Marl. .
Tausende Bergleute protestieren im Revier und in Brüssel gegen das geplante vorzeitige Zechenaus. Die Kumpel fürchten um ihre Arbeitsplätze, weil die EU die deutschen Zechen schon 2014 dicht machen will.
„Wenn man nicht einmal mehr der Kanzlerin trauen kann …“ Urich Mikat beendet den Satz lieber nicht. Mit 1200 Kollegen aus den deutschen Bergwerken marschiert er durch das EU-Viertel in Brüssel, hat sich eingereiht in die großen Protestzüge für ein sozialeres und gerechteres Europa.
Der Dinslakener und seine Kollegen haben aber auch ein ganz konkretes Anliegen. Sie kämpfen für die Anerkennung des deutschen Steinkohlekompromiss. 2007 haben sich die Gewerkschaft IG BCE und Bundesregierung geeinigt, im Jahr 2018 soll Schluss sein. Dann laufen die Subventionen aus und die letzten Zechen werden geschlossen. Alles schien klar. Dass sie für diesen schmerzhaften Kompromiss noch einmal würden kämpfen müssen – das hätte keiner der Kumpel gedacht. Aber die EU-Kommission hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Geht es nach deren Plänen, laufen die Subventionen spätestens im Herbst 2014 aus. Für den 45-jährigen Mikat undenkbar. Die Konsequenz daraus: Er stünde auf der Straße – ohne jede Absicherung.
„Wer nicht kämpft, hat schon verloren“
Jetzt ziehen die Bergleute durch Brüssel, wollen zeigen, dass es sie noch gibt, dass sie sich nicht alles gefallen lassen. Ob es was nützt? Gisbert Krantz zuckt mit den Schultern. Er ist skeptisch. Sein Kollege Alois Johann gibt sich kämpferisch: „Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Ein abgedroschener Spruch? Vielleicht, aber er bringt die Stimmung der Kumpel von Ruhr und Saar auf den Punkt. Jetzt erst recht, mit dieser Einstellung ziehen sie durch die Straßen.
Auf ihren Plakaten fragen sie immer wieder, wie viel Merkels Wort wert ist. Sie können sich nicht vorstellen, dass die Kanzlerin sie hängen lässt. Trotzdem sind sie von der Politik enttäuscht. Frust macht sich breit. „Wie kann ich zu Hause von meinen Kindern Ehrlichkeit verlangen, wenn sich nicht einmal die Politik an Verträge hält?“, fragt Rolf Hespeling. In seinem roten Grubenwehr-Overall fällt er in der Menge auf. „Angst und Wut“ haben ihn nach Brüssel geführt.
Überhaupt fallen die deutschen IG-BCE-Mitarbeiter in dem ellenlangen Demonstrationszug auf. Zehntausende Gewerkschafter aus ganz Europa demonstrieren hier - die anderen allerdings nicht für die Kohle, sondern für eine soziale EU - und veranstalten einen Höllenlärm. Die Deutschen sind nicht ganz so laut wie ihre Kollegen aus Südeuropa, verzichten auf Böller und Partymusik. Dafür zeigen sie aber Flagge. Hunderte IG-BCE-Fahnen flattern im Brüsseler Wind.
Betriebsversammlungen im Revier
1984 hat Volker Straub auf dem Bergwerk Ibbenbüren im Münsterland angefangen. Schon sein Vater und sein Großvater haben dort unter Tage geschuftet. Die ständige Angst um die Existenz – er kennt sie schon lange. Das 2018 der deutsche Bergbau Geschichte sein soll, damit hatte er sich abgefunden. An die Revisionsklausel, also an die mögliche Verlängerung eines Sockelbergbaus über 2018 hinaus, hat er sowieso nie geglaubt. „Die gibt es doch bloß, damit man sagen kann, wir haben etwas gemacht“, gibt er sich keinen großen Illusionen hin. Aber wenigstens bis 2018, diese Gnadenfrist von vier Jahren müsste doch wohl drin sein.
Dafür kämpft auch der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis. Auf der Abschlusskundgebung wirft er der EU-Kommission Heuchelei vor. Nennt die Wettbewerbsgründe, die die Kommission für den Ausstieg anführt, „fadenscheinig“, die Klima-Argumente schlicht „falsch“. Denn die heimische Kohle würde sofort durch Importkohle ersetzt. „Nicht ein Gramm CO2 würde eingespart.“ Und überhaupt, die deutsche Kohle stünde gar nicht im Wettbewerb zu anderen europäischen Ländern. „Die EU zerstört ohne Not ein vorbildliches, sozialverträgliches, gesetzlich abgesichertes Konzept, das den Menschen Sicherheit bringt.“
Am Vormittag hatte die Gewerkschaft aus Protest gegen die Brüsseler Pläne zu Betriebsversammlungen in Ibbenbüren, Marl, Bottrop, Kamp-Lintfort und Saarbrücken aufgerufen. Rund 9.000 Bergleute demonstrierten dort gegen das Vorhaben eines früheren Kohle-Aus´.