Düsseldorf. Wirtschaftsministerin Mona Neubaur: Kanzler Scholz lässt NRW im Stich. Im Interview sagt sie auch, wie sie über über Thyssenkrupp und HKM denkt.

Kaum Wind, der Dampf aus den Braunkohle-Schloten im rheinischen Revier steigt senkrecht gen Himmel, das ist Mona Neubaur beim Betreten ihres Büros gleich aufgefallen. Sie lässt den Blick westwärts schweifen – und zeigt auf die Stahlstadt von Thyssenkrupp im Duisburger Norden. Besser als aus dem Düsseldorfer Mannesmann-Hochhaus könnte eine NRW-Wirtschaftsministerin nicht residieren. Sie begründet nicht nur, sondern zeigt auch, warum der Stahl grün werden, der Strom für die Industrie und Menschen günstiger werden muss und warum Kanzler Scholz aus Ihrer Sicht falsch liegt. Im Gespräch mit unserer Zeitung wirbt die Ministerin auch dafür, dass die Ampel-Koalitionäre am Umgang von Union und Grünen in Düsseldorf lernen können.

Frau Neubaur, bereitet Ihnen die Lage der Industrie in NRW Sorgen?

Neubaur: Die Situation ist ernst – insbesondere in der energieintensiven Industrie. Deshalb brauchen wir den Brückenstrompreis von sechs Cent pro Kilowattstunde bis zum Jahr 2030. Unser Standort wäre dann immer noch nicht der günstigste, darum ging es der Industrie auch nie. Aber eine befristete Vergünstigung des Stroms würde Planbarkeit schaffen und der Industrie helfen, hier anstatt im Ausland zu investieren.

Sie sprechen von einem Brückenstrompreis, landläufig ist von einem Industriestrompreis die Rede. Bundeskanzler Olaf Scholz hat dem eine klare Absage erteilt.

Neubaur: Diese destruktive Haltung dem Industriestandort Nordrhein-Westfalen gegenüber ist gefährlich. Wenn die alte Gleichung stimmt, dass Deutschland wirtschaftlich ins Straucheln gerät, wenn die NRW-Industrie hinkt, müsste der Kanzler ein hohes Interesse daran haben, dieses Problem zu lösen.

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Was ist das für ein Gefühl als grüne Wirtschaftsministerin, dass die Industrie auf Sie und den grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck setzt und Sie gemeinsam einem Kanzler aus der Arbeiterpartei SPD gegenüberstehen?

Neubaur: Es hilft immer, mit denen zu reden, die jeden Tag aufstehen, um bei uns Beschäftigung zu sichern. Ich höre nahezu tagtäglich, dass die Unternehmen die Transformation zur Klimaneutralität hinbekommen wollen, aber kaum noch in der Lage sind zu investieren, weil ihre Gewinne von den Energiekosten aufgefressen werden. Da ist es doch logisch gegensteuern zu wollen. Im Gegensatz zum Kanzler führe ich solche Gespräche ständig und kann so den Blick für die Interessen der Beschäftigten offensichtlich besser behalten.

Und Ihr Vorteil ist, dass der Bund den Industriestrompreis bezahlen müsste, nicht das Land.

Neubaur: Der Bund hat die Möglichkeit, dies aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds zu finanzieren. Das Geld wäre ja da. Wir als Länder haben umgekehrt unsere Solidarität gezeigt, indem wir uns an den Entlastungspaketen des Bundes beteiligt haben, und zwar sehr gerne. Solidarität kann aber keine Einbahnstraße sein.

Die grüne NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur im Interview mit den WAZ-Wirtschaftsredakteuren Stefan Schulte und Ulf Meinke (v.l.)
Die grüne NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur im Interview mit den WAZ-Wirtschaftsredakteuren Stefan Schulte und Ulf Meinke (v.l.) © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Wie ist das, sich als Wirtschaftsministerin vom Kanzler belehren lassen zu müssen, dass ein Industriestrompreis den Regeln der Marktwirtschaft widerspricht.

Neubaur: Wir haben großes Interesse daran, mit dem Bund zusammen durch eine von multiplen Krisen gezeichnete Zeit gehen, von Corona über gestörte Lieferketten bis zum russischen Angriffskrieg. Wenn im letzten Jahr Bund und Länder Dienst nach Vorschrift gemacht hätten, wären wir sehr sicher nicht so gut durch die Krisen gekommen. Wir haben das Schlimmste verhindert – mit Preisbremsen vom Bund und Härtefallhilfen vom Land. Das steht in keinem Lehrbuch. Die marktwirtschaftlichen Prinzipien werden mit gut begründeten Ausnahmen ja nicht außer Kraft gesetzt.

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Kanzler Scholz hat betont, keine Dauersubventionen zu wollen. Habecks Modell soll bis 2030 befristet sein. Hoffen Sie, dass Scholz sich eine Hintertür für den Industriestrompreis offenlässt.

Neubaur: Hoffnung zu haben, ist immer gut. Aber hier ist wirklich enorm wichtig, eine Mehrheit in der Bundesregierung für den Brückenstrompreis zu organisieren.

Eine Mehrheit gibt es schon, aus Grünen und SPD, selbst SPD-Chef Lars Klingbeil spricht sich klar für den Industriestrompreis aus, fehlt nur der Kanzler.

Neubaur: Ich bin sicher, auch der Kanzler weiß um die Bedeutung dieser energiepolitischen Entscheidung. Andernfalls ließe er den Industriestandort NRW im Stich.

Nicht nur die Industrie ächzt unter hohen Strompreisen, sondern auch die Haushalte. Sollten die Energiepreisbremsen über April 2024 hinaus verlängert werden?

Neubaur: Der letzte Winter war sehr milde, wir wissen nicht, wie der nächste wird. Ich würde zu einem pragmatischen Umgang mit den Preisbremsen raten. Wenn es möglich ist, weil die Versorgungslage etwa beim Gas es hergibt, kann man ein solches Instrument aufheben. Das sollte kurzfristig, mit Blick auf die konkrete Situation entschieden werden.

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Beim Strom ist die Preisbremse ja ganzjährig wirksam und nicht so sehr vom Winterwetter abhängig. Sind Sie dafür, Haushalte und Wirtschaft beim Strompreis weiter zu entlasten?

Neubaur: Ja, aber mittelfristig müssen wir strategisch anders reagieren als mit Krisenintervention. Wir setzen auf unserem Weg zur Klimaneutralität in vielen Bereichen auf Strom, sei es beim Heizen oder im Verkehr. Wenn die Zukunft strombasiert ist, ergibt es wenig Sinn, Strom wie bisher mit Steuern und Abgaben zu stark zu belasten. Deshalb brauchen wir Entlastungen, etwa eine Senkung der Stromsteuer auf den europäischen Mindestsatz. Das bedeutet: Statt 20,50 Euro pro Megawattstunde wären wir bei etwa einem Euro.

Frage: Von einer solchen Steuersenkung würde dann auch Kohlestrom profitieren würde. Wollen Sie das wirklich?

Neubaur: Wir haben in NRW das Ende der Kohleverstromung um acht Jahre vorgezogen, gleichzeitig soll bis dahin der Anteil von Strom aus Erneuerbaren Energien auf 80 Prozent steigen.

Glauben Sie wirklich daran, dass das bis 2030 klappt?

Neubaur: Alles, was wir tun, ist darauf ausgelegt. Gerade wird eine leistungsstarke Trasse für den Transport von Offshore-Strom nach NRW geplant, um so schnell wie möglich realisiert werden zu können, wir machen enorme Fortschritte beim Ausbau der heimischen Windenergie und wir warten auf den Rahmen dafür, Gas-Kraftwerke zu bauen, die später mit Wasserstoff laufen können. Von den Stromerzeugern bekommen wir rückgespiegelt, dass es sehr sportlich wird, sie bis 2030 zu bauen, aber dass es möglich ist.

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Da kommen Sie ins Spiel, weil die Genehmigungen schneller werden müssen.

Neubaur: Absolut. Wir haben dafür unter anderem eine Taskforce Ausbaubeschleunigung Windenergie eingesetzt. Alle beteiligten Ministerien beraten gemeinsam Fälle, wo es gerade hakt. Wenn dort der Knoten durchschlagen wurde, schauen wir, wie das auf andere Anlagen übertragen werden kann, die wir für die industrielle Transformation brauchen. Die Bezirksregierungen sollen modellhaft schnelle Genehmigungen erarbeiten. Und die Behörden sollen wissen: Die Neubaur steht hinter unseren Entscheidungen.

Besonders im Fokus steht in NRW die Stahlindustrie. Bei Thyssenkrupp gibt es nun zumindest für einen Hochofen Klarheit: Er wird durch eine Direktreduktionsanlage (DRI-Anlage) ersetzt, mit deren Hilfe grüner Stahl entstehen soll. Es bleiben aber drei weitere Hochöfen allein bei Thyssenkrupp, zwei weitere beim Tochterunternehmen HKM. Wird die Landesregierung also weitere millionenschwere Schecks ausstellen müssen?

Neubaur: Wir sind als Landesregierung in enger Abstimmung mit der Unternehmensleitung und den Arbeitnehmervertretern. Klar ist: Es ist die Entscheidung des Unternehmens, wie es mit den verbliebenen Hochöfen umgehen will. Das geschieht Schritt für Schritt. Dabei ist das Ziel eindeutig: Die Stahlproduktion in Nordrhein-Westfalen muss so schnell wie möglich klimaneutral werden. Daher unterstützen wir als Landesregierung auch den Bau der ersten Direktreduktionsanlage von Thyssenkrupp in Duisburg mit der größten Einzelförderung in der Geschichte des Landes. Wir wissen, dass es damit nicht getan ist. Die Transformation muss weitergehen.

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Noch ist der Stahlstandort Duisburg aber weiter von Klimaneutralität entfernt. Auch die neue DRI-Anlage soll zunächst mit Erdgas laufen, nicht mit Wasserstoff.

Neubaur: Daher drücken wir aufs Tempo beim Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur. Es geht unter anderem darum, den Standort Duisburg an Wasserstoff-Pipelines anzubinden. Wir wollen möglichst schnelle Genehmigungen. Dafür werde ich mich auch persönlich als Ministerin sehr stark einbringen.

Zu Thyssenkrupp kommt in Duisburg noch der Stahlhersteller HKM mit weiteren zwei Hochöfen. Die IG Metall befürchtet eine Werksschließung, denn der französische Konzern Vallourec will aussteigen und es ist unklar, was die beiden weiteren beteiligten Konzerne Thyssenkrupp und Salzgitter wollen. Was kann die Landesregierung hier tun?

Neubaur: Bei HKM sind zunächst einmal die Eigentümer gefordert, eine Lösung für die Zukunft zu entwickeln. In erster Linie geht es also um eine unternehmerische Entscheidung. Fördermittel des Staates können die Transformation lediglich begleiten, aber nicht das Handeln der Eigentümer ersetzen.

Also privat vor Staat?

Neubaur: Es geht um das richtige Verhältnis: Auch bei Thyssenkrupp haben wir nicht das Unternehmen dazu bewegt, eine neue Anlage zu bauen. Sondern es war klar, dass sich Thyssenkrupp zum Standort Duisburg bekennt und in eine grüne Zukunft investieren will. Das ist die richtige Reihenfolge. Auch bei HKM gilt: Wenn die Unternehmen klar sind, sprechen wir gerne darüber, wie wir unterstützen können.

Bundeskanzler Scholz muss schauen, wie er die FDP in seiner Ampel-Regierung bei Laune hält. Bei Neuwahlen wäre seine Kanzlerschaft in Gefahr. Gleichzeitig liegen die FDP und die Grünen auf Bundesebene oft meilenweit auseinander. Das schürt eine Politikverdrossenheit, wie sie lange nicht zu spüren war. Kurzum: Wie blicken Sie auf die Arbeit der Ampel-Regierung?

Neubaur: Für uns in NRW bedeutet Regieren in krisenhaften Zeiten, dass wir zusammenstehen und Lösungen entwickeln wollen – fair und auf Augenhöhe zwischen beiden Regierungspartnern. Dabei müssen die Interessen der Menschen im Vordergrund stehen, nicht die Parteipolitik. Im Sinne unserer repräsentativen Demokratie und ihrer Stabilität wünsche ich mir manchmal, dass auch im Bund die Koalitionäre diesen Gedanken stärker mit Leben füllen.

Haben also all die Recht, die sagen, der Dauerstreit der Ampel sei Schuld am AfD-Hoch?

Neubaur: Die Verunsicherung vieler Menschen ist in den letzten Jahren gewachsen, viele werden von Verlustängsten geplagt. Da wäre es angemessen, als Regierung ehrlich zu kommunizieren, zu sagen, dass wir anstrengende Jahre vor uns haben. Aber in einer freiheitlichen Demokratie eben auch die Stärke liegt, da gut zusammen durchzukommen. Alle staatstragenden Parteien sollten zuerst vor ihrer eigenen Tür kehren und nach ihrer eigenen Verantwortung für Vertrauensverlust fragen. Und erst dann auf andere zeigen.

Noch eine Frage an die stellvertretende NRW-Regierungschefin: Wie fühlt es sich eigentlich an, dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst durch recht reibungsloses Regierungshandeln auf Landesebene eine Startbahn für eine mögliche CDU-Kanzlerkandidatur zu geben?

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Neubaur: Lassen Sie mich so antworten: Der Ministerpräsident und seine Stellvertreterin haben ausreichend eigene Vorhaben, Pläne und Aufgaben für das schönste Bindestrich-Land der Republik. Das und der respektvolle und gute Austausch darüber prägen unseren Koalitionsalltag.