Berlin. Um zwei Uhr wurde die Einigung zwischen GM, dem Investor Magna und der Bundesregierung verkündet. NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) schloss am Morgen betriebsbedingte Kündigungen in Bochum aus. Der Landesanteil an der staatlichen Brückenfinanzierung sei auf 150 Millionen begrenzt.
Die Beschäftigten von Opel können vorerst aufatmen. Nach einem nächtlichen Verhandlungsmarathon verkündeten Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), Bundeswirtschaftsminister zu Guttenberg (CSU) und Hessens Ministerpräsident Koch (CDU) heute früh um 2 Uhr die Einigung mit dem österreichisch-kanadischen Konzern Magna und dem US-Mutterkonzern General Motors über eine Übernahme von dessen deutscher Tochter.
Keine betriebsbedingten Kündigungen
NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) hält die Übernahme von Opel durch Magna für „eine tragfähige Lösung, gerade auch für Bochum.“ Er sei „erleichtert“. Es werde zwar Einschnitte geben, „aber es ist uns gelungen, betriebsbedingte Kündigungen zu verhindern“, sagte der Landesregierungschef am Samstagmorgen vor dem Bundeskanzleramt der WAZ. „Das ist die gute Botschaft an die Opelaner“ fügte Rüttgers hinzu.
In Bochum wird nach seiner Darstellung der „Zafira“, eine Plattform für das Modell „Ampera“ und für einen Übergangszeitraum auch ein zweitüriger „Astra“ gebaut werden. Der Jobabbau werde deutlich unter der bisher genannten Zahl von 2200 Stellen bleiben. Das werde man in den nächsten Monaten besprechen. Rüttgers zur WAZ: „Es gibt keine festen Vorgaben.“ Wie die WAZ aus dem Umfeld von Investor Magna erfuhr, soll die Belegschaft in Bochum von 5000 auf 3200 zurückgefahren werden.
NRW-Haushaltsausschuss tagt am Sonntag
Die Anpassung werde man sozialverträglich und in Ruhe mit Betriebsräten und Gewerkschaften durchführen. NRW soll sich mit 150 Millionen Euro an einer staatlichen Brückenfinanzierung beteiligen. „Das ist gedeckelt und kann nicht wachsen“, versicherte Rüttgers auf Nachfrage. „Wir werden am Sonntag in NRW die notwendigen Entscheidungen herbeiführen“, kündigte er mit Blick auf eine geplante Sondersitzung des Haushaltsausschusses des NRW-Landtages an. Die Überführung von Opel in eine Treuhand werde in den nächsten zwei Tagen umgesetzt.
Mit dem Konzept, dessen Details heute um 10 Uhr erläutert werden sollen, würde der Erhalt von Opel gesichert. Letzte Hürde: Die Landesregierungen und Parlamente von Hessen und NRW müssen noch zustimmen. Dazu soll es noch am Sonntag entsprechende Dringlichkeitssitzungen der zuständigen parlamentarischen Gremien geben.
Steinbrück und Koch: Es lohnt sich
Steinbrück und Koch betonten bei der nächtlichten Pressekonferenz, sie seien sich der erheblichen finanziellen Risiken bewusst, die man mit dem Konzept eingehe, es lohne sich aber. Wirtschaftsminister zu Guttenberg hatte in den Verhandlungen eine andere Position vertreten und eine Insolvenzlösung favorisiert, betonte aber abschließend, dass er sich dem Mehrheítsvotum gefügt habe. Die andere Seite - also Steinbrück, NRW-Ministerpräsident Rüttgers und Koch - hätten "sehr gute Argumente" für die nun gefundene Lösung ins Feld geführt.
Alle drei Politiker machten jedoch deutlich, dass das Finanzpaket von insgesamt 4,5 Milliarden Euro an Zuschüssen und Bürgschaften für Opel die absolute Grenze sei. Es werde keine weiteren Gelder mehr geben.
Wende nach einen Tag des Zitterns
Rückblick: Die Wende nach einem weiteren Tag des Zitterns kam kurz vor Toresschluss. Und mit ihr Jürgen Rüttgers. Als der NRW-Ministerpräsident am Freitag gegen 16 Uhr am Kanzleramt vorfährt, wo Journalisten den Eingang bevölkern, verdichtet sich das Gerücht zur Hoffnung: Magna und GM einig über Opel? „Ja, es stimmt”, bestätigt ein Unterhändler der WAZ, „es hat sich was bewegt. Es gibt eine Rahmenvereinbarung.” Erst im Kanzleramt erfährt der Ministerpräsident, dass das Gipfeltreffen um zwei Stunden verschoben wird.
Damit will Bundeskanzlerin Angela Merkel Zeit gewinnen. Bis 18 Uhr sollen die Staatssekretäre den vorliegenden „Deal” bis ins Kleingedruckte prüfen. Hält die Abmachung einer Überprüfung stand? Vize-Kanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD) verbreitet Zuversicht. Auch Rüttgers macht (sich) Mut: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.”
USA erwarten "bisschen viel Entgegenkommen"
Ab 22 Uhr werden die Beratungen im Kanzleramt intensiver. Streng getrennt nach Parteien, hier die SPD, dort die CDU-Leute, beraten die Minister. Die Ministerpräsidenten bleiben unter sich.
Hintergrund: Die amerikanischen Geldvorstellungen bereiten den Deutschen Probleme. Wie die WAZ aus Verhandlungskreisen hört, wollen GM und die US-Regierung, dass der Bund zügig mit 1,5 Milliarden Euro für Opel in Vorlage geht: 350 Millionen sofort, 500 Millionen im August, den Rest bis zum Herbst.
Während die Regierung die Finanzfragen und ein Treuhandmodell, das die Belange des Steuerzahlers samt Rückzahlungspflichten berücksichtigt, Zug um Zug anpacken will, haben es die Amerikaner damit überhaupt nicht eilig. „Da wird ein bisschen viel Entgegenkommen erwartet“, heißt es zwischenzeitlich aus deutschen Verhandlungskreisen.
"GM kommt ständig mit neuen Zahlen"
Früh am Morgen klang auch Magna-Sprecher Daniel Witzani noch hörbar eingetrübt: „General Motors kommt ständig mit neuen Zahlen und Themen”, bilanzierte der PR-Mann des kanadisch-österreichischen Automobilzulieferers. Im Hotel Adlon hat sich die Magna-Spitze um Unternehmensgründer Frank Stronach seit sechs Uhr früh mit Vertretern des Opel-Mutterkonzern GM eingemietet, um die losen Fäden des (ersten) gescheiterten Opel-Gipfels am Mittwoch im Kanzleramt zusammenzubinden. Damals waren es noch vier Anbieter, dann zwei.
Und auch Fiat-Chef Sergio Marchionne signalisierte dann, dass der Schönheitswettbewerb der Bieter für ihn gelaufen ist. Er hatte immer noch Interesse an Opel, aber die Allüren der Amerikaner satt. Zu dem Zeitpunkt macht die Regierung auch klar, dass es ein Treffen auf Spitzenebene, mit vier Bundesministern, den Ministerpräsidenten der vier Opel-Bundesländer und den Top-Leuten von GM und Magna, nur dann gibt, wenn bis 16 Uhr „entscheidungsreife Verträge” vorlegen, so Vize-Regierungssprecher Thomas Steg.
Kanzlerin droht mit Insolvenz
Durch ihn sprach eine übellaunige Basta-Kanzlerin; nach dem missratenen ersten Opel-Gipfel will Angela Merkel kein zweites Desaster erleben. Im „Spiegel” machte die Kanzlerin schon mal ihr Konzept für den Unfall der Fälle publik: Gelinge es nicht, Opel zu verkaufen, dann gehe das Traditionsunternehmen in die Insolvenz. Die Botschaft ist an den Partner adressiert, an die SPD - und es ist die Position, die Wirtschaftsminister zu Guttenberg auch in den Verhandlungen vorträgt.
Für Merkel kommt eine Verstaatlichung nicht in Frage. Derweil spitzte sich ein paar 100 Meter vom Kanzleramt sie Situation zu: Im Adlon suchen Manager von GM und Magna stundenlang nach einem Finanzkonzept, nachdem sich zuletzt eine Lücke von 300 bis 350 Millionen Euro aufgetan hatte. Auch da bleibt Merkel knallhart. Bisher will der Staat eine Brückenfinanzierung von 1,5 Milliarden Euro mit einer Laufzeit von sechs Monaten sicherstellen - mehr ist nicht drin. Die 1,5 Milliarden Euro seien „nicht verhandelbar”. Im Klartext: Die Lücke müssen die Amerikaner schließen. Oder Magna. Werden 300 Millionen aus dem 1,5 Milliarden-Topf geschöpft, bleibt entsprechend weniger Geld als Anschubhilfe übrig.
Derweil kontaktieren mehrere Kabinettsmitglieder ihre Kollegen in Washington, um US-Finanzminister Timothy Geithner zu Zugeständnissen zu bewegen. Allein Vize-Kanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD) ist telefonisch zweimal in 24 Stunden bei Amtskollegin Hillary Clinton vorstellig geworden. Sonderlich erfolgreich scheinen sie nicht gewesen zu sein. Geithner schickt denselben Unterhändler, den Merkel schon am Mittwoch nicht an ihrem Tisch haben wollte, weil der Mann keine Prokura hat.
"Ich erwarte, dass es ein Ergebnis gibt"
Mittags werden die Signale aus dem Adlon düsterer. Nun schließt auch Magna einen Komplettausstieg aus dem Bieterwettbewerb nicht mehr aus. 26 000 Opelaner in Deutschland stünden fassungslos da. Das Unternehmen braucht bis Anfang nächster Woche einen dreistelligen Millionenbetrag so dringend wie Zuckerkranke ihr Insulin.
Auch Steinmeier, wie andere Sozialdemokraten bis zuletzt energischer Magna-Fan, stellt sich auf das schlimmste Szenario ein. Die Kosten der Insolvenz werden in seinem Haus auf 2,3 Milliarden Euro geschätzt. „Das erscheint plausibel”, bestätigte das Arbeitsministerium.
Insolvenz kommt billiger
Die Rechnung berücksichtigt noch nicht mal drei Milliarden Euro an Pensionslasten, die nicht den Steuer- oder Beitragszahler, wohl aber die deutsche Wirtschaft belasten würden. Insolvenz? Sie wird zumindest vorgedacht – von Fachleuten im Wirtschaftsministerium von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU).
Das Ergebnis lautet: Insolvenz kommt billiger. Soll heißen: Selbst im schlimmsten Fall, wenn alle 25 000 Opelaner ihren Job verlören, müsste der Staat wesentlich weniger Geld in die Hand nehmen, als wenn er für die Kredite des möglichen Opel-Retters Magna einzuspringen hätte. Dann würden - wie jetzt vereinbart - 4,5 Milliarden Euro fällig. Derzeit neigt sich die Waage zugunsten der Erhaltung Opels und der damit verbunden Jobs.