Essen/Oberhausen. Sichere Ernte, frisches Obst, keine Pestizide: Vertikale Farmen bieten viele Vorteile. Doch an einer Hürde ist die Technologie bisher gescheitert.
Erdbeeren sind verfault, die Apfel-Ernte hat sich im Vergleich zum Vorjahr halbiert, beim Winterweizen war der Ertrag so schlecht wie zuletzt vor 30 Jahren: Starkregen und Überschwemmungen haben Landwirten in NRW die Arbeit dieses Jahr besonders schwer gemacht.
Um Ernten sicherzustellen, setzen viele Bauern und Industrie auf Gewächshäuser. Hier sind die Pflanzen nicht nur vor Extremwetter, sondern auch vor Schädlingen geschützt. Aber auch Gewächshäuser bringen Nachteile mit sich: Einsatz von Pestiziden, hoher Wasserverbrauch, hoher Platzbedarf. Eine Alternative, die frei von diesen Schattenseiten ist, ist Vertical Farming – ein innovatives Konzept, bei dem Obst, Gemüse und diverse andere Pflanzenarten in mehreren Etagen übereinander angebaut werden. Auch Forscher und Start-ups in NRW tüfteln an der Zukunft.
Auch interessant
Vertical Farming: Kurzer Hype oder die Zukunft?
In den letzten fünf bis zehn Jahren hat das Konzept sowohl für Unternehmen als auch in der Forschung enorm an Bedeutung gewonnen. Vertikale Farmen funktioniert ähnlich wie Gewächshäuser – nur effizienter, platzsparender und vor allem frei von Pestiziden. Das funktioniert, weil der Anbau in einer stark kontrollierten und auf die Bedürfnisse der Pflanzen angepassten Umgebung stattfindet. Um solche optimalen Bedingungen in einer Indoor-Farm zu schaffen, braucht es vor allem eins: jede Menge Daten.
Wie viel Entwicklung und Arbeit dahintersteckt, zeigt zum Beispiel das Wittener Start-up „vGreens“. Auf dem Gelände der Zeche Zollverein baut das Unternehmen ganzjährig Erdbeeren an. Warum das so gut funktioniert, erklärt Mitgründer Claas Ahrens damit, dass er und seine Mitstreiter sich ausschließlich auf Erdbeeren fokussiert haben.
Über Jahre hinweg haben sie die Bedürfnisse der Pflanze genau untersucht und eine KI mit den Ergebnissen gefüttert. Die weiß somit genau, wann die Erdbeeren zum Beispiel mehr Licht oder Wasser brauchen. Die KI kontrolliert und passt die Bedingungen in der Indoor-Farm entsprechend an. Als Nächstes will vGreens sein Portfolio erweitern und sich an Heidelbeeren und Melonen wagen.
Nicht alle Pflanzen sind für Vertical Farming geeignet
Auch Forschende des Fraunhofer Umsicht in Oberhausen sehen in der Automatisierung den Schlüssel. Sie arbeiten an verschiedenen Ansätzen, wie vertikale Farmen so effizient wie möglich gestaltet werden können. Denn auch, wenn die Technologie vielversprechend klingen mag: Sie benötigt viel Energie und ist entsprechend teuer.
Die Energiekosten machen zwischen 21 und 53 Prozent der Gesamtkosten einer Indoor-Farm aus, erklärt Dr. Dennis Schlehuber (Fraunhofer Umsicht). Viele Unternehmen, die in den letzten Jahren auf den Hype aufgesprungen sind, seien deswegen insolvent gegangen. Wirtschaftlich sind vertikale Farmen nämlich noch lange nicht. Mit der richtigen Sensorik können aber allein die Belichtungskosten bis zu 20 Prozent gesenkt werden.
Was aber auch zur Wahrheit gehört: nicht jede Pflanze eignet sich für den vertikalen Anbau. Das gelte zum Beispiel für Winterweizen, Deutschlands wichtigste Getreidekultur. Indoor-Farmen können den Bedarf bei Weitem nicht decken – abgesehen davon, dass das Getreide deutlich teurer würde. Zum aktuellen Zeitpunkt eignen sich vor allem Salate oder Kräuter für den vertikalen Anbau.
>>> Fair Ändern: Mehr Texte rund um Nachhaltigkeit lesen Sie auf unserer Themenseite „Fair Ändern - so geht Nachhaltigkeit im Alltag“
Vertical Farming lohnt sich für medizinische Pflanzen
Wo es laut Forschern außerdem besonders großes Potenzial gibt: in der Pharmaindustrie. Professor Dirk Prüfer (Universität Münster) erklärt, warum: „Knapp 25 Prozent aller Arzneimittel stammen aus Pflanzen.“ Der kontrollierte Anbau ermögliche eine genaue Steuerung der Wirkstoffkonzentration und eine hohe, gleichbleibende Qualität. Das sorgt wiederum für eine konstant verlässliche Wirkung der Arzneimittel.
Gleichzeitig fallen mögliche Belastungen durch Schwermetalle und andere Verunreinigungen weg, die in Böden stecken können. Weil Ernteausfälle außerdem extrem unwahrscheinlich sind und hohe Energiekosten in der Pharmaindustrie nicht ganz so stark ins Gewicht fallen, ist Vertical Farming für die Branche also besonders attraktiv.
Vertical Farming ist für den Klimaschutz essenziell
Abgesehen von sicheren und qualitativen Erträgen ist Vertical Farming aber noch aus einem ganz anderen Grund zukunftsrelevant: „Beinahe 80 Prozent der globalen Abholzung sind auf die Umwandlung von Wald- in Nutzflächen zurückzuführen“, erklärt Dr. Sandra Schwindenhammer (Justus-Liebig-Universität Gießen). Das schadet dem Klima enorm.
Auch interessant
Gleichzeitig ziehen immer mehr Menschen vom Land in Großstädte. Das bedeutet: mehr längere Transportwege für Obst und Gemüse. Vertikale Farmen können in Stadtnähe gebaut werden und ermöglichen so kürzere Transportwege für die angebauten Nahrungsmittel – und sorgen damit für einen geringen CO₂-Ausstoß.
Kürzere, inländische Transportwege spielen auch vor dem Hintergrund globaler Lieferketten eine Rolle. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat gezeigt, wie abhängig die EU von Importen ist – und was es für Lebensmittelpreise und Ernährungssicherheit bedeutet, wenn nur ein Teil dieser Lieferketten wegfällt. Mit Indoor-Farmen könnte Deutschland solchen Ausfällen vorbeugen und die Lebensmittelversorgung in Krisenzeiten sichern.
Politische Hürden erschweren Innovation
Trotz dieser positiven Aspekte werden Indoor-Farmen nicht von allen als nachhaltige Zukunftstechnologie wahrgenommen. Schwindenhammer erklärt, dass zwar die meisten Verbraucher befürworten, dass die Technologie mehr frische Produkte hervorbringt und klimafreundlicher ist als herkömmliche Landwirtschaft. „Gleichzeitig nehmen sie Indoor Farming aber auch als ‚künstlich‘ wahr und bevorzugen Produkte aus traditionellem Anbau.“
Nach den aktuell geltenden EU-Regeln ist es außerdem nicht möglich, Obst und Gemüse aus Indoor-Farmen als „Bio“ zu zertifizieren. Das liegt an der Art des Anbaus: in vertikalen Farmen wird keine Erde genutzt, sondern mit Nährstoffen angereichertes Wasser. Und es gibt noch weitere Hürden auf politischer Ebene: Statt auch platzsparenden Anbau in Städten zu fördern, werde nur die herkömmliche Landwirtschaft subventioniert, so Schwindenhammer.
Auch interessant
Dabei seien die Ziele von Politik und Indoor Farming eigentlich die gleichen: Lebensräume schützen, Ökosysteme stärken und durch Innovationen effiziente Agrarwirtschaft stärken. Trotzdem behandelt der Gesetzgeber Indoor-Farming aktuell nicht als Lösungsansatz. Somit lautet das Fazit der Forschenden des Fraunhofer Umsicht vorerst: Vertikale Farmen bieten „hohes Innovationspotenzial“ und tragen zu mehr Nachhaltigkeit bei. Ein wirtschaftlicher Einsatz der Technologie ist aber noch in weiter Ferne.