Bochum/Essen. Die Bochumer VW-Tochter Volkswagen Infotainment treibt die Digitalisierung von Fahrzeugen voran – mit Autos als rollenden Smartphones.

Das Auto wird zunehmend auch ein „Smartphone auf Rädern“, davon zeigt sich Tobias Nadjib überzeugt. Nadjib, der als einer von zwei Geschäftsführern die Bochumer VW-Tochterfirma Volkswagen Infotainment führt, rechnet fest damit, dass Fahrzeuge, die neu auf den Markt kommen, in einigen Jahren noch viel stärker digital vernetzt sein werden als heute schon. „Das Auto der Zukunft wird sehr intelligent sein“, sagt Nadjib im Podcast „Die Wirtschaftsreporter“. So könnten beispielsweise Fahrzeuge, die auf Deutschlands Straßen unterwegs sind, durch „Schwarm-Intelligenz“ Informationen dazu übermitteln und erhalten, wo gerade eine Parklücke freigeworden ist. Auch das Bezahlen im Parkhaus sei eine der Aufgaben, die ein digitalisiertes Auto dem Menschen abnehmen könne, sagt Nadjib voraus. Die komplette Folge können Sie direkt hier im Webplayer hören:

podcast-image

Innerhalb des VW-Konzerns ist es die Aufgabe von Volkswagen Infotainment, Fahrzeuge „kommunikationsfähig“ zu machen, wie es Nadjib nennt. Aus der Entwicklung der Bochumer Software- und Hardware-Schmiede stammt ein Bauteil, das die Autos des Volkswagen-Konzerns – also auch Fahrzeuge von Marken wie Audi, Skoda oder Porsche – mit dem Internet verbindet. Die „Volkswagen Connectivity Unit“ sei seit 2018 in den allermeisten Fahrzeugen des Konzerns eingebaut worden, erklärt Nadjib. Bei diesen Autos, die nahezu überall auf der Welt unterwegs sein können, fahre „ein Stück Technologie aus Bochum“ mit.

Tobias Nadjib (rechts) von der Bochumer VW-Tochter Volkswagen Infotainment im Gespräch mit Wirtschaftsredakteur Ulf Meinke bei der Aufzeichnung des Podcasts „Die Wirtschaftsreporter“ in der Essener Funke-Zentrale.
Tobias Nadjib (rechts) von der Bochumer VW-Tochter Volkswagen Infotainment im Gespräch mit Wirtschaftsredakteur Ulf Meinke bei der Aufzeichnung des Podcasts „Die Wirtschaftsreporter“ in der Essener Funke-Zentrale. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Das Bauteil muss in den mehr als 150 Ländern funktionieren, in denen Volkswagen Autos verkauft. „Wir können bei uns in Bochum jedes Mobilfunknetz, das es auf der Welt gibt, simulieren“, sagt Tobias Nadjib. Dass diese Kompetenz im Ruhrgebiet beheimatet sei, habe auch historische Gründe. Vor zehn Jahren übernahm Volkswagen das europäische Forschungs- und Entwicklungszentrum des Handyherstellers Blackberry, der wiederum Experten des finnischen Nokia-Konzerns eingestellt hatte. Ein großer Teil der Belegschaft von Volkswagen Infotainment hat jahrelang am einstigen Nokia-Standort an der Stadtgrenze zu Herne gearbeitet.

Volkswagen Infotainment: Ursprünge bei Nokia und Blackberry in Bochum

Vom ursprünglichen Blackberry-Team seien im Jahr 2014 rund 200 Experten zu Volkswagen Infotainment gewechselt, berichtet Tobias Nadjib. Mittlerweile bestehe die Belegschaft aus mehr als 1000 Menschen. Anfang des Jahres ist die VW-Tochter in eine neue Firmenzentrale auf dem ehemaligen Opel-Gelände in Bochum gezogen. „Bochum ist genau der richtige Standort für Volkswagen Infotainment“, sagt Tobias Nadjib. Die Beschäftigten in der Ruhrgebietsstadt seien mit ihren Kompetenzen und ihrer Kreativität „der wichtigste Wert, den wir in der Firma haben“.

Nadjib gibt sich selbstbewusst, ohne dabei überheblich sein zu wollen. „Das, was wir entwickeln, ist die Mobilität von morgen – und damit gestalten wir auch die Welt von morgen“, sagt er im Podcast „Die Wirtschaftsreporter“. „Jeder, der bei uns arbeitet, könnte genauso gut bei Microsoft oder Google arbeiten.“

Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier:

Die Kommunikation spielt bei der Entwicklung der künftigen Fahrzeug-Generationen eine Schlüsselrolle. Üblich sei bereits seit einiger Zeit, dass sich neu zugelassene Autos mit dem Internet verbinden, um den sogenannten „E-Call“ möglich zu machen. Bei einem Unfall – auch bei einem Totalschaden – sollen die Fahrzeuge ein Notsignal aussenden, damit sich Rettungskräfte schnell auf den Weg machen können. Das VW-Bauteil aus Bochum verschickt dann ein Datenpaket an die nächste Leitstelle der Einsatzkräfte.

Über diese Funktion hinaus seien zahlreiche weitere Entwicklungen möglich, sagt Tobias Nadjib und nennt als Beispiel Navigations-Dienste, die via Online-Verbindung „auf Echtzeitdaten“ zugreifen. Auch wenn Elektroautos in Zukunft als Stromspeicher genutzt werden, spiele die „Connectivity Unit“ aus Bochum eine Rolle, ebenso wie beim Aufbau von Technologien für selbstfahrende Autos.

Tobias Nadjib sagt über Volkswagen Infotainment: „Wir sind das coolste Start-up im Volkswagen-Konzern.“
Tobias Nadjib sagt über Volkswagen Infotainment: „Wir sind das coolste Start-up im Volkswagen-Konzern.“ © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Ob Fahrzeuge zunehmend zum Ziel von Hackern werden? Zur Abwehr von Angriffen auf Autos habe Volkswagen Infotainment jedenfalls „hochkarätige Spezialisten“ engagiert, sagt Tobias Nadjib. Der Kampf gegen Hacker sei eine Daueraufgabe. „Die Angriffsmechanismen entwickeln sich weiter – und wir müssen dafür sorgen, dass die nicht durchkommen bei uns.“

„Wir sind das coolste Start-up im Volkswagen-Konzern“

Wie bei Smartphones werde es künftig auch bei Autos vermehrt „Updates“ geben, um die Fahrzeuge digital auf den neuesten Stand zu bringen. „Wir merken, dass Autofahrer das sogar gerne wollen“, sagt Nadjib. Bei Mobiltelefonen seien Updates längst selbstverständlich, um Funktionen oder die Sicherheit der Geräte zu verbessern. Ähnlich werde es bei Autos sein.

Bei den Beschäftigten will Volkswagen Infotainment auch mit einer unkonventionellen Firmenkultur punkten. „Wir sind das coolste Start-up im Volkswagen-Konzern“, sagt Nadjib. Diese Haltung bleibe, auch wenn das Unternehmen größer werde. Ein Wir-Gefühl erzeuge, dass sich praktisch alle Mitarbeiter in der Firma duzen – unabhängig von Hierarchieebenen. Schon bei den Stellenausschreibungen und in Bewerbungsgesprächen von Volkswagen Infotainment sei das Du der Standard. „Du rückst automatisch dichter zusammen, wenn Du Dich duzen darfst“, sagt Nadjib. Werte wie Respekt oder Disziplin würden darunter nicht leiden. Hinzu komme, dass Menschen aus mehr als 50 Nationen für die VW-Tochter in Bochum arbeiten, daher werde viel Englisch im Betrieb gesprochen. Die Duz-Kultur erleichtere es, zwischen den Sprachen hin- und herzuwechseln.

Abonnieren Sie den WAZ-Podcast „Die Wirtschaftsreporter“ kostenlos

Sie können den Podcast „Die Wirtschaftsreporter“ direkt hier im Player hören. Den Podcast finden Sie aber auch dort, wo Sie am liebsten Podcasts hören. Folgen Sie uns zum Beispiel bei Spotify, Apple Podcasts und YouTube. Einfach „Die Wirtschaftsreporter“ in die Suchmaske eingeben und kostenlos folgen, dann verpassen Sie keine Folge.

„Die Wirtschaftsreporter“, das sind Stefan Schulte, Ulf Meinke und Frank Meßing. Die drei Journalisten der WAZ berichten seit Jahren über Unternehmen und Wirtschaftsthemen in NRW. Alle zwei Wochen, immer freitags, führt ein Wirtschaftsreporter der WAZ ein Gespräch mit einem Experten oder einer Expertin zu einem brennenden Thema aus der Region.