Duisburg. Thyssenkrupp-Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol greift Vorstandschef Miguel López an. Er verbreite im Konzern eine „Angst-Kultur“.
Auch der Kanzler hat sich schon bei Tekin Nasikkol gemeldet angesichts der Lage bei Thyssenkrupp. Wenige Tage vor seinem Wahlsieg im September 2021 war Scholz noch als Kanzlerkandidat am Stahlstandort Duisburg. Jetzt konnte er sich von Konzernbetriebsratschef Nasikkol schildern lassen, wie es aus Sicht der Arbeitnehmer um eine der deutschen Industrie-Ikonen steht. Vor dem Betriebsratsbüro in Sichtweite der Stahl-Konzernzentrale haben sich am Dienstagmittag Beschäftigte versammelt. Ein Zelt für eine Mahnwache steht schon seit Wochen am Tor 1. Die Angst um die Arbeitsplätze wächst. Von „Horrorbotschaften“ des Vorstands spricht Nasikkol – und startet einen Frontalangriff auf Thyssenkrupp-Konzernchef Miguel López.
Herr Nasikkol, der Stahl-Vorstand von Thyssenkrupp plant heftige Einschnitte bei Thyssenkrupp Steel. 11.000 Arbeitsplätze sollen abgebaut und ein Standort geschlossen werden. Können Sie die Pläne als Arbeitnehmervertreter noch stoppen?
Nasikkol: Was der Vorstand als „Zukunftskonzept“ bezeichnet, ist in Wahrheit ein Rückzugskonzept. Der Kahlschlagplan verfolgt einzig und allein ein Ziel: Der Konzern will den Stahlbereich zurechtzustutzen, damit Daniel Kretinsky seine Anteile an Thyssenkrupp Steel auf 50 Prozent erhöht. Um es klar zu sagen: Ich lehne diesen Plan ab.
Warum?
Nasikkol: In Summe sind die Pläne des Vorstands eine Riesenprovokation, ein Generalangriff auf den größten deutschen Stahlproduzenten. Der Vorstand vermeidet es, in aller Klarheit betriebsbedingte Kündigungen auszuschließen – trotz unserer entsprechenden Vereinbarung, die bis zum März 2026 gilt, und verlängert werden muss. Hinzu kommt: Der Standort Eichen im Siegerland soll aus Sicht des Vorstands verschwinden. Auch die Schließung des Bochumer Standorts an der Castroper Straße soll schneller kommen als bisher geplant, nämlich schon im Jahr 2027 und nicht erst 2030. Das ist mit uns nicht zu machen.
Bezweifeln Sie, dass Thyssenkrupp Steel ein Sanierungsfall ist.
Nasikkol: Thyssenkrupp Steel ist ein systemrelevantes Unternehmen. Ich kann nicht sehen, dass der Vorstand dies erkannt hat. Es gibt keine Ideen zur Weiterentwicklung unseres Unternehmens. Mit der Abrissbirne die Kosten senken zu wollen, ist keine Managementleistung. Stahlkompetenz beweist man damit sicher nicht.
Der Stahl-Vorstand will die Produktionskapazitäten spürbar drosseln – auf weniger als neun Millionen Tonnen pro Jahr. Bleibt der Konzern damit unter seinen Möglichkeiten?
Nasikkol: Wir verschließen die Augen nicht vor der Realität und spüren die Rezession, sehen die geopolitischen Entwicklungen und wissen auch um den außereuropäischen Importdruck. Wir haben zu keiner Zeit die Notwendigkeit einer Antwort auf die strukturellen Schwächen unserer Branche verneint. Die Arbeitnehmervertreter in diesem Konzern waren in allen Krisen, von denen es leider etliche gab, bei der Suche nach guten Lösungen immer konstruktiv beteiligt. Doch das, was jetzt auf dem Tisch liegt, geht zu weit.
Welche Verantwortung liegt aus Ihrer Sicht bei Thyssenkrupp-Konzernchef Miguel López?
Nasikkol: Herr López hat einen neuen Stahlvorstand installiert, der ihm nicht mehr widerspricht. Sein oberstes Ziel lautet, den Stahlbereich so billig wie möglich aus dem Konzern rauszunehmen. Uns wurde ein Plan vorgestellt, den wir entschieden ablehnen. Dieser Plan wurde von Herrn López von oben nach unten diktiert. Herr López ist nicht sachorientiert, sondern bedient ausschließlich die Interessen der Aktionäre. Die Sorgen von über 27.000 Beschäftigten hat er nicht im Blick. Er ist der Vollstrecker der Anteilseigner, denen es nur darum geht, den Stahl endlich loszuwerden, egal was das für den Industriestandort Deutschland und die Menschen bedeutet.
Nach offizieller Lesart des Konzerns ist es doch der Stahlvorstand, der den Business-Plan für Thyssenkrupp Steel entwickelt.
Nasikkol: Wir haben den Stahlvorstand gefragt, ob die Thyssenkrupp AG und Herr Kretinsky eine Meinung zu den Eckpunkten hätten. Die Antwort war eindeutig: absolute Zustimmung. Herr López rühmt sich damit, dass er 40 Prozent der Führungskräfte im Konzern ausgetauscht hat. Die Folgen sind fatal. Uns sind Kompetenz, Erfahrung und sehr viel Leidenschaft für Thyssenkrupp abhandengekommen. Wir als Betriebsräte werden aktiv von verbliebenen Führungskräften angesprochen, weil sich keiner mehr traut, seine Meinung kundzutun. Es gibt keine „Speak-Up-Kultur“ mehr. Das heißt: Wer nicht linientreu ist, muss gehen.
Nasikkol über López: „Er setzt mit brachialer Gewalt seinen Plan um“
Arbeitnehmervertreter haben vor einigen Monaten gesagt, jemand müsse López stoppen. Würden Sie diese Forderung erneuern?
Nasikkol: Herr López hat alle aus dem Weg geräumt, die von Stahl etwas verstehen, und er setzt mit brachialer Gewalt seinen Plan um. Er hat eine Kultur der Angst geschaffen. Wie soll in diesem Umfeld die Performance im Unternehmen gesteigert werden? Mit Ausnahme von Arbeitnehmervertretern traut sich niemand mehr, etwas zu sagen. Die Mitbestimmung wird López nicht kleinkriegen. Sie ist ein Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft und Herr López sollte endlich verstehen, dass er hier auf Granit beißt.
Thyssenkrupp-Chef López hat eindringlich vor einer Deindustrialisierung Deutschlands gewarnt. Stimmen Sie zu?
Nasikkol: Herr López redet nicht nur die deutsche Industrie schlecht und zweifelt die grüne Transformation in Deutschland an. Er befördert mit seinen Plänen die Deindustrialisierung und schadet mit der Verunsicherung von Zehntausenden Beschäftigten auch der Volkswirtschaft. Stahl ist nicht nur systemrelevant, sondern in dieser Zeit auch sicherheitsrelevant, wenn man an die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes denkt. Ich bin nicht sicher, ob das alle verstanden haben.
López hat Thyssenkrupp bei der Bilanzpressekonferenz als Vorreiter für die grüne Transformation dargestellt.
Nasikkol: Diese Show war schon paradox. Das öffentliche Infragestellen der Direktreduktionsanlage für eine Grünstahl-Produktion von Thyssenkrupp – das größte Transformationsprojekt in Deutschland – war und ist ein weiterer Beleg für die Verantwortungslosigkeit des Vorstands beim Umbau der deutschen Industrie. Auch wenn nicht alle Fragen im Detail geklärt sind, ist der Weg der grünen Transformation richtig. Zum Vorgehen von Herrn López sage ich: Gesellschaftliche Verantwortung geht anders.
Was wäre denn aus Ihrer Sicht die richtige Strategie?
Nasikkol: Herr López sollte sofort aufhören den Untergang des Standortes Deutschland und auch von Thyssenkrupp herbeizureden. Er sollte sich vielmehr dafür einsetzen, dass die Rahmenbedingungen verbessert werden. Hier gibt es noch viel Potenzial.
Nasikkol: „Für Herrn López werden wir auf nichts verzichten“
Zurück zum Stahl-Plan, den der Vorstand vorgelegt hat: Gibt es nun erbitterten Widerstand der Arbeitnehmervertreter?
Nasikkol: Die IG Metall hat sich klar und deutlich positioniert. Ich bekräftige: Mit mir wird es keine betriebsbedingten Kündigungen geben. Mit mir wird es keine Standortschließungen geben. Und für Herrn López werden wir auf nichts verzichten. Eine Gehaltskürzung von zehn Prozent bei Thyssenkrupp Steel ist für mich ausgeschlossen.
Wie bewerten Sie die Tatsache, dass der Konflikt bei Thyssenkrupp in die Adventszeit fällt?
Nasikkol: Ich hätte mir gewünscht, dass der Vorstand den Beschäftigten so kurz vor Weihnachten nicht solche Horrorbotschaften auf den Gabentisch legt. Aber dieses Fingerspitzengefühl scheint dem Management abhandengekommen zu sein. Die Weihnachtsstimmung für 27.000 Kolleginnen und Kollegen mit ihren Familien ist vermiest. Wir haben Verantwortung für die Menschen, für das Unternehmen und für den Industriestandort Deutschland. Dieser Verantwortung werden wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nachkommen.
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