Essen. Die Insolvenz trägt Schwarz. Seit 26 Jahren arbeitet Marion Wöstefeld bei Karstadt. Wie tausende andere ihrer Kollegen bangt sie um ihren Arbeitsplatz. Dabei hätten sie sich all die Jahre nie vorstellen können, dass so ein Unternehmen einmal vor die Wand gefahren wird.
Sie nennt es ihre Trauerkleidung. Hose, Jacke, T-Shirt, alles in Schwarz. Als hätte man damals, im März 2008, als das neue Einkaufszentrum am Limbecker Platz mit großem Getöse eröffnet wurde, Vorahnungen gehabt. Elegant sollte das Personal daherkommen, dezent, ganz im Stil der neuen Karstadt-Filliale. Drei Anzüge, zehn Oberteile. Viele ihrer Kollegen mochten es, ihr hat es nie gefallen. „Alles Polyamid. Plastik!”, sagt sie und zupft am Ärmel ihres Jacketts. Trauerkleidung! Wie sehr sie damit Recht behalten sollte, hat sie nicht geahnt.
Juni, Juli, August. Das ist die Galgenfrist, die Marion Wöstefeld noch bleibt. So lange erhält sie nach dem für Arcandor eingeleiteten Insolvenz-Verfahren noch ihr Nettogehalt. Was danach kommt, weiß sie nicht. Weiß niemand. Seit 26 Jahren arbeitet sie als Verkäuferin bei Karstadt, am Essener Limbecker Platz. Sie, die gelernte Damenschneiderin, hatte im Alter von 32 Jahren dort angefangen. Karstadt suchte eine Verkäuferin für die Nähmaschinenabteilung, sie nach zehnjähriger Familienpause einen Job.
1000 Mitarbeiter umschwärmten die Kunden
1700 Euro netto verdiente sie als Erstverkäuferin, als zweite Kraft nach dem Abteilungsleiter. Gute Jahre waren das, auch wenn Karstadt sich veränderte. Lange vorbei waren die Zeiten, in dem das Haus am Limbecker Platz als Vollwarenhaus glänzte. Als 1000 Mitarbeiter die Kunden umschwärmten. „Wenn damals eine Kundin bestimmte Plastiklöffel für ihr Baby brauchte, dann riefen wir selbst beim Fabrikanten an”, erinnert sich die 58-Jährige.
Der schnelle Draht zum Kunden und seinen Wünschen, er verlor sich. Die Öffnungszeiten wurden ausgeweitet, das Personal reduziert. Von einst 1000 auf 300, effizient eingeteilt. „Die Manager kamen und gingen, jeder brachte neue Konzepte mit”, erzählt Marion Wöstefeld.
26 Jahre Karstadt also sind es am 1. August für sie. Und in all den Jahren hatte sie gedacht, bis zu ihrer Rente dort weiter arbeiten zu können. Vor zwölf Jahren, nach Bandscheiben-Vorfall und Herzinfarkt, ging ihr Mann, Elektromechaniker bei den Essener Verkehrsbetrieben, in Rente. Seitdem ist Frau Wöstefeld die Haupternährerin der Familie.
Die Ermittlungen gegen Thomas Middelhoff
Sie will nicht klagen, weil es anderen viel schlechter gehe. Anderen, die jünger seien und noch viele Jahre Arbeit vor sich hätten – wenn, ja, wenn nicht Hertie und Woolworth auch dicht gemacht hätten. „Diese Massen an Menschen, die finden doch keine Arbeit mehr”, sagt die Karstadt-Frau, „Die bekommen noch ein Jahr Arbeitslosen-Geld und dann Hartz IV, müssen ihr fürs Alter zurückgelegte Geld aufbrauchen”.
Auch sie hat vorgesorgt. 800 Euro Rente wird sie einmal bekommen, langfristige Sparverträge waren gedacht „um finanziell etwas beweglich zu bleiben”. Dreieinhalb Zimmer in einem Essener Vorort, Balkon mit Blick ins Grüne. Marion Wöstefeld ist nicht unzufrieden. Noch hofft sie. Arbeitet tagsüber an der Sammelkasse, die nun Service-Center heißt und verdrängt die Gedanken an den September. Doch abends, mit den täglich neuen Nachrichten, ist die Sorge wieder da. Was ist im September? Haben wir es da geschafft? Wird es Karstadt dann noch geben?
Wie sie hängen alle Karstadt-Mitarbeiter in der Luft, werden umgewirbelt von jeder neuen Information, die öffentlich wird. „Wir hätten nicht gedacht, dass so ein Unternehmen einmal vor die Wand gefahren wird”, sagt Marion Wöstefeld. Dass nun auch gegen Ex-Arcandor-Chef Middelhoff wegen Untreue ermittelt wird, dass er privat an den Karstadt-Mieten verdient haben soll, hebt die Stimmung beileibe nicht. Wie sagt Frau Wöstefeld: „Ich habe doch auch sauber gearbeitet!”