Essen. Verwandelt der Regenwald sich bald in eine Savanne? Möglich, glaubt Klimaforscher Johan Rockström. Neun Faktoren spielen dabei eine Rolle.
Wo vor wenigen Jahren noch dichtes Grün die Landschaft dominierte, die Tausenden Tier - und Pflanzenarten als Lebensraum diente, lassen sich jetzt nur noch vereinzelt trockene Sträucher finden: Es ist das Jahr 2050, und der Amazonas-Regenwald hat sich in eine Savanne verwandelt. Von exotischen Pflanzen und bunten Vögeln keine Spur mehr. Wie konnte es dazu kommen?
Die Antwort liefert das Modell der Planetaren Grenzen. Zum ersten Mal wurde es vor 15 Jahren von einem Forscherteam rund um den renommierten Wissenschaftler und Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) Dr. Johan Rockström veröffentlicht. Das Modell zeigt uns, wie es um neun zentrale und lebenswichtige Erdsysteme und -prozesse steht – damit wir das Schlimmste verhindern können.
Klimawandel: Planetare Grenzen sollen das Schlimmste verhindern
Für jedes dieser Systeme haben Forscher auf Basis von Daten und Variablen Grenzen festgelegt. So ist beispielsweise die CO2-Konzentration in der Atmosphäre eine der Kontrollvariablen, die für den Klimawandel verwendet werden, während die Änderung der Landnutzung über den verbleibenden Anteil des Waldes gemessen wird. Demnach sollten nicht mehr als 15 Prozent der eisfreien Fläche für die Landwirtschaft genutzt werden.
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Überschreiten wir eine Planetare Grenze - zum Beispiel beim „Klimawandel“, weil der CO2-Gehalt zu hoch angestiegen ist - verlassen wir den sogenannten „sicheren Handlungsraum“. Dieser stellt den Zustand des Planeten dar, in dem die Menschheit gute Chancen bietet, sich weiter zu entwickeln und weiter zu bestehen. Je weiter wir uns dann von einer Planetaren Grenze entfernen, desto höher das Risiko, dass die Erde – oder Teile davon – auf eine Katastrophe zusteuert.
Die neun Planetaren Grenzen sind:
- Klimawandel
- Überladung mit neuartigen Stoffen
- Abbau der Ozonschicht
- Aerosolbelastung
- Ozeanversauerung
- Störung der biogeochemischen Kreisläufe
- Veränderung in Süßwassersystemen
- Veränderung der Landnutzung
- Veränderung in der Integrität der Biosphäre.
Viele Grenzen sind bereits überschritten
Im September 2024 folgte basierend auf dem Modell der erste Planetare Gesundheitscheck, durchgeführt von der Initiative „Planetary Boundaries Science” (PBScience). Und der zeigt: Um unseren Planeten steht es nicht besonders gut. Sechs von neun Planetaren Grenzen sind bereits überschritten – 2009 waren es noch drei –, die siebte könnte bald folgen.
Bei drei Systemen befinden wir uns bereits im Hochrisikobereich: Klimawandel, Veränderung der biogeochemischen Kreisläufe und Veränderung in der Integrität der Biosphäre. Die Klimakrise beschleunigt den Prozess.
„Wir schwächen den Planeten in exakt dem falschen Moment“, erklärt Rockström. Bisher konnten die Ozeane und Wälder CO2 gut kompensieren. Aber bereits jetzt wissen wir, dass der Wald als CO2-Speicher ausfällt. Einige Studien deuten sogar darauf hin, dass der Amazonas-Regenwald mittlerweile mehr CO2 produziert statt kompensiert. Wie lange der Planet das noch mitmacht, ist nicht klar.
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Was aber klar ist: die Stabilität unseres Ökosystems ist gefährdet– des Systems, dass es der Menschheit überhaupt erst ermöglicht hat, sich zu entwickeln. Selbst, wenn wir alle Ziele des Pariser Abkommens erreichen, sei das nicht genug - wir müssen uns auch und vor allem um die Biodiversität kümmern, so Rockström. Sonst könne es sein, dass wir sogenannte Kipppunkte erreichen.
Das sind plötzliche und unumkehrbare Umweltveränderungen. Sie treten ein, wenn der Planet die Auswirkungen der Grenzüberschreitungen nicht mehr ausgleichen kann. Wann genau sie eintreten, lässt sich aber nicht sagen. Dennoch könne Rockström nicht ausschließen, dass der ganze Planet kippt. Das hieße: Der Amazonas-Regenwald wird zur Savanne, Meeresströmungen brechen zusammen, der Permafrost in Nordeuropa verschwindet. Die Erde verliert ihre Stabilität und Widerstandsfähigkeit.
Die genauen Auswirkungen seien nicht abzuschätzen, aber der Klimaforscher vergleicht sie mit einem Hausbrand: „Es ist nicht wahrscheinlich, dass unser Haus abbrennt, aber die Folgen wären katastrophal“. Die drängende Zeit mache aus dem steigenden Risiko einen „planetaren Notstand“.
Wie können wir unseren Planeten schützen?
„Wir sehen mehr und mehr Beweise dafür, dass die Folgen überall spürbar sind“, so Rockström. Viel zu lange haben wir diese Folgen aber als etwas gesehen, was weit in der Zukunft liegt – ein fataler Fehler. Was das angehe, haben wir versagt, findet der Klimaforscher. Wir erinnern uns: bereits 2050 könnte der Regenwald kippen, also in nur 25 Jahren.
Die Planetaren Grenzen sollen Orientierung bieten und dazu beitragen, das Überschreiten von Kipppunkten zu verhindern. Doch der Gesundheitscheck zeigt klar: Bisher klappt das nicht so gut, und der Trend geht hin zu weiteren Überschreitungen. „Die Erde befindet sich bereits außerhalb des sicheren Handlungsraums für die Menschheit.“ Aber wie kommen wir dahin zurück?
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„Indem wir die Grenzen für einen gesunden Planeten quantifizieren, geben wir Politik, Wirtschaft und Unternehmen die notwendigen Instrumente an die Hand, um unkontrollierbare Risiken zu vermeiden“, sagt Rockström. Es brauche einen „Ansatz entlang aller Planetaren Grenzen“ – schließlich hängen die neun Systeme alle zusammen.
Das „Global Commons Stewardship Framework“ der Universität Tokio verfolgt einen solchen Ansatz. Mit internationaler Zusammenarbeit verschiedener Interessensgruppen sollen vier Ziele erreicht werden: Transformation von fossilen nur erneuerbaren Energien, Kreislaufwirtschaft in Produktion und Konsum, nachhaltige Städte und die veränderte Nutzung von Nahrungsmitteln, Land und Ozeanen.
Ozonschicht: Der richtige Ansatz führt zum Erfolg
Dass der richtige Ansatz zum Erfolg führen kann, sehen wir zum Beispiel bei der Ozonschicht: 1985 wurde ein riesiges Ozonloch über der der Antarktis entdeckt, aber dank des Montreal-Protokolls (1987) baut sie sich langsam wieder auf. In dem Abkommen ist der schrittweise Verzicht auf bestimmte Chemikalien – zum Beispiel FCKW – festgehalten.
Boris Sakschewski, Co-Leiter von PBScience und Hauptautor des Planetaren Gesundheitschecks, erklärt, wie so ein Ansatz aussehen könnte. Es brauche ein tieferes Verständnis dieser Zusammenhänge zwischen den neun Systemen – das soll im Fokus seiner Forschung stehen. Er plädiert außerdem: „In allen Bereichen der Wirtschaft und der Gesellschaft ist mit dem Planeten verantwortungsvoll umzugehen.“ Deswegen erforschen die Wissenschaftler, wie die Prozesse auch auf nationale und lokale Ebenen runtergebrochen werden können. So könnten die Planetaren Grenzen künftig auch in der Kommunalpolitik eine Rolle spielen.
- Essay zur Klimakrise: Warum die Wut der Jugend eine Chance ist
Für eine ganzheitliche Lösung sei außerdem das Wissen indigener Völker besonders wertvoll. „Völker aus aller Welt sind seit Jahrtausenden mit dem Planeten verbunden.“ Ihr Umgang mit Ressourcen und ihr Wissen über ein harmonisches Leben auf und mit dem Planeten sei von entscheidender Bedeutung für die Zukunft der Erde – und der Menschheit.
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