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Personalvorstand Ulrich Weber erklärt im Interview, warum die Deutsche Bahn Hauptschüler braucht.

Die Bahn setzt auf die Hauptschule. Anders als andere Manager sagt Ulrich Weber (60), Personalvorstand der Deutschen Bahn AG: „Wir brauchen die Hauptschüler. Wir haben mit ihnen gute Erfahrung gemacht“. Weber ist seit 2009 bei dem Staatsunternehmen, das rund 200 000 Beschäftigte im In- und Ausland hat. Vorher arbeitete der Jurist lange Jahre als Bergbau-Manager, zuletzt bei der Essener Evonik Industries AG.

Eineinhalb Jahre sind Sie jetzt bei der Bahn. Die Zeit war aufreibend: Die Aufarbeitung der Datenaffäre, die Hitzepannen der ICE, jetzt Stuttgart21 – wie schlägt das alles auf das Klima der Mitarbeiter eines so riesigen Unternehmens durch?

Ulrich Weber. Foto: Martin Meissner/ap
Ulrich Weber. Foto: Martin Meissner/ap © AP

Ulrich Weber: Wir sind auf einem guten Weg, gerade wenn man sieht, welch verdammt schweren Job unsere Leute oft haben. Das Klima im Konzern ist im Ganzen ein gutes, kollegiales und loyales. Das zieht sich, finde ich, durch alle Hierarchieebenen. Nach den oft nicht ganz einfachen letzten Jahren haben wir gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern eine Menge getan, um aufgetretene Vertrauensverluste wettzumachen. Und wir machen da konsequent weiter. Unternehmenskultur ist eines unserer Schwerpunktthemen für die kommenden Jahre.

Der Bundesverkehrsminister sagte kürzlich, es gebe eine Renaissance der Bahn. Sie sind Sie halbwegs gut durch die Krise gekommen. Aber haben Sie für die Herausforderungen der Zukunft, die auch in der Demografie liegen, ausreichend Personal?

Weber: Für die Herausforderungen der Zukunft setzen wir vor allem auf die eigene Berufsausbildung, über die wir 90 Prozent unseres Nachwuchses rekrutieren. Wir sind einer der größten Ausbilder in Deutschland und haben nach der Ausbildung eine Übernahmequote von ebenfalls über 90 Prozent. Aber es wird sich einiges verändern am Arbeitsmarkt.

Fachkräftemangel also auch bei der Bahn?

Weber: Die Kandidaten, die gut qualifiziert sind, werden künftig größere Chancen haben, unter den Arbeitgebern auszuwählen. Wir müssen uns also immer stärker fragen: Wie attraktiv sind wir als Arbeitgeber? Auftritt, Sympathiewerte, ein gutes Bewerbermanagement, vernünftige Arbeitsbedingungen und Karrierechancen sind dann umso wichtiger. Die Bewerber müssen merken: Die Bahn bietet was. Da stehen wir schon heute sehr ordentlich da. Und welches Unternehmen hat schon einen konzernweiten Arbeitsmarkt, der zum Beispiel dafür sorgt, dass Mitarbeiter nicht arbeitslos werden, sondern konzernintern weitervermittelt werden? Dieser „Job-Service“ hat sich gerade in der Krise sehr bewährt. Aber auch bei jungen Leuten schlagen wir innovative Wege ein. Wir gehen zum Beispiel als Bahn an die Schulen und stellen die vielfältigen Berufsmöglichkeiten bei uns vor, die weit über das hinaus gehen, was man als Bahnkunde so kennt. Bundesweit gibt es mittlerweile 340 Schulkooperationen. Daran sind alle Schulformen beteiligt. Denn wir müssen sehr gezielt und differenziert suchen.

Was bedeutet das?

Weber: Es ist zum Beispiel nötig, die Auswahlkriterien sachgerecht anzupassen. Früher mag allein die Zwei in Mathe entscheidend gewesen sein. Heute ist durchaus auch das, was man früher Kopfnoten nannte, wieder wichtig: Sozialverhalten, Fleiß, Engagement. Und wir sollten nicht vergessen, dass die Bahn zudem einen großen Anteil an Nicht-Akademikern hat: in den gewerblich-technischen Berufen, in den kaufmännischen und natürlich den Verkehrsberufen. Ein Großteil unseres Nachwuchses kommt aus Haupt-, Real- und Gesamtschulen. Hier setzen wir an.

Hauptschulabgänger haben nicht den besten Ruf.

Weber: Ich halte das Schwarz-Weiß-Bild, das vermittelt wird, für falsch. Wir kritisieren häufig pauschal fehlende Kompetenzen. Aber wir haben aus unserem eigenen Erleben so oft ein positives Bild der jungen Menschen – gerade wenn wir sie im Job erleben. Ein Viertel unserer Ausbildungsplätze besetzen wir mit Hauptschülern. Denken Sie etwa an unsere Gleisbauer, Rangierer, Lageristen in der Logistik, unsere Kollegen auf den Bahnhöfen, im Sicherheitsdienst, in der Gastronomie. Wir nehmen die Hauptschule ernst. Wir brauchen die Hauptschüler, wir haben mit ihnen gute Erfahrungen gemacht.

Aber die, die Probleme mit den Abschlüssen haben, fallen durch den Rost?

Weber: Nein. Wir rekrutieren regelmäßig auch aus dem Kreis junger Leute, die erst bedingt ausbildungsreif sind. Bei uns werden sie fit für den Berufsalltag gemacht, z.B. in dem knapp einjährigen Praktikanten-Programm „Chance plus“. Dass dies erfolgreich ist, zeigen die Zahlen: drei Viertel der Absolventen übernehmen wir in die Ausbildung oder direkt in einen Job. Und das ist nicht alles: Seit 2009 bieten wir jungen Menschen ohne Schulabschluss an, neben dem Praktikum in der Gebäude- und Fahrzeugreinigung oder als Grünanlagenpfleger den Hauptschulabschluss bei uns nachzuholen. Dass unsere Erfahrungen gut sind, ist leicht nachvollziehbar. Jeder will doch etwas aus seinem Leben machen!

Entwickeln Sie „Chance plus“ weiter?

Weber: Ja, indem wir zum Beispiel das Programm den veränderten Voraussetzungen anpassen, die unsere neuen Praktikanten jedes Jahr mitbringen. Denn wir wollen, dass „Chance plus“ erfolgreich weiterläuft. Im November starten neue Klassen mit bundesweit über 400 jungen Leuten. Allein in Nordrhein-Westfalen sind es mehr als 100. Dabei werden die meisten von ihnen unter guter Anleitung durch uns lernen, zu lernen und sich zu entwickeln und unverzichtbare Arbeitskräfte werden.

Beim Regionalverkehr liegt Streik in der Luft. Rechnen Sie mit Ausfällen in den nächsten Tagen und dann auch vor Weihnachten?

Weber: Das ist diesmal keine gewöhnliche Tarifrunde. Es geht nicht nur um höhere Entgelte für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und um die Fortsetzung und Weiterentwicklung unseres Beschäftigungsbündnisses. Es geht für die Gewerkschaften auch und vor allem um flächendeckende Tarifstandards – für die Deutsche Bahn wie für unsere Wettbewerber. Ich halte das nicht nur für richtig, sondern einen vernünftigen Kompromiss auch für machbar. Gucken Sie sich andere etablierte Branchen an wie die Automobil– oder die Chemieindustrie. Da klappt das ja auch. Warum sollte das im Schienenpersonennahverkehr nicht gehen? Dazu müssen dann aber auch die anderen Bahnunternehmen bereit sein. Wir haben der Tarifgemeinschaft (TG) aus Transnet und GDBA am 8. Oktober ein für alle Seiten kompromissfähiges Angebot gemacht. Wir wollen darüber verhandeln und haben mit der TG ja sogar schon einen Verhandlungstermin am 29. Oktober vereinbart. Umso unverständlicher ist es für uns, dass die Tarifgemeinschaft trotzdem Warnstreiks auch bei der DB angekündigt hat. Und zum jetzigen Zeitpunkt bereits über Streiks zu Weihnachten zu sprechen, halte ich angesichts unserer intensiven Bemühungen um Einigung für, gelinde gesagt, unangemessen.