Bochum. Bei der Bochumer GLS Bank will Vorstandssprecherin Aysel Osmanoglu eine neue Führungskultur etablieren, die auch ohne Chefin auskommt.
Als sie zwölf war, wanderte ihre Familie von Bulgarien in die Türkei aus. Mit 18 machte sich Aysel Osmanoglu dann allein auf den Weg nach Deutschland. Angetrieben habe sie, ein „freiheitliches Leben“ führen zu wollen, erzählt die Vorstandssprecherin der Bochumer GLS Bank im Podcast „Die Wirtschaftsreporter“. Innerhalb von rund 20 Jahren hat es Aysel Osmanoglu von einer Trainee-Stelle bis an die Spitze von Deutschlands größtem sozial-ökologischen Geldhaus geschafft.
Jetzt arbeite sie daran, die Stelle der Bank-Chefin in ihrem Unternehmen abzuschaffen, also ihren eigenen Posten. „Das ist wirklich das Ziel“, sagt Osmanoglu. In zwei, drei Jahren könne es soweit sein. Dann müsse es voraussichtlich nicht mehr eine „Vorstandssprecherin“ geben, wie die Spitzenfunktion bei der GLS Bank heißt, sondern ein Führungsteam könne übernehmen. Schon jetzt setze sie bei der Leitung ihrer Organisation verstärkt auf „kollegiale Besprechungen“. Es gehe darum, bei Entscheidungen mehr Menschen einzubinden, betont Osmanoglu.
„Es war nie mein Antrieb zu sagen: Ich möchte die und die Position haben“, erzählt sie. Zugleich sei sie davon überzeugt, dass es keine Zufälle gebe. Führung sei insbesondere „Selbstführung“. Damit meine sie: Es fange in aller Regel bei einem selbst an. Mit Fragen wie: Was ist mein Anliegen in der Welt? Was habe ich mir vorgenommen? Wie möchte ich meine Wirksamkeit in der Welt ausleben? Bei der GLS Bank könne sie „wirksam sein“, sagt Aysel Osmanoglu.
Seit rund einem Jahr an der Spitze der Bochumer GLS Bank
Ihr Lebenslauf deutet auf eine ordentliche Portion Zielstrebigkeit hin: Bei ihrer Ankunft in Deutschland habe sie erst einmal Deutsch lernen müssen, erzählt Osmanoglu im Podcast. In Freiburg war das. In Heidelberg und Frankfurt am Main studierte die Finanzmanagerin dann Volks- und Betriebswirtschaftslehre. Im Jahr 2002 folgte der Berufseinstieg bei der Ökobank, die kurz darauf von der Bochumer GLS Bank übernommen worden ist. Seit rund einem Jahr steht die 46-Jährige nun an der Spitze des Hauses.
Das Kürzel GLS steht für „Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken“. Das im Jahr 1974 gegründete Finanzinstitut hat rund 900 Beschäftigte, ist eine Genossenschaft und gehört zum Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken. In ihrem Leitbild hat sich die Bochumer Bank „dem Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen verpflichtet“. Projekte, in die Kredite fließen, sind Windparks und Solaranlagen, Kitas, Ärztehäuser und Wohnprojekte. Im Podcast stellt Vorstandssprecherin Osmanoglu auch klar, was die Bochumer Bank nicht finanziert: Atomkraft, Rüstungsprojekte, Gentechnik oder embryonale Forschung.
GLS Bank finanziert auch Wasserstoff-Projekte
Teilweise nehme die GLS Bank bei der Kreditvergabe Abwägungen vor, etwa beim Thema Biogas. Ablehnend steht ihr Haus demnach Vorhaben gegenüber, bei denen landwirtschaftliche Flächen – Maisfelder zum Beispiel – für die Biogas-Erzeugung genutzt würden, also in Konkurrenz zur Lebensmittel-Herstellung. Positiv bewertet die GLS Bank hingegen, wenn Biogas bei der Resteverwertung eines ökologischen Bauernhofs produziert werde. Auch Wasserstoff-Projekte finanziere ihr Haus, berichtet Aysel Osmanoglu. Die GLS Bank wolle „Teil der Transformation“ sein.
Als einen Neuanfang will sie ihr Wirken bei der GLS Bank nicht verstanden wissen, betont Osmanoglu, eher schon als eine Weiterentwicklung. Vor gut einem Jahr ging der langjährige Vorstandssprecher der Bank, Thomas Jorberg, mit 65 Jahren in den Ruhestand. Osmanoglu, die bereits im Vorstand war, übernahm die Führungsrolle.
„Oh, mein Gott, es geht so weiter. Aber will ich das wirklich?“
Das verblüffende sei gewesen: Nach dem Wechsel an der Bankspitze lief es praktisch so weiter wie bisher. Das System habe funktioniert. „Bis ich festgestellt habe: Oh, mein Gott, es geht so weiter. Aber will ich das wirklich? Wollen wir das?“ Daher habe sie die Frage aufgeworfen, wie eine „Entwicklung“ zu ermöglichen sei. Auch Menschen seien „Entwicklungswesen“, so Osmanoglu.
Neben dem ökologischen will Osmanoglu auch das soziale Profil der GLS Bank schärfen. Einen Ansatzpunkt sieht sie beim Thema Wohnen. Das menschliche „Grundbedürfnis nach Wohnen“ passe nicht zu „Investoren mit Gewinnmaximierungsziel“, sagt Osmanoglu. Für die GLS Bank gelte jedenfalls stets das Motto „Sinn vor Gewinn“. „Gewinn gehört dazu, aber er ist das Resultat unseres Handelns – nicht das Ziel unseres Handelns.“
Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier:
- Vorwerk-Chef: Meine Frau wollte auch keinen Thermomix haben
- Biermarkt: Darum verkauft Stauder schweren Herzens wieder Dosenbier
- Sorgen bei Thyssenkrupp: „Stahlindustrie kämpft um Existenz“
- Galeria-Doppelschlag gegen Essen: Warenhaus und Zentrale weg
- Menschen in Not: So reagieren Einzelhändler auf Bettler vor ihrer Ladentür