Wütende Stahlarbeiter: „Gehälter kürzen, aber Dividende zahlen“
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Duisburg. Als Protest gegen Einschnitte bei Thyssenkrupp haben Azubis ein Werkstor blockiert. Was sie bewegt – und wie Lopez die Arbeiter zusätzlich verärgert.
„Seit gestern befinden wir uns endgültig im Arbeitskampf“, sagt Dirk Riedel. Der Vertrauenskörperleiter bei Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) in Hamborn/Beeckerwerth steht vor Tor 1, am Zelt der Mahnwache, die sie 128 Tage zuvor aufgebaut haben. Am Tag nach der Ankündigung des Stahlvorstands, bis 2030 rund 5000 Stellen abzubauen und 6000 Arbeitsplätze auszugliedern, kündigt Riedel an: „Wir reagieren jetzt nicht mehr, wir agieren – und es werden Aktionen folgen.“ Wie das aussehen kann, zeigt um 10 Uhr im Schatten der Unternehmenszentrale der Nachwuchs. Etwa 150 Auszubildende ziehen vor das Werkstor 3, um die Ein- und Ausfahrt zu blockieren. Sie skandieren: „Stahl ist Zukunft!“
„Wir haben alle Angst“, berichtet Nuri Balkan. Der 26-Jährige ist der stellvertretende Vorsitzende der TKSE-Jugendvertretung. „Mein Vater und mein Großvater haben hier gearbeitet, aber ich mache mir Sorgen, dass ich hier nicht mehr arbeiten werde. Ich weiß ja nicht mal, ob mein Betrieb in drei Jahren noch steht.“ Der angehende Verfahrenstechnologe ist im dritten Lehrjahr im Oxygenstahlwerk eingesetzt. Zuletzt galt die Zusage, dass Azubis, die bis 2026 fertig werden, übernommen werden. „Ich fühle mich aber nicht mehr sicher. Und was ist mit den Jüngeren?“, stellt der Hamborner Fragen, die ihm aktuell niemand beantwortet.
Die 39 Mitglieder des Betriebsrates informieren an diesem Tag danach an allen Werkstoren, um die Botschaften des Vorstands und aus den Medien für ihre Kollegen einzuordnen. Am lautesten ist am Morgen der Protest der Auszubildenden an Tor 3. „Ich hätte nicht gedacht, dass es noch so ruhig ist“, meint Nuri Balkan. „Wo sind all die Leute aus den Werken? Wir sind die Jugend, und wir sind bereit für den Arbeitskampf.“
Das bekommen einige Kollegen zu spüren, die das Gelände durch Tor 3 verlassen wollen. Für knapp zwei Stunden kommt keiner mehr raus noch rein. Für die Polizei, die aus mehreren Einsatzfahrzeugen heraus die Lage rund ums Werksgelände im Blick behält, erklärt ein Beamter der rebellierenden Jugend, ihre Form des Protests sei nicht rechtens. Seine Appelle laufen ins Leere. Zu größeren Verkehrsbehinderungen wie im Sommer aber kommt es noch nicht.
Auch Burak Kacir ist gekommen, um ein Zeichen zu setzen. Der 26-Jährige hat seine Ausbildung zum Industriemechaniker bei TKSE erst im September begonnen. Über den Sommer habe er nach den schlechten Nachrichten schon überlegt, woanders ins Berufsleben zu starten. „Aber ich habe dem Konzern, seinem großen Namen und seinem Standing vertraut.“ Bereut er es? „Nein, es erfüllt mich mit Stolz, für TKS zu arbeiten“, sagt der junge Essener.
Gleichwohl überlege er mit Blick auf die „besorgniserregende Lage hier bei uns und überhaupt in der Industrie“, sich beruflich nach Dänemark oder Schweden zu orientieren. „Dort werden Industriemechaniker in verschiedenen Branchen gesucht.“
An Tor 3 stehen auch Schlosser Frank Ohm und seine Kollegen aus den mobilen Reparaturbetrieben. Ohm, 58, hat am Standort 1983 seine Ausbildung begonnen. „Ich habe schon schwierige Zeiten erlebt, aber so heiß wie jetzt war es noch nie.“ Er hofft, dass auch das „Missmanagement der Spitzenmanager endlich mal Konsequenzen“ haben wird. „Wenn wir Scheiße bauen, bekommen wir einen Tritt in den Arsch, die kriegen noch ’ne Abfindung.“
„„Wenn wir Scheiße bauen, bekommen wir einen Tritt in den Arsch, die kriegen noch ’ne Abfindung.“
Lopez-Statement und Ausschüttungen verärgern Stahlarbeiter
Über die Haltung der Konzernchefs „im Essener Krawattenbunker“ schimpft indes Dirk Riedel am Mikrofon vor etwa 200 Beschäftigten, die um 11 Uhr zur Mahnwache an Tor 1 gekommen sind. Dass Konzernchef Miguel López in einem Interview gesagt hat, dass die Leistung der Beschäftigten „nicht den Ansprüchen und auch nicht den Anforderungen entsprochen“ habe, sorge für großen Ärger unter den Stahlarbeitern: „Wir holen hier mit immer weniger Personal seit Jahren das Beste raus“, sagt Riedel. „Ohne Mehrarbeit und Überstunden wäre der Betrieb nicht aufrechtzuerhalten.“
Protest bei ThyssenKrupp Steel in Duisburg
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Ihrem Frust machen auch einige Schlosser aus der mechanischen Werkstatt in Ruhrort vor Tor 1 Luft. Einer von ihnen, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte, kritisiert den Konzernvorstand dafür, dass „die den Aktionären in diesen Zeiten noch eine Dividende von 93 Millionen Euro auszahlen – und uns die Jahresendzahlung streichen. Das Geld wäre besser in den Stahl geflossen.“
„Der Kanzler hat mich angerufen“ – wütender Nasikkol spricht am Werkstor
Zu ihnen und zur Mahnwache ist auch Tekin Nasikkol gekommen, der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats. Er verspricht in einer wütenden Rede: „Bevor die nicht betriebsbedingte Kündigungen ausschließen – am besten bis 20230 – und nicht die Werksschließungen und die Lohnkürzungen zurücknehmen, werden wir uns nicht mit denen an den Verhandlungstisch setzen. Ist das in Ordnung?“, fragt er und erntet Applaus. Das „industrielle Zukunftskonzept“ des Vorstands sei in Wahrheit ein „Zerschlagungskonzept, eine Katastrophe“.
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Vor 20 Minuten habe Bundeskanzler Olaf Scholz ihn angerufen, sagt Nasikkol. Der Kanzler habe wissen wollen, wie die Lage vor Ort ist. Er habe Scholz berichtet, „wie enttäuscht die Menschen hier davon sind, was man ihnen kurz vor Weihnachten antut“. Die zwei Milliarden Steuergelder von Bund und Land für die DRI-Anlage seien ein Zukunftsversprechen, die Antwort des Konzerns darauf „eine Unverschämtheit“, so Nasikkol.
Ali Güzel, Vorsitzender des Betriebsrats in Hamborn/Beeckerwerth, stimmt die Belegschaft auf Streiks und die Betriebsversammlung am 12. Dezember ein: „Ich erwarte, dass jeder da ist, wenn wir den Hammer fallen lassen.“ Der Asphalt müsse brennen, beschwört Dirk Riedel Kampfbereitschaft und Geschlossenheit.
In der Verwaltung gibt es auch etwas Erleichterung
Aber Mitarbeiter der TKSE-Hauptverwaltung sieht man unter den Protestierenden nicht. Als am Mittag einige ihre Büros verlassen, wollen sie nicht mit Journalisten reden. Nur einer nimmt sich Zeit, möchte aber anonym bleiben. Er sei „froh, dass es endlich raus ist“, und es sei ja „richtig, dass bei uns gespart werden muss“. Er sieht unter den Eckpunkten des Konzeptes „für diese schlimmen Zeiten fast schon gute Nachrichten“. Die Produktionskapazität solle schließlich weniger drastisch als befürchtet gesenkt werden (von 11,5 auf 8,7 bis 9,0 Millionen Tonnen). Er hoffe, vom TKSE-Vorstand gleich mehr zu erfahren: Denn dieser habe für Dienstagnachmittag ein Online-Informationsmeeting für interessierte Mitarbeiter angekündigt.
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