Essen/Hagen. Der Bund will mehr Solaranlagen auf den Dächern sehen. Dachdecker erleben eine unerwünschte Nebenwirkung. Was Kunden wissen müssen.
Erst vergangene Woche hat Martin Weihsweiler wieder so einen Anruf erhalten. Ein Eigenheimbesitzer meldete sich am Telefon des Dach-Sachverständigen. Auf seinem zehn Jahre alten Dach sei eine neue Solaranlage installiert worden, sagte der Anrufer und beschrieb, dass er nun im Spitzboden von innen Löcher in der Folie unter den Dachpfannen sehen könne. Ob das ein Problem sei?
„Im Moment bekomme ich einmal in der Woche so einen Anruf“, sagt Weihsweiler, der seit rund 15 Jahren Dächer von Wohn- und Gewerbeimmobilien begutachtet und Vorsitzender des Dachdecker-Verbands Nordrhein ist. Es seien überwiegend Eigenheimbesitzer, die über Schäden klagten, nachdem eine Solaranlage montiert worden sei. „Ob hinter jedem vermuteten Schaden ein tatsächlicher und ein neuer ist, da bin ich vorsichtig. Aber die Beschwerden haben seit dem Sommer deutlich zugenommen.“
Rekordjahr für die Solarenergie
Das kann auch daran liegen, dass die Bedeutung der Photovoltaik (PV) bei der Energiewende wächst: In Deutschland wurden 2023 mehr PV-Anlagen installiert als je zuvor in einem Jahr. Laut Bundeswirtschaftsministerium sind zwölf Gigawatt Solarenergie neu zugebaut, 84 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.
In NRW sind bis September so viele neue Solaranlagen installiert worden wie in keinem anderen Bundesland. Das Bundeswirtschaftsministerium zählt über 436.000 Anlagen, ein Plus von 31,5 Prozent. Mit dem Jahreswechsel werden es trotz geplanter Kürzungen bei Förderprogrammen mehr: Im Januar tritt die neue Landesbauordnung mit Solar-Pflicht für gewerbliche Neubauten in Kraft.
Dachdecker: Fehler passieren immer mal, aber die Häufigkeit ist neu
Bei der Installation einer PV-Anlage kommen zwei Gewerke zusammen, wie der Bundesverband Solarwirtschaft betont: das Dachdecker- und das Elektrohandwerk. Es gebe Dachdeckerbetriebe, die Elektrofachkräfte einbinden und eigene PV-Manager fortbilden, um Solaranlagen zu bauen. Den Netzanschluss dürfen nur Elektrofachbetriebe durchführen. Und es gibt Solarteure, was laut Bundesverband Elektrofachkräfte oder „elektrotechnisch unterwiesene Personen eines Elektrofachbetriebs“ sind. „Bei der Montage einer Solaranlage auf dem Dach gibt es im Bereich der Befestigung immer eine Schnittstelle, die sowohl von Dachdeckern als auch von Solarteuren ausgeführt werden“, so der Verband.
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Die Dachdecker sehen das naturgemäß anders: „Solarteure kennen sich oft nicht mit Dächern aus“, sagt etwa Fritz-Marius Sybrecht, Hauptgeschäftsführer des Dachdeckerverbands Westfalen. Falls während der Montage einer Solaranlage Schäden entstehen, könnten sie diese zudem nicht beseitigen.
Und sie entstünden durchaus, wie die vermehrten Beschwerden zeigten: an Dachfolien oder den Pfannen. Beides könne etwa beim Befestigen der Vorkonstruktion entstehen, auf der die Solarpanele montiert werden. „Natürlich kann immer mal etwas kaputtgehen, das passiert auch den Fachleuten“, sagt Sybrecht und meint damit die Dachdecker selbst. „Aber die Häufigkeit, mit der uns aktuell Schäden gemeldet werden, ist neu.“
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Sybrecht kritisiert, wenn Dachdecker außen vor bleiben. „Mein Eindruck ist, dass es oft darum geht, die Anlagen nur irgendwie aufs Dach zu bringen.“ Betriebe betonen, wie wichtig das Zusammenspiel der Gewerke ist.
Berufsverband wehrt sich: Dachdecker-Regeln sind berücksichtigt
Der Bundesverband Solarwirtschaft wehrt sich gegen den Eindruck und unterstreicht, dass die Fachregeln des Dachdeckerhandwerks berücksichtigt würden. Korrekt sei, dass Elektrofachkräfte keine Schäden am Dach reparieren dürfen - ob nun vorhandene oder neue. Umgekehrt gelte das gleiche für Dachdecker, die ohne Unterweisung kleine Elektroinstallation durchführen dürfen.
Martin Weihsweiler kennt aus der Praxis ein anderes Problem: „Wenn ein anderes Gewerk auf dem Dach war, endet die Gewährleistung des Dachdeckers“, sagt der Sachverständige. Entstehen Schäden, sei es oft eine regelrechte Detektivarbeit herauszufinden, wer diese verursacht habe.
Weihsweiler erzählt beispielhaft von einer größeren Halle, deren Dach nach der Montage einer PV-Anlage undicht war. Erntegut von höherem Wert sei hinüber - wer den Schaden bezahlt, ob das Leck als war oder neu entstanden ist, muss nun geklärt werden.
Kunden sollten auf eine Bestandsanalyse bestehen
Dachdecker betonen, dass dies nicht als Kritik an PV-Anlagen verstanden werden solle. Aber sie mahnen, dass sich Kunden informieren sollten: Eine Bestandsanalyse des Dachs sei notwendig, um die Statik abzuklären und sicherzugehen, dass es die Kräfte einer Anlage verpacken kann. Darauf sollten Kunden bestehen - und Empfehlungen nicht in den Wind schlagen, heißt es von Betrieben. Schäden seien vorprogrammiert, wenn PV-Anlagen ohne notwendige Dachsanierungen montiert werden.
Der Bundesverband Solarwirtschaft erklärt, dass die Bestandsanalyse im Verantwortungsbereich der Eigentümer liege. Sie müssten eine Statik beauftragen und bezahlen - der Solar-Installateur müsse wissen, dass er diese Informationen benötigt, und auf Mängel hinweisen, die ihm auffallen.
Serie: Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Photovoltaik
Sie interessieren sich für eine Solaranlage? Unsere Photovoltaik-Serie klärt über alle wichtigen Fragen auf. Lesen Sie hier alle Folgen:
Teil 1: Photovoltaik auf dem Dach: Was Einsteiger wissen müssen
Teil 2: Die ersten Schritte zur eigenen Solaranlage
Teil 3: So finden Sie den richtigen Handwerksbetrieb
Teil 4: Das Wichtigste über Solarmodule und Technik
Teil 5: Kosten, Erträge, Renditen: Wann Solaranlagen Geld verdienen
Teil 6: Photovoltaik-Anlagen: Wo es in NRW noch Fördergelder gibt
Teil 7: Neue Regeln für 2023: Die wichtigsten Steuertipps
Teil 8: Mieten statt kaufen – lohnt sich das?
Teil 9: Wartung, Pflege, Pflichten: So laufen PV-Anlagen 20 Jahre
Teil 10: Solarboom in NRW: Alles über Balkonkraftwerke