Essen. Mieterschützer rufen zur kollektiven Prüfung von Betriebskosten-Abrechnungen auf. Wann und wie Mieter Nachzahlungen aufschieben können.

Nicht nur die Mieten steigen. Auch die Nebenkosten schnellen in die Höhe. Nachzahlungen von bis zu 4000 Euro allein für die Heizung belasten Haushalte. Um sich dagegen zu wehren, rufen Mieterschützer zu „legalen Mieterstreiks“ auf. Das verbirgt sich hinter dem neuen Phänomen.

Für Donnerstagabend, 23. Mai, hatten sie sich auf dem Marktplatz im Essener Stadtteil Frohnhausen zu einer Kundgebung verabredet: Mieterinnen und Mieter der Immobilienkonzerne Vonovia, LEG, Grand City, Covivio, Peach und Velero. Sie alle einen „Horrorabrechnungen für Heizungen und Wärme“ mit Nachzahlungen von mehreren Tausend Euro. So formulieren es die zahlreichen Mieterschutzorganisationen, die zu der Protestkundgebung aufrufen. Dem Aufruf waren aber nur wenige Teilnehmerinnen und Teilnehmer gefolgt. Die Rede ist von bis zu 60.

Mieterschützer: Konzerne wollen mit Wartungsarbeiten Gewinn machen

Obwohl die Konzerne in Deutschland nicht einmal zehn Prozent der Wohnungen vermieten, gilt in erster Linie ihnen die Kritik der Mieterschützer. „Einige Konzerne versuchen vermehrt, mit einzeln abgerechneten Wartungsarbeiten, die sowieso schon durch Tochterfirmen durchgeführt wurden, Gewinn zu machen. Bei privaten Vermietern findet das nicht so systematisch statt“, nennt Markus Roeser vom Mieterverein Dortmund nur eine Begründung. „Die Konzerne packen alles Mögliche in die Nebenkostenabrechnungen - zum Beispiel Kontrollgänge des Hausmeisters an der Aufzuganlage. Dabei macht er doch ohnehin seine Rundgänge“, sagt der wohnungspolitische Sprecher. Vonovia hat die Vorwürfe immer wieder zurückgewiesen.

So reagieren Vonovia und LEG

Vonovia
Mit rund 548.000 Wohnungen und mehr als einer Million Kunden ist Vonovia der größte Immobilienkonzern Europas. „Der Mieter erhält von uns alle Informationen, um die Abrechnung nachvollziehen zu können“, sagt Sprecherin Nina Henckel im Hinblick auf die Nebenkosten. Das treffe auch auf die Bottroper Siedlung Welheim zu. Dort haben Mieter zum Teil Heizkosten-Nachforderungen in vierstelliger Höhe erhalten. „Wir haben dem Mieterverein im Mai mehrere Termine zur Vertragseinsicht vorgeschlagen, die aber abgelehnt wurden. Jetzt suchen wir einen neuen Termin“, so Henckel.
Nach eigenen Angaben liegt die Quote der Einsprüche gegen Nebenkostenabrechnungen bei Vonovia „bei lediglich 4,2 Prozent“. Wie viele Fälle am Ende im Streit vor Gericht landen, ist unklar. Henckel betont allerdings, dass das konzernweite Aufkommen an Betriebskosten zuletzt stabil gewesen sei. Bei Heizkosten und Kosten für Warmwasser habe es dagegen eine Steigerung gegeben. „Hohe Nachzahlungen stellen Mieter vor besondere Herausforderungen. Mieter können sich jederzeit bei uns melden, um z.B. eine Ratenzahlung zu vereinbaren oder Vorauszahlungen anzupassen“, so die Vonovia-Sprecherin.

LEG
Mit ihren rund 167.000 Wohnungen und 500.000 Bewohnern ist die Düsseldorfer LEG-Gruppe der zweitgrößte Vermieter in Deutschland. Beim heiklen Thema Nebenkosten gebe es „sowohl Guthaben als auch Nachforderungen in verschiedenen Höhen“, teilt das Unternehmen auf Nachfrage mit. In Fällen hoher Nachzahlungen biete die LEG „selbstverständlich Hilfestellungen an. Das reicht vom Hinweis auf Direkthilfen durch soziale Stellen bis hin zu Ratenzahlungsvereinbarungen“. Der Konzern biete seinen Mieterinnen und Mietern „grundsätzlich die Einsicht in alle Belege, die erforderlich sind, um die Abrechnung nachvollziehen zu können“. Das Prinzip „keine Zahlung ohne Beleg“ sei deshalb „kein Streik, sondern die geltende rechtliche Lage, der die LEG- solange keine willkürlichen oder unzulässigen Einsichtnahmen gefordert werden - von sich aus nachkommt“.
„Auch wir finden das Wort in dem Zusammenhang befremdlich“, betont die LEG, „leider wird dieser Begriff im Kontext von Meinungsäußerungen- und Verschiedenheiten von Mietern immer wieder zweckentfremdet.“ Als börsennotiertes Unternehmen halte sich die LEG „bei allen Prozessen engmaschig an gesetzliche Regelungen. So auch selbstverständlich bei Nebenkostenabrechnungen“.

Das erklärt freilich nicht die hohen Nachzahlungen für die Heizung von bis zu 4000 Euro, wie sie zuletzt in der Bottroper Vonovia-Siedlung Welheim, bei der LEG in Göttingen oder bei Covivo in Essen für Aufregung sorgten. „Die Kosten für Fernwärme wirken häufig wie ausgewürfelt. Es werden Börsenpreis-Indizes für kurzfristige Gasankäufe herangezogen, um Preissteigerungen zu rechtfertigen. Mit realen Kostensteigerungen haben sie vermutlich nichts zu tun“, meint Roeser.

„Preissteigerungen aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden“

Durch den rasanten Anstieg der Energiepreise nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 wurden aber auch Gas und Strom erheblich teurer. Die Kosten für das Heizen seien seither im Schnitt um 30 Prozent gestiegen, verlautet aus der Wohnungsbranche. Die inzwischen wieder sinkende Inflation sollte darüber nicht hinwegtäuschen. „Von der Höhe der Kosten her sind die Heizkostenabrechnungen aktuell das größte Problem. Die Preissteigerungen sind aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Jetzt kommen aber die riesigen Nachzahlungsaufforderungen“, warnt der wohnungspolitische Sprecher Roeser.

Obwohl die Vermieter die Heizkosten nur im Auftrag der Energieversorger eintreiben, wollen die Mieterschützer nun den Druck auf die Wohnungsgesellschaften erhöhen. „Neuerdings gibt es wieder die Idee eines Mieterstreiks. Mieterinnen und Mieter einer Siedlung schließen sich zusammen und zahlen gemeinsam hohe Nebenkostennachforderungen nicht, solange die Kosten nicht wie gesetzlich vorgeschrieben belegt wurden. Auf diese Weise finden sie mehr Gehör“, beschreibt der Dortmunder Roeser das Modell und verweist zugleich darauf, dass es Streiks im Mietrecht gar nicht gebe.

30 Tage nach Erhalt der Abrechnung Belegeinsicht fordern

Konkret sollen diese Streiks so aussehen: Alle Mieterinnen und Mieter einer Siedlung begleichen die geforderten Nachzahlungen erst einmal nicht. Roeser: „Man will sich kollektiv wehren. Dann halten es Mieterinnen und Mieter besser aus, wenn sie vom Vermieter unter Druck gesetzt werden, zum Beispiel durch Mahnungen.“

Bevor Mieter Nachzahlungen zurückhalten, müssen sie allerdings einige Spielregeln einhalten. „Grundsätzlich hat ein Mieter immer das Recht, nach Erhalt einer Nebenkostenabrechnung diese auf ihre Korrektheit zu überprüfen“, sagt Andreas Noje, Direktor des Verbands Haus & Grund Ruhr. Dazu müssen die Mieter alle relevanten Belege einsehen und prüfen. Einen Automatismus gebe es nicht. Die Mieter müssen um Belegeinsicht bitten. „Der Mieter sollte aus Gründen des Grundsatzes von Treu und Glauben diese Belegeinsicht innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt der Abrechnung einfordern, auch wenn sein Belegeinsichtsrecht gesetzlich erst ein Jahr nach Erhalt der Abrechnung verjährt“, sagt Noje.

Die Vermieter seien gesetzlich gehalten, die Belege „geordnet und im Original“ vorzulegen. „Geschieht dies nicht, steht das Verhalten des Vermieters einer Verweigerung der Belegeinsicht gleich mit der Folge, dass dem Mieter ein Zurückbehaltungsrecht an den geltend gemachten Nachforderungen nach § 273 BGB zusteht“, so der Haus & Grund-Direktor. Im frei finanzierten Wohnungsbau gebe es im übrigen „grundsätzlich keinen Anspruch auf Übermittlung von Kopien der Belege“. Es sei denn, die Entfernung zum Vermieter sei groß.

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