Essen. Viele Menschen in NRW haben keinen Berufsabschluss. Ein neues Gesetz soll helfen - doch davon profitiert längst nicht jeder.

  • Ab dem Frühjahr startet die neue Ausbildungsgarantie des Bundes. Zu dem Gesetz gehört, dass Jugendliche in Regionen mit Bewerberüberhang einen Rechtsanspruch auf Ausbildung bekommen.
  • Dieser Rechtsanspruch bezieht sich allerdings auf eine außerbetriebliche Ausbildung, wie sie bisher etwa für junge Menschen mit Lernbehinderung vorgesehen war.
  • Gewerkschaften kritisieren die Umsetzung der Ausbildungsgarantie.

Es ist kurios: Zum Start des aktuellen Ausbildungsjahres in NRW standen 108.000 gemeldete Lehrstellen nur rund 104.000 ausbildungsfreudigen Jugendlichen gegenüber. Doch obwohl damit rein rechnerisch jeder junge Mensch in NRW auch einen Ausbildungsbetrieb hätte finden können,blieben knapp 7600 von ihnen unversorgt. Denn Lehrstellen mag es mehr als genug geben – aber nicht überall im Land.

Ab dem Frühjahr will die Bundesregierung gezielt diesen Jugendlichen helfen. Selbst im strukturschwachen Ruhrgebiet profitiert längst nicht jeder.

Ab April gilt die Ausbildungsgarantie. Anders als man bei dem Begriff glauben könnte, ist damit nicht gemeint, dass jeder junge Mensch garantiert einen Ausbildungsplatz erhält. Vielmehr sind darin Maßnahmen gebündelt, die bisherige Wege der Berufsorientierung verbessern und besonders in unterversorgten Regionen mit zu wenig Lehrstellen helfen sollen.

Ausbildungsgarantie: Praktika, Mobilitätszuschuss und Rechtsanspruch

Es gibt Praktika, zudem Zuschüsse, wenn jemand weitere Wege in Kauf nimmt. Die wohl wichtigste Änderung: Wer in einer unterversorgten Region lebt und trotz aller Mühen keinen Ausbildungsplatz findet, für den gilt erstmals mit dem nächsten Ausbildungsjahr ein Rechtsanspruch, zumindest außerbetrieblich ausgebildet zu werden.

Bislang sind diese sogenannten BAE-Maßnahmen zur außerbetrieblichen Lehre Menschen mit Lerneinschränkungen oder sozialen Benachteiligungen vorbehalten. Auch Jugendliche, die ihre Ausbildung abgebrochen haben, gehören bereits zur Zielgruppe. Sie werden nicht in einem Betrieb, sondern von einem Bildungswerk ausgebildet, haben am Ende aber einen Berufsabschluss. Erstmals steht das ab August nun auch jungen Menschen offen, die nur aufgrund ihres Wohnorts am Markt benachteiligt sind. Im Notfall könnten sie sich sogar einklagen.

An nur fünf Stellen im Ruhrgebiet greift der neue Rechtsanspruch auf Ausbildung

Wie groß die Wirkung sein wird, ist offen. Rein rechnerisch sind 20 Regionen in Deutschland unterversorgt. Dort gibt es mindestens 110 Bewerbende auf 100 Stellen. Das Gesetz lässt aber Ermessensspielräume zu und bezieht sich nicht auf einzelne Städte, sondern Agenturbezirke. Laut Bundesagentur greift der Rechtsanspruch letztlich in 21 der 150 Bezirke. In NRW sind es acht, fünf liegen im Ruhrgebiet.

Am schlimmsten ist die Lage in Gelsenkirchen/Bottrop, wo 150 Bewerbende auf 100 offene Lehrstellen treffen. Im Kreis Recklinghausen sind es 146, in Essen 122, in Bochum/Herne 118, in Duisburg 111. Nur Recklinghausen und Bochum nutzen ihre Chancen voll aus und stocken Maßnahmen auf.

Frank Benölken, Leiter der Agentur für Arbeit Recklinghausen, will die Chancen der neuen Ausbildungsgarantie voll ausschöpfen.
Frank Benölken, Leiter der Agentur für Arbeit Recklinghausen, will die Chancen der neuen Ausbildungsgarantie voll ausschöpfen. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Recklinghausen: Jede vergebene Chance kommt uns später teuer zu stehen

Die Recklinghäuser Agentur erhöht ihre außerbetrieblichen Ausbildungsplätze um fast 50 Prozent auf knapp 170. Mit dem Jobcenter zusammen gibt es 250 Plätze, weitere seien möglich. Es sei durchaus kontrovers darüber diskutiert worden, ob vorhandene Hilfen nicht ausreichten, sagt Agenturchef Frank Benölken. Am Ende ist er sich sicher: „Jede Chance, die wir da vergeben, wird uns später teuer zu stehen kommen“ Bundesweit sind rund 2,6 Millionen junge Menschen bis 34 Jahre ohne Berufsabschluss. In NRW ist es jeder Fünfte zwischen 20 und 34 Jahren – und das in Zeiten des Fachkräftemangels.

Dass außerbetriebliche Hilfen kein Allheilmittel sind, weiß Benölken nur zu gut: Jugendliche lehnten sie auch ab und machten eher ein Freiwilliges Soziales Jahr, die Erfahrung gebe es schon jetzt. Und das, obwohl sich die außerbetriebliche Ausbildung in Recklinghausen gar nicht so sehr von der betrieblichen unterscheidet: Die Jugendlichen lernen beim Dachdecker oder Immobilienkaufmann, werden aber von einem Bildungsträger betreut. „Diese Art hat sich bei uns mehr als bewährt, weil damit der Kontakt zu Betrieben geknüpft ist“, so Benölken.

Andere unterversorgte Städte warten ab: Duisburg will bei vorhandenen 87 Plätzen erstmal keine weitere Chance auf außerbetriebliche Lehrlinge schaffen. Essen bleibt bei 29 Plätzen. Man könne aber jederzeit zusätzliche schaffen, wird betont.

Der DGB NRW kritisiert Umsetzung der Ausbildungsgarantie

Die Gewerkschaften halten solch eine Ausbildungsgarantie für unzureichend. Anja Weber, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes NRW, nennt die Umsetzung enttäuschend und fordert insbesondere Arbeitgeber zum Umdenken auf. „Sie müssen sich von der Bestenauslese verabschieden und sich der Ausbildungsgarantie öffnen“, sagt Weber dieser Redaktion. Die Gewerkschafterin verweist auf Österreich, wo es eine Ausbildungspflicht und -garantie gibt.

DGB-Landeschefin Anja Weber kritisiert die neue Ausbildungsgarantie. Die Umsetzung sei enttäuschend.
DGB-Landeschefin Anja Weber kritisiert die neue Ausbildungsgarantie. Die Umsetzung sei enttäuschend. © Julia Tillmann / FUNKE Foto Services | Julia Tillmann

Jens Peick gehörte zu den Bundestagsabgeordneten, die das Gesetz hinter der Ausbildungsgarantie erarbeitet haben. Er gibt rundheraus zu, dass auch er mit dem Ergebnis nicht ganz zufrieden ist, mehr im Koalitionsvertrag aber nicht durchzusetzen gewesen sei. Dennoch sei der Rechtsanspruch „revolutionär“, so der Sozialdemokrat. Dass die Wirkung der Ausbildungsgarantie verpuffen könne, glaubt er nicht: „Die Ausbildungsgarantie wird nicht ins Leere laufen.“

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