseinstieg.

Kommt bei Thyssenkrupp das große Stahl-Bündnis mit dem tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky? Oder steigt doch noch der Staat bei Deutschlands wichtigstem Stahlkonzern ein? Angesichts einer Äußerung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zur Möglichkeit einer staatlichen Beteiligung bei Thyssenkrupp hat das Management um Konzernchef Miguel López jedenfalls bekräftigt, stärker mit Kretinsky ins Geschäft kommen zu wollen.

Thyssenkrupp strebe weiterhin an, ein Gemeinschaftsunternehmen zu bilden, an dem die Kretinsky-Firma EP Corporate Group (EPCG) und der Revierkonzern jeweils mit 50 Prozent beteiligt sein sollen, erklärte das Unternehmen als Reaktion auf eine Anfrage unserer Redaktion zu einem etwaigen Staatseinstieg. „Unser Ziel ist ein Konzept, das zu wirtschaftlicher Selbstständigkeit und unternehmerischem Erfolg von Thyssenkrupp Steel führt“, teilte das Management um López mit. „Gemeinsam mit der EPCG wollen wir ein leistungsstarkes, profitables und zukunftsorientiertes Stahlunternehmen schaffen, das die Kosten der Dekarbonisierung auf ein wettbewerbsfähigeres Niveau senkt und so die grüne Transformation der Stahlindustrie auf dem Weg zur CO2-Neutralität beschleunigt.“

Bundeskanzler Scholz traf sich derweil am Montag mit Vertretern der Stahlindustrie im Kanzleramt, um über die angespannte Lage in der Branche zu sprechen. An dem „Stahlgipfel“ nahmen auch Dennis Grimm, der Chef von Thyssenkrupp Steel, sowie Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der IG Metall, und Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol teil. Die Chefs der Stahlkonzerne Salzgitter, Stahl Holding Saar, Arcelor-Mittal, Georgsmarienhütte und Swiss Steel Deutschland waren Regierungsangaben zufolge ebenfalls im Kanzleramt vertreten.

Fototermin vor Beginn des „Stahlgipfels“ im Berliner Kanzleramt: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfängt Vertreter von Unternehmen, Gewerkschaften und Betriebsräte der Stahlbranche, um über die angespannte Lage der Industrie zu sprechen.
Fototermin vor Beginn des „Stahlgipfels“ im Berliner Kanzleramt: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfängt Vertreter von Unternehmen, Gewerkschaften und Betriebsräte der Stahlbranche, um über die angespannte Lage der Industrie zu sprechen. © dpa | Kay Nietfeld

Im Interview mit unserer Redaktion hatte sich Bundeskanzler Scholz zuvor auch einen Staatseinstieg bei Thyssenkrupp Steel offengehalten. „Ich nehme jetzt keine Option vom Tisch. Solche Beteiligungen gab es immer wieder, zuletzt bei der Meyer Werft in Papenburg, aber auch beim Energieunternehmen Uniper oder während der Pandemie bei der Lufthansa“, sagte Scholz. „Unser Engagement ist zeitlich befristet und soll den Unternehmen helfen, Durststrecken zu überwinden, damit mögliche Investitionen nicht am fehlenden Eigenkapital scheitern.“

IG Metall warnt vor „Teilschließung des Stahlstandorts Duisburg“

Tatsächlich ist die Lage bei Thyssenkrupp Steel angespannt: 11.000 der derzeit 27.000 Arbeitsplätze im Unternehmen will der Vorstand abbauen oder ausgliedern. Vor dem Treffen im Kanzleramt hatten Arbeitnehmervertreter vor einer Schwächung des größten deutschen Stahlherstellers gewarnt. Die vom Management angestrebte Stilllegung der Hochöfen 8 und 9 bis zum Jahr 2030 komme „einer Teilschließung des Stahlstandorts Duisburg“ gleich, kritisierte Ali Güzel, der die Interessen der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat von Thyssenkrupp Steel vertritt. Güzel warf dem Management vor, den Aufbau einer Grünstahl-Produktion in Duisburg bremsen zu wollen: „Der ursprüngliche Plan für die grüne Transformation sah vier Direktreduktionsanlagen vor. Jetzt hat uns der Vorstand einen Plan präsentiert, in dem nur noch von einer Direktreduktionsanlage die Rede ist. Das ist viel zu wenig für Europas größten Stahlstandort.“

Daniel Kretinsky bei Thyssenkrupp Steel Aufsichtsratssitzung
Eines der seltenen Fotos von Daniel Kretinsky: Betriebsrat Numan Erdogan hat ein Selfie mit dem öffentlichkeitsscheuen Milliardär bei der Aufsichtsratssitzung von Thyssenkrupp Steel am 29. August in Duisburg gemacht. © Ulf Meinke/FMG | Ulf Meinke

Scholz bezeichnete die Stahlindustrie nach dem Treffen im Kanzleramt als „unverzichtbar“ für Deutschland. „Der hier produzierte Stahl ist von höchster geostrategischer Bedeutung für die Industrieproduktion in Deutschland und damit für unser wirtschaftliches Wachstum“, sagte er. In dem Gespräch mit den Branchenvertretern habe der Kanzler seine Bereitschaft unterstrichen, sich unter anderem für „wettbewerbsfähige Energiekosten“ einzusetzen und „die deutsche Stahlindustrie weiterhin intensiv bei der Modernisierung der Produktion zu unterstützen“, erklärte die Bundesregierung. Ein wichtiges Ziel sei, „die vielen Industriearbeitsplätze in dieser Branche zu sichern“.

Kommen noch weitere DRI-Anlagen in Duisburg?

Für eine erste Direktreduktionsanlage (DRI-Anlage) zum Aufbau einer Grünstahl-Produktion in Duisburg haben die Bundesregierung und das Land NRW bereits insgesamt etwa zwei Milliarden Euro zusagt. Der Landesanteil – bis zu 700 Millionen Euro – ist dabei die größte Einzelförderung, die es jemals in NRW gegeben hat, wie Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) stets betonte. Der Eigenanteil von Thyssenkrupp für das DRI-Projekt sollte frühen Unternehmensangaben zufolge bei rund einer Milliarde Euro liegen. Die Kosten für das Vorhaben könnten aber noch steigen. Schon im August hatte Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm erklärt, beim DRI-Projekt gebe es „bereits nach kurzer Zeit Risiken ungeplanter Mehrkosten, die aktuell bewertet werden“.

Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der IG Metall, betonte nach dem Treffen im Kanzleramt, wie wichtig eine Förderung auf europäischer und nationaler Ebene „für den weiteren Umbau der Hochofen-Route in Deutschland“ sei. Bundeskanzler Scholz habe sich „offen dafür“ gezeigt. „Der Bundeskanzler hat sich klar zum Stahlstandort Deutschland inklusive der kompletten Wertschöpfungskette bekannt“, berichtete Kerner. „Jetzt sind die Unternehmen aufgefordert, sich daran auszurichten und die Umstellung auf grüne Stahlproduktion an den heimischen Standorten konsequent anzugehen.“

„Jahr 2025 entscheidet über das Schicksal der deutschen Stahlindustrie“

Thyssenkrupp-Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol sieht dringenden Handlungsbedarf der Bundesregierung, um die heimische Stahlindustrie zu retten. „Das Jahr 2025 entscheidet über das Schicksal der deutschen Stahlindustrie“, sagte Nasikkol. Scholz habe „die Zeichen der Zeit erkannt“ und „konkrete Maßnahmen versprochen, um die system- und sicherheitsrelevante Stahlindustrie zu stärken“. Erfreulich sei auch die Zusage des Bundeskanzlers, „weitere Transformationsschritte zu fördern“.

Überlegungen zu einem möglichen Staatseinstieg bei Thyssenkrupp waren – wie erwartet – in den Mitteilungen der Stahlgipfel-Teilnehmer kein Thema. Schließlich handelte es sich bei dem Treffen im Kanzleramt um eine Gesprächsrunde, bei der es nicht um die Lage eines Einzelunternehmens, sondern um die gesamte Branche gehen sollte.

Nasikkol lädt Scholz zu „Stahl-Arena“ nach Duisburg ein

Bei der Bundestagswahl Ende Februar kommenden Jahres tritt Kanzler Scholz erneut als Spitzenkandidat für die SPD an. Unterstützung der IG Metall und von Arbeitnehmervertretern wichtiger Unternehmen dürfte für Scholz von großer Bedeutung im bevorstehenden Wahlkampf sein. Wenige Tage vor der Bundestagswahl im September 2021 hatte Scholz noch als Kanzlerkandidat Arbeitnehmervertreter von Thyssenkrupp am Stahlstandort Duisburg besucht.

Tekin Nasikkol habe Scholz eingeladen, auch im anstehenden Wahlkampf nach Duisburg zu kommen, heißt es in Betriebsratskreisen. Von einer „Stahl-Arena“ ist bei den Thyssenkrupp-Arbeitnehmern die Rede. Der Kanzler habe bereits zugesagt.

Die nordrhein-westfälische SPD fordert vehement einen Einstieg des Staates bei Deutschlands größtem Stahlkonzern. „Den langfristigen Erhalt der nordrhein-westfälischen Stahlproduktion kann es nur geben, wenn Land und Bund jetzt bei Thyssenkrupp Steel einsteigen, um insgesamt mindestens ein Drittel am Unternehmen zu halten und es auf seinem Weg zur klimaneutralen Produktion zu unterstützen. Darauf muss in den kommenden Monaten alle politische Kraft gerichtet werden“, erklärten die SPD-Landesvorsitzenden Sarah Philipp und Achim Post, NRW-Fraktionschef Jochen Ott sowie Wiebke Esdar und Dirk Wiese, die Vorsitzenden der NRW-SPD-Landesgruppe im Bundestag.

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