Essen. Am Montag sollen die Gläubiger von Galeria erneut auf rund zwei Milliarden Euro verzichten. Was von den mehr als zwei Milliarden übrig bleibt.
Was für ein beklemmendes Déjà-vu: Es geht um Tausende Arbeitsplätze und Milliarden Euro, wenn am Montag die Gläubiger von Galeria Karstadt Kaufhof zusammenkommen. In der Essener Messe sollen sie dem Insolvenzplan des letzten deutschen Warenhauskonzerns zustimmen – und damit auf den allergrößten Teil ihres Geldes verzichten. Genau wie vor zweieinhalb Jahren. Das öffentliche Interesse ist enorm, auch weil diesmal der deutsche Staat der größte Gläubiger ist, nachdem er Galeria 680 Millionen Euro geliehen hat.
Die Insolvenzexperten Arndt Geiwitz und Frank Kebekus werden erneut allen, denen das Essener Unternehmen Geld schuldet, erklären, dass sie besser auf mehr als 95 Prozent verzichten sollen, weil sonst der ganze Konzern für immer verschwindet und dann gar nichts mehr für sie übrig bliebe. Dass die Versammlung so ausgehen möge wie die im September 2020, also mit einer Billigung des Insolvenzplans und dem Verzicht auf mehr als 95 Prozent der insgesamt fast 2,4 Milliarden Euro an offenen Forderungen, hoffen vor allem die Beschäftigten.
Ein Nein würde das Aus aller Galeria-Filialen bedeuten
Denn für diesen Fall würde die seit 15 Jahren in einer Dauerkrise steckende Kaufhauskette „nur“ 47 Filialen oder bei erfolgreichen Nachverhandlungen ein paar weniger schließen und nach eigenen Angaben „nur“ rund 4300 Arbeitsplätze in den Filialen und der Essener Verwaltung abbauen. Andernfalls, so die klare Drohung des Insolvenzteams, müssten alle sehr schnell schließen – und 17.000 Menschen stünden über Nacht ohne Job da. Der Betriebsrat befürchtet jedoch auch bei einer Zustimmung den Verlust weiterer Jobs, so steht etwa das Lager in Essen mit 550 Arbeitsplätzen zur Disposition. Und die angekündigte Verkleinerung der verbleibenden Warenhäuser dürfte ebenfalls eine vierstellige Zahl von Beschäftigten treffen.
Vor zweieinhalb Jahren hat die Drohung der Komplettabwicklung letztlich gezogen, die Gläubiger rangen zwar stundenlang mit sich und den Insolvenzexperten, hoben letztlich aber mit großer Mehrheit die Daumen. Was sie diesmal noch skeptischer stimmen dürfte, sind die fast gleichlautenden Erklärungen aus dem Krisenmanagement: Mit seinem Insolvenzplan erhielten die verbleibenden Häuser eine gute Zukunftsperspektive, es seien neue Sortimente, mehr Kooperationen, Modernisierungen und weniger Verkaufsflächen geplant – und natürlich eine große Online-Offensive. Also all das, was beim letzten auch versprochen wurde, aber augenscheinlich nicht funktioniert hat. Warum es das diesmal sollte, dürfte die wichtigste Frage der Gläubiger sein.
Zur Erinnerung: 2020 haben die Gläubiger von ihren auf rund 2,2 Milliarden Euro geschätzten Forderungen nur 100 Millionen zurückerhalten. Es wurden 40 der seinerzeit noch 170 Filialen geschlossen und rund 4000 Arbeitsplätze abgebaut. Konzernchef Miguel Müllenbach versprach, als schuldenfreies Haus durchzustarten und als saniertes Unternehmen im Vorteil gegenüber weiten Teilen der Konkurrenz, sprich bestens gewappnet für die Zukunft zu sein. Vier Monate später bat Galeria den Staat um Hilfe, zwei Jahre später schickte der österreichische Eigentümer René Benko seine Essener Tochter erneut unter den Schutzschirm des deutschen Insolvenzrechts, um sich dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen.
Der Staat soll 88 von 680 Millionen Euro zurückerhalten
Diesmal haben die Gläubiger nach Angaben der Wirtschaftswoche unter Berufung auf den Insolvenzplan bis zu 2,36 Milliarden Euro an offenen Forderungen – und sollen davon nur rund 50 Millionen Euro erhalten. Vermieter, Lieferanten und Geldgeber sollen also erneut fast alles verlieren. Und natürlich der deutsche Staat, der Galeria aus seinem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) Kredite in Höhe von insgesamt 680 Millionen Euro gewährt hat. Weil er unter anderem den gesamten Warenbestand als Sicherheit erhalten hat, soll er aber aus deren Verkauf noch rund 88 Millionen Euro erhalten und darüber hinaus am Erlös aus dem geplanten Verkauf der belgischen Tochter Inno beteiligt werden.
Wie 2020 will auch Benkos Signa-Gruppe frisches Geld für die Umsetzung des Insolvenzplans zuschießen – 200 Millionen Euro, heißt es. Damit soll vor allem das Vorhaben, alle Filialen zu modernisieren, doch noch und nun zügig umgesetzt werden. Branchenkenner halten das für viel zu wenig, insbesondere mit Blick auf die dringend nötige Erneuerung des rückständigen Online-Verkaufsportals.
Benko will 200 Millionen Euro beisteuern
Eingedenk dessen, was Benko mit dem neuerlichen Schuldenschnitt spart und der dreimonatigen Übernahme der Lohnkosten durch die Bundesagentur für Arbeit bereits gespart hat, machen sich seine 200 Millionen eher bescheiden aus. Wie aus mit den damaligen Verhandlungen vertrauten Kreisen verlautet, war es der ausdrückliche Wille des österreichischen Immobilienmoguls, im vergangenen Herbst die Gespräche über einen weiteren Staatskredit abzubrechen und lieber erneut unter den Insolvenz-Schutzschirm zu flüchten.
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Vor allem in der SPD-Bundestagsfraktion blickt man da heute mit einigem Groll drauf: „Hier ist ein Investor, der sich aus seiner sozialen Verantwortung stiehlt“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin Katja Mast dem Business Insider, „wir reden schließlich von einem Geschäftsmodell, das Millionen von den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern erhalten hat.“ Sie fordert Benko auf, „dass er sich öffentlich erklärt und nicht länger versteckt“, während „Tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um ihre Jobs bangen“. Es seien „vor allem Frauen, die mit an seinem Wohlstand gearbeitet haben. Sie lässt er im Stich“, so Mast. Benkos Schweigen sei „unanständig“.
Handelsexperte: „Insolvenzkaskade als Geschäftsmodell“
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Handelsprofessor Gerrit Heinemann hatte Benko in unserem WAZ-Podcast „Die Wirtschaftsreporter“ vorgeworfen, das deutsche Insolvenzrecht auszunutzen, um möglichst günstig aus der vertrackten Lage bei Galeria herauszukommen. Er nannte das „eine Insolvenzkaskade als Geschäftsmodell“ und forderte, dass dieses in Deutschland tabuisierte Thema endlich von der Politik kritisch hinterfragt werde.