Essen. Experten streiten über die Vor- und Nachteile eines Vorganges, der im Volksmund "Pleite" heißt.

Chancen

Eine Insolvenz ist nicht das Ende eines Unternehmens

„Die Angst vor der Insolvenz ist irrational”, sagt Hans Haarmeyer, der Direktor des Deutschen Instituts für angewandtes Insolvenzrecht (DIAI). Beispiel Opel: Nach den wirren Verhandlungen mit Erpressungspotenzial für die möglichen Investoren Fiat und Magna hätte sich durch eine Insolvenz die Chance für ein Verfahren mit klaren Regeln ergeben.

Auch bei einer Insolvenz können viele Jobs gerettet werden

In den ersten drei Monaten nach dem Insolvenzantrag sind Löhne und Gehälter gesichert, der Betrieb wird fortgeführt. Es bleibe also Zeit für Verhandlungen mit Investoren, sagt Haarmeyer. Oft würden Investoren auch ohne Insolvenzverfahren Arbeitsplätze streichen – etwa bei einer denkbaren Kaufhausfusion von Karstadt und Kaufhof.

Eine Insolvenz ermöglicht einem Investor einen guten Start

Ohne Insolvenzverfahren bestehe für einen künftigen Opel-Investoren die Gefahr, mit unkalkulierbaren Ansprüchen von Gläubigern des US-Mutterkonzerns General Motors konfrontiert zu werden, sagt Sebastian Krause, Professor für Wirtschaftsrecht an der Essener Fachhochschule FOM.

Auch nach einer Insolvenz können Kunden mit Kundenservice rechnen

Für Autos gilt in jedem Fall die gesetzliche Gewährleistung für zwei Jahre, erklärt der Auto Club Europa. Denn der Kaufvertrag über ein Auto werde nicht zwischen Hersteller und Käufer, sondern zwischen Händler und Autofahrer geschlossen.

Die Steuerzahler profitieren

Wie groß das Risiko derzeit für die Steuerzahler ist, zeigt der Fall Arcandor. Der Konzern will eine Bürgschaft über 650 Millionen Euro und einen Kredit der Staatsbank KfW über 200 Millionen Euro. Bei einer Insolvenz wäre der Steuerzahler zumindest nicht direkt betroffen: Das Ausfallgeld für die Beschäftigten eines insolventen Unternehmens wird durch die Bundesagentur für Arbeit finanziert. Wahrscheinlich wären allerdings auch Beschäftigungsgesellschaften und Bürgschaften – mit entsprechenden Belastungen für die Staatskasse.

Risiken

Eine Insolvenz befördert den Niedergang

Verkausfrische Opel. Foto: ap
Verkausfrische Opel. Foto: ap © AP

Wirtschaft ist auch Psychologie. Die Beispiele Saab und Chrysler hätten gezeigt, dass bei einer Insolvenz mit Verkaufseinbrüchen von 30 bis 40 Prozent zu rechnen sei, sagt der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. Es entstünde „eine Abwärtsspirale, die nur sehr schwer zu bremsen ist”. Ein Autohersteller unterscheide sich in diesem Punkt erheblich von Konsumgüter- oder Lebensmittelproduzenten.

Jobs werden noch stärker gefährdet

Die durch eine Insolvenz ausgelöste Abwärtsspirale bei einer Branchengröße wirkt sich oft auf ein Netzwerk von Unternehmen aus. Bei Karstadt wären hunderte Lieferanten betroffen, bei Autoherstellern wie Porsche oder Opel Zulieferbetriebe und Rohstoffhändler. Für insolvente Firmen gilt: Der Kündigungsschutz ist auf maximal drei Monate begrenzt. Unternehmen können also viel einfacher Arbeitsplätze abbauen.

Eine Insolvenz schadet künftigen Investoren

Kunden werden durch Insolvenzspekulationen verunsichert, erklärt Stefan Bratzel von der Fachhochschule Bergisch-Gladbach. Wenn das Image einer Marke Schaden nimmt, entstehen auch Investoren beim Neustart erhebliche Nachteile.

Kunden werden abgeschreckt

Um überhaupt noch Kunden zu überzeugen, sehen sich Insolvenzkandidaten verschiedener Branchen häufig genötigt, ihre Produkte unter Wert zu verkaufen. Autoexperte Dudenhöffer rechnet dies am Beispiel Opel vor: Im Fall einer Insolvenz hätte er Preisabschläge bei Neufahrzeugen von zehn Prozent erwartet.

Auch bei einer Insolvenz kommen Kosten auf den Staat zu

Für bis zu drei Monate übernimmt die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Löhne der Mitarbeiter. Damit sieht der Steuerzahler zunächst wie der Gewinner einer Insolvenz aus. Doch das Aus eines Großkonzerns könnte zu einem staatlichen Milliardenzuschuss an die BA führen. Auch Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften für Mitarbeiter insolventer Unternehmen würden letztlich die Staatskasse direkt oder indirekt belasten.