Duisburg/Essen. Thyssenkrupp will zwei Hochöfen schließen. Der Betriebsrat hat auch technische Bedenken und warnt vor einem Risiko beim Hochofen 1.

Ali Güzel nimmt ein großes Blatt Papier zur Hand und zeichnet die Umrisse eines Hochofens. Die Industrie-Kolosse auf dem weitläufigen Duisburger Werksgelände hat der Betriebsratschef des größten Thyssenkrupp-Stahlstandorts Hamborn-Beeckerwerth angesichts der geplanten Einschnitte besonders im Blick. „Die Roheisen-Erzeugung im Hochofen, wir sprechen von der Flüssigphase, ist seit Jahrzehnten die Basis unseres Geschäfts“, sagt Güzel mit ernster Stimme am Besprechungstisch seines Betriebsratsbüros nahe der Duisburger Stahl-Hauptverwaltung. „Wenn der Vorstand einen Großteil der Flüssigphase stilllegen will, geht es also um die Substanz.“

Zwei von vier Hochöfen will der Stahl-Vorstand bis zum Jahr 2030 stilllegen. Der Hochofen 8 steht vor dem Aus, der benachbarte „9er“ ebenso. „Ich sehe die Gefahr, dass der Vorstand weite Teile der Flüssigphase abwickeln will, ohne geeigneten Ersatz zu schaffen“, kritisiert Güzel. „Die Konsequenz wäre: Unsere Produktionskapazitäten in Duisburg würden weiter sinken – unter den angestrebten und bereits reduzierten Betriebspunkt von 8,7 bis neun Millionen Tonnen.“

Ali Güzel, der Betriebsratschef des größten Thyssenkrupp-Stahlstandort Hamborn-Beeckerwerth: „Ich sehe die Gefahr, dass der Vorstand weite Teile der Flüssigphase abwickeln will, ohne geeigneten Ersatz zu schaffen.“
Ali Güzel, der Betriebsratschef des größten Thyssenkrupp-Stahlstandort Hamborn-Beeckerwerth: „Ich sehe die Gefahr, dass der Vorstand weite Teile der Flüssigphase abwickeln will, ohne geeigneten Ersatz zu schaffen.“ © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Ein Aus für die Hochöfen 8 und 9 in Hamborn käme nach Einschätzung von Güzel „einer Teilschließung des Stahlstandorts Duisburg“ gleich. „Das ist ein Angriff auf unsere Hütte“, sagt er. „Ich kann den Vorstand nur davor warnen, den größten Stahlstandort Europas kurz und klein schlagen zu wollen.“ Es sei auch „technisch nicht sinnvoll“, die Hochöfen 8 und 9 in Duisburg-Hamborn abzuschalten, gibt Güzel zu bedenken. „Hier handelt es sich um die modernsten Anlagen, die wir haben“, betont er.

Bleiben sollen nach den Plänen des Stahl-Vorstands die zwei Thyssenkrupp-Hochöfen am Standort Duisburg-Schwelgern. Schwelgern, so heißt es, sei mit dem Hafen und der dortigen Kokerei für die Stahlproduktion „ein sehr wettbewerbsfähiger Standort“. Betriebsratschef Güzel zweifelt gleichwohl an der Strategie des Thyssenkrupp-Managements.

„Der Hochofen 1 in Schwelgern müsste in den nächsten zwei Jahren dringend modernisiert werden. Wir nennen das Neuzustellung. Damit wäre eine gewaltige Investition verbunden, vermutlich in dreistelliger Millionenhöhe“, sagt der erfahrene Arbeitnehmervertreter. „Ohne eine Neuzustellung ist es denkbar, dass der Hochofen 1 in nicht allzu langer Zeit schon aus technischen Gründen stillgelegt werden müsste. Damit würde sich notgedrungen eine Kapazitätssenkung ergeben. Das kann nicht in unserem Sinne sein. Es kann nicht sein, dass wir sehenden Auges ein Risiko mit dem Hochofen 1 eingehen.“

Der Hochofen 1 in Duisburg-Schwelgern soll zunächst weiterlaufen. „Es kann nicht sein, dass wir sehenden Auges ein Risiko mit dem Hochofen 1 eingehen“, warnt der Stahl-Betriebsratschef Ali Güzel.
Der Hochofen 1 in Duisburg-Schwelgern soll zunächst weiterlaufen. „Es kann nicht sein, dass wir sehenden Auges ein Risiko mit dem Hochofen 1 eingehen“, warnt der Stahl-Betriebsratschef Ali Güzel. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Güzel sagt, er bringe auch die Bedenken von Experten innerhalb des Unternehmens zum Ausdruck. „Unsere eigenen Führungskräfte, die besten Techniker, waren sehr überrascht vom veränderten Transformationsplan des Vorstands“, sagt er – und gibt zu bedenken: „Wenn der Vorstand die Flüssigphase kleinschrumpft, muss er künftig in großem Umfang Brammen zukaufen. Diese Wertschöpfung findet dann nicht mehr in Deutschland statt.“

Vor fünf Jahren hatte das damalige Thyssenkrupp-Management noch verkündet, sämtliche Hochöfen in Duisburg durch Direktreduktionsanlagen (DRI-Anlagen) ersetzen zu wollen, um in den kommenden Jahrzehnten eine klimaneutrale Produktion zu ermöglichen. „Der ursprüngliche Plan für die grüne Transformation sah vier Direktreduktionsanlagen vor“, sagt Güzel. „Jetzt hat uns der Vorstand einen Plan präsentiert, in dem nur noch von einer Direktreduktionsanlage die Rede ist. Das ist viel zu wenig für Europas größten Stahlstandort. Was der Vorstand plant, ist in Wahrheit der Ausstieg aus der grünen Transformation.“

Der Stahl-Vorstand von Thyssenkrupp dürfe „die weiteren Transformationsschritte nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben“, mahnt Güzel. „Wir brauchen eine zweite Direktreduktionsanlage. Daran hat sich nichts geändert. Zur Erinnerung: Ursprünglich sollte die zweite Direktreduktionsanlage im Jahr 2030 starten. Es ist nicht akzeptabel, dass der Vorstand diesen Plan still und leise begraben will.“

Anstelle einer zweiten DRI-Anlage erwägt der Stahl-Vorstand von Thyssenkrupp nun den Bau eines Elektroofens in Duisburg. „Ein Elektrolichtbogenofen, wie ihn der Vorstand plant, ist nicht in der Lage, Stahl-Güten herzustellen, wie sie die Automobilindustrie von uns verlangt“, kommentiert dies Güzel. Er fordert zudem, die Investitionen für eine künftige Grünstahl-Produktion auch in Verträgen zu fixieren. „Auf vage Aussagen des Vorstands können wir uns nicht verlassen“, sagt Güzel. „Wir brauchen Klarheit zu den nächsten Schritten der Transformation – und zwar in einem Tarifvertrag.“

Die Pläne für den Abbau oder die Ausgliederung von 11.000 Arbeitsplätzen wirke sich massiv in den Betrieben aus, erklärt Güzel. „Der Vorstand spricht über Anlagen, die er stilllegen will. Es geht aber auch um viele Menschen, die dort arbeiten. Allein an den Hochöfen arbeiten rund 1200 Beschäftigte, davon rund 500 an den Hochöfen in Hamborn. Wenn es weniger Hochöfen gibt, wird auch weniger Material von der Kokerei benötigt. Hier sind derzeit fast 400 Beschäftigte.“ Er rechne außerdem mit Folgen des „Schrumpfkurses“ im Duisburger Kraftwerk und bei der Erzvorbereitung. „Auch hier geht es um Hunderte Menschen.“

Die Hochöfen von Thyssenkrupp prägen das Bild von Duisburg. Zwei von vier Hochöfen will der Konzern bis 2030 stilllegen.
Die Hochöfen von Thyssenkrupp prägen das Bild von Duisburg. Zwei von vier Hochöfen will der Konzern bis 2030 stilllegen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Neben 5000 direkten Stellenstreichungen will der Stahl-Vorstand von Thyssenkrupp etwa 6000 Arbeitsplätze ausgliedern. „Wie er sich das Outsourcing vorstellt, ist aber noch offen“, sagt Güzel. „Es soll eine lange Liste geben, auf der unter anderem Logistikbereiche, die Materialwirtschaft, der Werkschutz, der werksärztliche Dienst oder unsere Lok-Werkstatt stehen.“

Güzel rechnet auch mit Verschiebungen von Jobs innerhalb des nordrhein-westfälischen Standort-Netzwerks von Thyssenkrupp. „Bislang waren wir es in Duisburg, die Beschäftigte von anderen Standorten bei Schließungen aufgenommen haben – etwa aus Rheinhausen, Hattingen oder Dortmund. Die Menschen haben bei uns in Duisburg einen sicheren Hafen gefunden“, gibt er zu bedenken. „Meine Kolleginnen und Kollegen von den anderen Standorten haben die Sorge, ob das noch möglich ist, wenn jetzt bei uns in Duisburg die Axt angelegt wird.“

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