Düsseldorf. Der Krieg in der Ukraine macht Holzpaletten-Hersteller nervös. Produktionsausfälle drohen. Paletten sind in der Wirtschaft unverzichtbar.
Ob Couch, Lounge-Sitz oder Bett: Euro-Paletten sind seit einigen Jahren auch Material für trendige Möbel. Doch der Krieg in der Ukraine führt dazu, dass Paletten in der Logistik knapp zu werden drohen, sodass Möbel womöglich das letzte wären, wozu man Paletten derzeit verwenden sollte.
„So unscheinbar die Palette für viele auch sein mag – sie ist maßgeblich für die Grundversorgung, für weltweite Warenströme und für den Erfolg der deutschen Wirtschaft“, sagt Marcus Kirschner, Geschäftsführer vom Bundesverband Holzpackmittel, Paletten, Exportverpackung (HPE) in Bad Honnef. Er warnt vor einer Palettenkrise.
Paletten-Krise: Nägel aus Russland sind plötzlich ein Problem
Die gut 180 Hersteller von Holz-Paletten in Deutschland sind beunruhigt - ebenso Unternehmen so gut wie aller Wirtschaftsbereiche: „Wir können derzeit bei der Produktion von Paletten nur sechs Wochen vorausblicken. So eine Lage hatten wir noch nie“, sagt Jörg Caspari, Paletten-Produzent in Waldbröl zwischen Bonn und Siegen. Täglich gebe es mehrere Anfragen von Unternehmen. Beliefert aber würden vornehmlich Stammkunden.
Es fehle absehbar an den nötigen Nägeln für Paletten. 40 Tonnen pro Monat braucht man alleine bei Caspari. Die geforderten Nägel sind bis dato weitgehend aus vergleichsweise einfachem Stahldraht aus Russland hergestellt, der aber darf nicht mehr eingeführt werden, als Folge der Wirtschaftssanktionen des Westens. „Unser Versorgung mit Nägeln ist für die kommenden sechs bis acht Wochen gesichert, wie es dann weitergeht, lässt sich nicht absehen“, sagt Caspari, dessen Unternehmen zu den größeren der Branche gehört und pro Jahr etwa 7 Millionen Paletten industriell produziert, darunter 1,5 Millionen Europaletten.
Paletten sind in der Wirtschaft unverzichtbar - überall
Andere Nägel? Sind für Holz-Paletten nicht geeignet, ist zu hören. Anderer Draht? Lasse sich auf die Schnelle weltweit nicht besorgen. Es fehle an Stahlwerkskapazitäten, heißt es. Zudem droht in China ein weiterer Corona-Lockdown den internationalen Warenverkehr ins Stocken zu bringen.
Dass die Industrie in Deutschland besondes stark vom russischen Gas abhängt? Der Krieg in der Ukraine führt es vor Augen. Doch eine Paletten-Krise konnte sich bis dato offenbar niemand in der Branche vorstellen, meint Marcus Kirschner: „Wir nehmen heute vieles als selbstverständlich hin, ohne zu hinterfragen, welche Prozesse dafür reibungslos funktionieren müssen.“
Europalette: 11 Bretter, 9 Holzklötze und 78 ganz spezielle Nägel
Knapp 120 Millionen Holz-Paletten wurden 2021 alleine in Deutschland produziert, sagt der HPE. Der Jahresbedarf der hiesigen Industrie wird mit 159 Millionen Stück beziffert. Die Hälfte der produzierten Holz-Paletten seien in Mehrweg-Nutzung, insgesamt seien eine Milliarde solcher Paletten in Deutschland im Umlauf, schätzt man beim HPE. Dennoch brauche die Industrie täglich kontinuierlich frische Paletten - in allen Wirtschaftsbranchen von Industrie und Handel.
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Seit mehr als 60 Jahren sind Euro-Paletten die genormte Basis weltweiter Warenströme. „Der Standard ist jetzt plötzlich das Problem“, sagt Jens Lübbersmeyer vom Gütesicherungsverband Epal in Düsseldorf, der Holz-Paletten international lizenziert und die Hersteller überprüft. Es gibt zig Arten von Paletten - alle eint: Sie sind zumeist aus einfachem Holz gebaut. Die Europalette etwa, der bekannteste Palettentyp, misst 120 mal 80 Zentimeter, besteht aus 11 Brettern, 9 Holzklötzen und exakt 78 gestauchten und gerillten Konvexring-Nägeln aus Stahldraht. „Da kann man nicht einen Nagel sparen“, sagt Lübbersmeyer.
Holzpreis hat sich mehr als verdoppelt
„Es gab Anfang April eine erste Panik unter Herstellern, aber es scheint sich in der Türkei oder Asien neues Rohmaterial beschaffen zu lassen“, ist laut Epal zu hören. Diesen Optimismus teilen jedoch nicht alle in der Branche, wie zu erfahren ist.
Zudem hat sich das Holz seit 2020, getrieben durch die Corona-Pandemie, um 150 Prozent verteuert. Großabnehmer müssten inzwischen 24 Euro pro Europalette zahlen, statt 7 Euro noch vor zwei Jahren, „Tendenz steigend“, sagt ein Palettenhersteller aus dem Münsterland.
Kunststoff-Paletten als Alternative?
In der Vergangenheit sei der Preisdruck immens gewesen, ist zu erfahren: „Es wurde um jeden Cent gefeilscht.“ Dementsprechend sei jede günstige östliche Einkaufsquelle genutzt worden: „Das rächt sich jetzt.“ Kunden aber ziehen offenbar mit, sagt Jörg Caspari: „Der Ernst der Lage ist auch unseren Kunden klar. Wir stoßen auf großes Verständnis und Kooperationsbereitschaft, etwa da, wo die drastischen Preissteigerungen in den Verträgen nicht abgedeckt sind, weil sie in dem Maße gar nicht vorhersehbar waren.“
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Es gibt Alternativen zum Holz, sagt ein Sprecher des Handelsverband Lebensmittel (BVLH): „In der Logistik zwischen den Zentrallagern und den Filialen werden mittlerweile auch andere Paletten verwendet, zum Beispiel aus Kunststoff.“ Noch sei von einem Mangel an Paletten in der Branche nichts zu hören, erklärt er.
Bei Chemie-Unternehmen bessern Holzpaletten die Klimabilanz auf
Vor allem im Lebensmittelbereich hätten sich Kunststoffpaletten inzwischen etabliert, ist beim Emmericher Hersteller Transoplast zu erfahren. „Für Bereiche, in denen Hygiene ein wichtiges Thema ist, sind Kunststoffpaletten beispielsweise die erste Wahl“, sagt Marketing-Manager Hildo Hilbrands. Zahlen mag er keine nennen, man verzeichne eine verstärkte Nachfrage auch aus anderen Bereichen.
„Für Holz als Werkstoff spricht einfach mehr“, sagt indes Hans Bockhop vom Holz-Palettenhersteller Schlesselmann im niedersächsischen Asendorf, der auch Möbel aus Paletten anbietet. Holz sei nach wie vor viel günstiger als Kunststoff, vor allem aber nachhaltig, meint Bockhop: Große Chemieunternehmen wie Bayer oder BASF etwa würden Holzpaletten, die sie zuhauf verbrauchen, inzwischen in ihrer Klimabilanz verwenden. Dazu müsste das Holz zertifiziert sein, wozu nur hiesiges Holz in Frage käme, aber kein Holz etwa aus Belarus, Russland oder der Ukraine.
Paletten werden für Möbel oft eigens produziert
Beim Gütesicherungsverband Epal ist man derzeit nicht glücklich über Paletten-Möbel: „Solche Paletten fehlen im Kreislauf“, sagt eine Sprecherin. Heimwerker, die sich Palettenmöbel basteln wollen, dürften aber weiterhin Paletten bekommen, meint Hans Bockhop - nur deutlich teurer. Für ein Bett etwa brauche man, den meisten Online-Bauanleitungen nach, acht Europaletten. Die Paletten, aus denen man bei Schlesselmann Möbel herstellt, werden indes eigens für diesen Zweck produziert - mit verzinkten Nägeln, damit sich kein Rost ansetzt, wie bei normalen Paletten nach dem Produktionsprozess üblich.
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Die Normen für Euro-Paletten, die bis zu 1,5 Tonnen Gewicht tragen können müssen, erfüllten diese Möbel-Paletten nicht, sagt Bockhop. Auch weil sie glatt geschliffen sind, sagt er. Damit seien die Bretter dünner und es fehle die sägeraue Oberfläche. Bockhop: „Sie ist Teil der Transportsicherung von Holzpaletten.“