Oberhausen. Harte Jahre liegen hinter dem Werk Oberhausen der VW-Tochter MAN Energy Solutions. Jetzt versprüht Konzernchef Uwe Lauber Aufbruchstimmung.
Mit seinem Werk in Oberhausen betreibt der Anlagenbauer MAN Energy Solutions einen der größten industriellen Standorte im Ruhrgebiet. Das Unternehmen, das zum VW-Konzern gehört, beliefert große Chemie-, Öl- und Gaskonzerne und stellt Bauteile für Containerschiff-Motoren her. „Wir richten uns derzeit konsequent neu aus“, sagt Uwe Lauber, der Vorstandschef von MAN Energy Solutions, im Gespräch mit unserer Redaktion. Das Ziel sei, zunehmend Anlagen zu fertigen, die im Kampf gegen den Klimawandel nützlich sind. „Wir hatten in Oberhausen in den vergangenen Jahren eine schwierige Zeit, aber wir sehen Licht am Ende des Tunnels“, sagt Lauber zur Situation des traditionsreichen Werks, in dem rund 1700 Beschäftigte arbeiten. Wie es am Standort weitergehen soll und warum er Aufbruchstimmung verspürt, berichtet Lauber in unserem Interview.
Herr Lauber, die Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine treffen viele deutsche Unternehmen hart. Prägt die Energiekrise auch Ihr Geschäft?
Lauber: Uns allen ist bewusst geworden, dass wir nicht weitermachen können wie bisher. Wir haben uns bei der Energieversorgung in eine gefährliche Abhängigkeit begeben. Das muss sich ändern – und es wird sich ändern. Deutschlands Industrie hat sich ohnehin zum Ziel gesetzt, fossile Energieträger wie Kohle, Öl und Gas durch klimafreundliche Alternativen zu ersetzen. Die Krise, die wir nun erleben, könnte dabei ein Treiber sein. Denn es gibt ein großes Umdenken.
Zu ihren Kunden gehören große Chemie-, Öl- und Gaskonzerne. Sie liefern auch Bauteile für Containerschiff-Motoren, die mit Schweröl betrieben werden. Klimafreundlich ist das nicht – im Gegenteil.
Lauber: Wir richten uns derzeit konsequent neu aus. Schon jetzt lässt sich das an unseren Auftragseingängen ablesen, in Zukunft aber noch mehr. Ein Fünftel unserer Aufträge steht bereits im Zusammenhang mit Anlagen zur Dekarbonisierung. Bis zum Jahr 2030 streben wir an, dass mehr als die Hälfte unserer Produkte zur CO2-Reduzierung beiträgt.
Ihr Unternehmen ist insbesondere durch Diesel-Motoren groß geworden. Ist das für Sie Vergangenheit?
Lauber: Wir wissen, wo wir herkommen, aber wir wissen auch, wo wir hinwollen. Diesel-Motoren gehören weiterhin zu unserer Produktpalette, denn die können mit klimaneutralen Kraftstoffen vollkommen grün betrieben werden und werden dringend gebraucht – in der Schifffahrt zum Beispiel. Wir arbeiten an der Klimawende. Weltweit schwören wir unsere Belegschaften auf das Ziel CO2-Neutralität ein. Es gibt viel Aufbruchstimmung, denn wir wissen, was wir können. Als Unternehmen können wir mit unseren Anlagen einen enormen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten. Rechnerisch sind wir in der Lage, mit unseren Technologien zehn Prozent der weltweiten CO2-Emissionen zu vermeiden.
Zehn Prozent aller CO2-Emissionen vermeiden – das klingt recht hoch gegriffen. Wie kommen Sie auf diese Zahl?
Lauber: Wir sind in Branchen aktiv, die aktuell einen hohen CO2-Ausstoß haben. Damit ist der Hebel für Einsparungen extrem groß. Unsere Technologien sind schon jetzt verfügbar: Elektrolyseure für die Wasserstoffproduktion, neuartige Schiffsmotoren, große Wärmepumpen sowie Anlagen für die Speicherung und Abscheidung von CO2 – kurz „CCS“.
Die CCS-Technologie – kurz für „Carbon Capture and Storage“ – ist allerdings in Deutschland heftig umstritten.
Lauber: Es stimmt: CCS ist in Deutschland verpönt, spielt aber in vielen anderen Ländern zu Recht eine wichtige Rolle. Die US-Regierung von Joe Biden etwa sieht CCS als Schlüsseltechnologie für den Klimaschutz. Auch in den Niederlanden und Großbritannien gibt es spannende CCS-Projekte. Der Markt brummt, weil die
Chancen riesig sind, den CO2-Ausstoß in energieintensiven Branchen wie der Zement-, Kalk- oder Stahlindustrie zu vermeiden. Gerade unser Werk in Oberhausen könnte profitieren. Wir bauen am Standort Oberhausen Turbo-Maschinen, die bei CCS-Projekten zum Einsatz kommen. Bisher exportieren wir diese Anlagen, aber wir bräuchten sie auch in Deutschland.
Was schwebt Ihnen vor?
Lauber: Klar ist: Deutschland braucht CCS, denn nicht alle Emissionen lassen sich technisch vermeiden, man spricht von „unvermeidbaren Restemissionen“. Die muss man Abscheiden und das CO2 speichern oder für chemische Prozesse wiederverwerten. CO2 kann verflüssigt und beispielsweise mit Tankern dorthin in der Welt gebracht werden, wo es gebraucht wird, etwa um synthetische Gase zu produzieren. Wir haben die Technologie dafür.
Wäre es nicht wichtiger, CO2 zu vermeiden – anstatt es aufzufangen?
Lauber: Wir werden beides tun müssen. Nehmen Sie allein die Potenziale, die sich durch CO2-Einsparungen in der globalen Schifffahrt ergeben. Rund 20.000 mit Schweröl betriebene Motoren sind momentan auf den Weltmeeren im Einsatz. Hier ist eine Elektrifizierung meist nicht möglich, denn Batterien wären zu schwer, und auch das Schnellladen eines Containerschiffes, das seine Reise am nächsten Tag fortsetzen muss, wäre technisch nicht machbar. Aber wir können schon jetzt Motoren liefern, die mit Methanol statt Schweröl betrieben werden. Bei dieser Technologie, die enorm CO2 einspart, kommen Sie an MAN Energy Solutions praktisch nicht vorbei.
Die heimische Industrie setzt insbesondere auf Wasserstoff. An Deutschlands größtem Stahlstandort Duisburg zum Beispiel will Thyssenkrupp die bestehenden Hochöfen durch Anlagen ersetzen, die mit Wasserstoff betrieben werden. Viele Projekte zum Bau von Elektrolyseuren für die Wasserstoffproduktion gibt es aber im Ausland. Wie passt das zusammen?
Lauber: Ich kann nur für unser Unternehmen sprechen. Wir rechnen fest damit, dass Elektrolyseure für uns spätestens 2030 ein Geschäft sein werden, das jährlich ein Auftragsvolumen über eine Milliarde Euro bringt. Wasserstoff hilft insbesondere dann, wenn Elektrifizierung nicht möglich oder sinnvoll ist. Eine Voraussetzung ist jede Menge erneuerbare Energie. Daher haben Länder mit viel Sonne oder Wind Vorteile – Australien, Chile oder der Mittlere Osten zum Beispiel. Für uns können Elektrolyseure ein Exportschlager sein.
Und was ist mit Deutschland?
Lauber: Auch hierzulande brauchen wir Elektrolyseure. Gerade mit einer guten Anbindung an Windpark-Standorte – etwa an der Nordsee – können sie auf einer guten Kostenbasis betrieben werden. Beim Ausbau der Windkraft geschieht aber leider viel zu wenig. Manchmal kommt es mir vor, als werde hier ein Buch namens „Das Tagebuch einer Schnecke“ geschrieben. Wir müssen beim Aufbau der Erneuerbaren in Deutschland dringend schneller werden.
Sie sprechen von Aufbruchstimmung bei Ihnen im Unternehmen. Gilt das auch für den Standort Oberhausen, an dem Sie rund 1700 Mitarbeitende beschäftigen?
Lauber: Absolut. Wir hatten in Oberhausen in den vergangenen Jahren eine schwierige Zeit, aber wir sehen Licht am Ende des Tunnels. Es geht voran.
Ist der Stellenabbau abgeschlossen?
Lauber: Das Programm läuft noch. Insgesamt geht es um rund 380 Arbeitsplätze, die wir sozialverträglich abbauen. Bis Ende 2023 wollen wir damit durch sein, dann hat der Standort seine Hausaufgaben gemacht und ist gut aufgestellt für die Umsetzung unserer Strategie – und auch für künftiges Wachstum, auf das wir
uns vorbereiten. Für einzelne, ausgewählte Positionen stellen wir schon jetzt hochqualifizierte Fachkräfte in den Wachstumsbereichen ein. Die letzten Jahre waren hart und fordernd, auch und gerade hier in Oberhausen. Aber das musste sein, die Profitabilität, die wir so gewonnen haben, ermöglicht uns das Wachstum der Zukunft, von dem der Standort sehr profitieren wird.
Ein Beispiel, bitte.
Lauber: Mit Technik aus Oberhausen wollen wir die größte Wärmepumpe der Welt bauen – und zwar für den Chemiekonzern BASF am Standort Ludwigshafen. Die neue Anlage soll die Produktion von Dampf mithilfe von Strom aus erneuerbaren Energien ermöglichen und erhebliche CO2-Einsparungen bewirken. Derzeit wird eine Machbarkeitsstudie erstellt, die bis Ende des Jahres 2022 fertig sein soll. Für unser Werk in Oberhausen bieten sich enorme Potenziale, denn es geht hier um ein Vorzeigeprojekt mit weltweiter Strahlkraft.
Wie läuft aktuell Ihr Geschäft im Gesamtkonzern?
Lauber: Wir sind auf Wachstumskurs. Im laufenden Geschäftsjahr werden wir voraussichtlich den größten Auftragseingang in der Geschichte unseres Unternehmens verzeichnen. Nach rund 3,7 Milliarden Euro im Vorjahr werden wir nun mehr als vier Milliarden Euro erreichen.
Vor wenigen Jahren galt MAN Energy Solutions innerhalb des VW-Konzerns als Verkaufskandidat. Ist das nach wie vor so?
Lauber: Wir haben heute ein enges und gutes Verhältnis mit Volkswagen und arbeiten erfolgreich zusammen.
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