Düsseldorf. Thomas Kutschaty, Chef der NRW-SPD und Herausforderer von Ministerpräsident Wüst, ist offen für eine Landesbeteiligung an Thyssenkrupp Steel.
Der Chef der NRW-SPD, Thomas Kutschaty, bringt eine Landesbeteiligung am Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel ins Gespräch. „Über eine staatliche Beteiligung lässt sich Stabilität erreichen. Daher könnte ein solcher Schritt im nächsten Jahr eine sinnvolle Option sein“, sagte Kutschaty im Interview mit unserer Redaktion. Der Herausforderer von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bei der Landtagswahl im kommenden Mai verwies unter anderem auf den großen Investitionsbedarf beim Aufbau einer klimaneutralen Stahlproduktion. „Wenn ich auf Deutschlands Stahlindustrie und Duisburg als Europas größten Stahlstandort blicke, sind meine Sorgen groß. Allein Thyssenkrupp braucht mehrere Milliarden Euro für die Transformation“, sagte Kutschaty. Er könne sich eine Beteiligung an Thyssenkrupp Steel über eine Landesgesellschaft vorstellen. „Ich bin fest davon überzeugt, dass man mit Stahl Gewinne machen kann. Vielleicht nicht unbedingt in den ersten Jahren nach einem Einstieg, aber perspektivisch ganz gewiss.“ Hier lesen Sie das Interview im Wortlaut:
Herr Kutschaty, wichtige Entscheidungen zur Stahlindustrie könnten kurz vor oder kurz nach der Landtagswahl im kommenden Mai fallen. Heißt das auch: Die Zukunft der Stahlwerke in NRW wird zu einem Wahlkampfthema?
Kutschaty: Wie es um unsere Stahlindustrie in NRW steht, ist ein ganz wichtiges politische Thema. Es geht hier nicht nur um einen einzelnen Industriezweig. Am Stahl hängt unglaublich viel, denn mit ihm beginnt eine Produktionskette mit einer Vielzahl von Unternehmen. Daher ist es so wichtig, dass wir die Stahlindustrie bei uns halten und modernisieren. NRW muss Stahlstandort bleiben.
Vor einigen Wochen sind Tausende Stahl-Beschäftigte vor der Zentrale von Thyssenkrupp Steel in Duisburg auf die Straße gegangen – mit dabei war der frisch gewählte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). War es das richtige Signal, dass sich Wüst mit den Stahlarbeitern solidarisiert hat?
Kutschaty: Signale sind schön, aber konkretes Handeln wäre besser. Ich würde mir wünschen, dass die Landesregierung erklärt, auch eine Landesbeteiligung bei einem nordrhein-westfälischen Stahlkonzern wäre eine Option. Um die Unternehmen zu stabilisieren, benötigen sie eine solide Ausstattung mit Eigenkapital, damit sie die Transformation hin zur Klimaneutralität bewältigen können. Wenn ich auf Deutschlands Stahlindustrie und Duisburg als Europas größten Stahlstandort blicke, sind meine Sorgen groß. Allein Thyssenkrupp braucht mehrere Milliarden Euro für die Transformation.
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Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz erwägt, die Stahlsparte zu verselbstständigen, also vom Essener Industriekonzern abzutrennen. Auch ein Börsengang ist möglich. Stünden Sie, sollten Sie als Ministerpräsident gewählt werden, für einen Einstieg des Landes NRW bei Thyssenkrupp Steel bereit?
Kutschaty: Es kann durchaus sinnvoll sein, die Stahlsparte abzuspalten. Das ist aber erst einmal eine unternehmerische Entscheidung von Thyssenkrupp, denn es stellt sich auch die Frage, was noch im Hauptkonzern bleibt, nachdem die Sparte TK Elevator schon verkauft worden ist. Klar ist: Die Stahlproduktion zu verselbstständigen, kann ein sinnvolles Modell sein, auch um neue Investoren zu finden. Wichtig ist, dass bei einer Abspaltung nicht irgendwelche windigen Geschäftemacher zum Zuge kommen. Über eine staatliche Beteiligung lässt sich Stabilität erreichen. Daher könnte ein solcher Schritt im nächsten Jahr eine sinnvolle Option sein.
Wie könnte der Einstieg erfolgen?
Kutschaty: Ich kann mir eine Beteiligung an Thyssenkrupp Steel über eine Landesgesellschaft vorstellen. Wettbewerbsrechtliche Fragen müssten selbstverständlich vorab geklärt sein. Wichtig ist mir aber vor allem, dass wir jetzt die klare Botschaft formulieren: Wir in NRW sind bereit, dieser Schlüsselindustrie unter die Arme zu greifen. Gerade bei einer Ausgründung braucht es einen guten Ankerinvestor. Dass sich das Land an einem Stahlhersteller beteiligt, ist im Übrigen kein Novum in Deutschland. Auch in Niedersachsen wird dies mit Salzgitter seit vielen Jahren erfolgreich praktiziert.
Steuergelder zum Erhalt der Stahlindustrie – damit sind aber auch Risiken verbunden.
Kutschaty: Ich bin fest davon überzeugt, dass man mit Stahl Gewinne machen kann. Vielleicht nicht unbedingt in den ersten Jahren nach einem Einstieg, aber perspektivisch ganz gewiss. Der Stahl wird gebraucht, gerade auch für die Energiewende. Ohne Stahl gibt es keine Autos, keine Windkraftanlagen, keine Schiffe, keine Straßenbahnen. Der Stahl ist ein hochmoderner Werkstoff, wenn er umweltfreundlich hergestellt wird.
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Aber viele Stahlwerke sind in die Jahre gekommen. Der Modernisierungsaufwand ist enorm.
Kutschaty: Ja, für die Umrüstung der Stahlwerke weg von der Kokskohle hin zum Wasserstoff sind milliardenschwere Investitionen erforderlich. Das Geld kann die deutsche Stahlindustrie nicht allein aufbringen. Aber wenn die Strategie aufgeht, können wir mit Technologie aus Nordrhein-Westfalen Weltmarktführer werden. Vom Stahl hängen nicht nur direkt 45.000 Arbeitsplätze in NRW ab, sondern indirekt auch Tausende weitere Jobs in ganz vielen Wirtschaftszweigen. Hinzu kommt: Gerade durch den Umbau der Stahlindustrie können wir auf einen Schlag erhebliche Fortschritte beim Klimaschutz machen.
Als Kanzlerkandidat war auch der neue Regierungschef Olaf Scholz, wie Sie ein Sozialdemokrat, bei Beschäftigten von Thyssenkrupp in Duisburg – kurz vor dem Wahltag. Bekommen die Stahlunternehmen aus Ihrer Sicht nun auch genug Unterstützung der Bundesregierung?
Kutschaty: Die Bundesregierung hat auf dem Schirm, was zu tun ist – insbesondere mit Blick auf die Frage, wie die deutsche Stahlindustrie mit grünen Produkten wettbewerbsfähig sein kann. Die Herstellungskosten bei einer klimaneutralen Produktion sind schließlich zunächst höher, hier ist ein Ausgleich erforderlich. Der Koalitionsvertrag zeigt: Es gibt Rückendeckung vom Bund. In NRW fehlt diese Unterstützung aber noch.
Arbeitnehmervertreter betonen, wie sehr die Zeit drängt, damit die Stahlindustrie nicht abgehängt wird im Wettbewerb um die klimaneutrale Produktion.
Kutschaty: In kürzester Zeit entscheidet sich die Frage: Wird es uns gelingen, die Stahlproduktion in NRW zu halten und auszubauen. Das ist nicht nur eine unternehmerische Entscheidung. Es braucht auch politische Unterstützung. Zu einem klimaneutralen Auto gehört auch klimaneutraler Stahl. Darauf wird die Autoindustrie künftig achten müssen – und tut es schon jetzt. Mercedes ist vor kurzem Investor bei einem Stahlwerk in Schweden geworden, das schon im Jahr 2024 in Betrieb gehen und klimaneutral produzieren soll. Insofern ist die Frage konkret: Wie lange wird Mercedes noch Stahl aus Deutschland für seine Autos beziehen? Daher müssen wir jetzt schnell Investitionen der deutschen Stahlhersteller ermöglichen, damit die Unternehmen in NRW nicht den Anschluss verlieren.
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Bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin haben Sie für die SPD die Arbeitsgruppe zur Planungsbeschleunigung geleitet. Für den Umbau der Stahlproduktion müssen Wasserstoff-Pipelines gebaut und erneuerbare Energie in riesiger Größenordnung bereitgestellt werden. Ist hier bislang zu wenig auf Bundes- und Landesebene getan worden?
Kutschaty: Ich bin überzeugt: Es wird einen Riesen-Ruck in Deutschland geben. Wir müssen die Laufzeiten für Planungsverfahren mindestens halbieren. Und ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen. Bei den Koalitionsverhandlungen haben wir jeden Paragrafen von links auf rechts gedreht. Ein Ergebnis: Wir können große Infrastrukturprojekte durch ein Gesetz genehmigen statt durch verschiedene Planfeststellungsverfahren. Das ist etwa bei Stromtrassen über Bundesländergrenzen hinweg eine gute Möglichkeit, um Projekte zu beschleunigen.
Der ehemalige Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) ist auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt im Kuratorium der Thyssenkrupp-Großaktionärin Krupp-Stiftung geblieben. Gehört aus Ihrer Sicht der amtierende Ministerpräsident ins Stiftungskuratorium?
Kutschaty: Ja, ich finde, das Kuratorium ist nichts für Frühpensionäre. Da müssen diejenigen rein, die auch die Entscheidungen zu treffen haben. Deswegen muss Nordrhein-Westfalen da stark vertreten sein.